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Rettungseinsatz an der Unglücksstelle in Larisa.

© REUTERS/ALEXANDROS AVRAMIDIS

Update

Staatliches Versagen eingeräumt: Zahl der Todesopfer nach Zugunglück steigt auf 48

In Mittelgriechenland ist ein Intercity mit einem Güterzug kollidiert. Mehr als 350 Personen waren an Board – die meisten von ihnen Studenten.

| Update:

Nach dem schweren Zugunglück in Griechenland hat die Regierung staatliches Versagen eingeräumt. Verzögerungen bei der Modernisierung des griechischen Bahnnetzes seien auf „chronische“ Probleme und „jahrzehntelanges Versagen“ in der Verwaltung zurückzuführen, sagte Regierungssprecher Giannis Economou am Donnerstag.

Die persönliche Verantwortung für das Unglück übernahm unterdessen der für den Streckenabschnitt zuständige Bahnhofsvorsteher. Bei den Rettungs- und Bergungsarbeiten wurden inzwischen fast 50 Tote geborgen, Hoffnung auf Überlebende gab es kaum noch.

Auf der Strecke zwischen der Hauptstadt Athen und der Hafenstadt Thessaloniki waren am Dienstagabend kurz vor Mitternacht ein Intercity mit mehr als 350 Menschen an Bord und ein auf demselben Gleis entgegenkommender Güterzug frontal zusammengestoßen.

Zugunglück in Griechenland
Zugunglück in Griechenland

© AFP/STAFF

Der griechische Regierungssprecher Giannis Oikonomou sagte, die Züge seien vor dem Unglück „mehrere Kilometer lang“ auf demselben Gleis unterwegs gewesen. Zwei Waggons wurden durch die Wucht des Zusammenpralls zerquetscht, der Speisewagen ging in Flammen auf, zahlreiche Menschen wurden in den entgleisten und ineinander verkeilten Wracks eingeschlossen.

Wenige Stunden nach dem Unglück wurde der Bahnhofsvorsteher, der zum Zeitpunkt des Unglücks in der nahegelegenen Stadt Larisa im Dienst gewesen war, festgenommen. Dem 59-Jährigen werden fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung zur Last gelegt.

Bei einer Verurteilung droht dem Bahnhofsvorsteher lebenslange Haft. Nach Angaben seines Anwalts hat er die Vorwürfe am Donnerstag eingeräumt. Sein Mandant habe "zugegeben, was er getan hat", sagte der Anwalt.

Kostas Karamanlis (Mitte), Verkehrsminister von Griechenland, besuchte den Ort des Unglücks – und trat zurück.
Kostas Karamanlis (Mitte), Verkehrsminister von Griechenland, besuchte den Ort des Unglücks – und trat zurück.

© dpa/George Kidonas

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte schon am Mittwoch nach einem Besuch am Unglücksort von einem "tragischen menschlichen Fehler" gesprochen. Verkehrsminister Kostas Karamanlis trat zurück. Sein Nachfolger Giorgos Gerapetritis bat am Donnerstag die Familien der Opfer um Entschuldigung und kündigte eine selbstkritische Aufarbeitung des Unglücks an.

Zugstrecke laut Gewerkschaft in schlechtem Zustand

Nach dem Unglück war in Griechenland eine heftige Diskussion über den Zustand des Bahnnetzes entbrannt. Laut der Lokführergewerkschaft OSE ist die Strecke zwischen Athen und Thessaloniki in einem sehr schlechten Zustand. Alle Signale würden manuell gesteuert, sagte Gewerkschaftschef Kostas Genidounias.

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In einem offenen Brief hatten Bahnmitarbeiter im Februar darauf hingewiesen, die Sicherheitssysteme für die Gleise seien unvollständig und schlecht gewartet. Ein Sicherheitskontrolleur hatte im vergangenen Jahr gekündigt und gewarnt, dass wegen unvollständiger Sicherheitsnachrüstungen Zugreisen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h auf der Strecke gefährlich seien.

Aus Protest gegen den maroden Zustand der griechischen Bahnen sind die Eisenbahner landesweit in einen 24-stündigen Streik getreten. Auch zwei der drei U-Bahnlinien von Athen werden bestreikt, wie Medien berichteten.

Im Zuge eines umfassenden Privatisierungsprogramms infolge der Finanzkrise hatte die italienische Staatsbahn Ferrovie di Stato (FS) die griechische Bahn 2017 übernommen.

Rauch steigt auf, während Feuerwehrleute und Rettungskräfte nach einem Zusammenstoß zweier Züge in der Nähe von Larissa im Einsatz sind.
Rauch steigt auf, während Feuerwehrleute und Rettungskräfte nach einem Zusammenstoß zweier Züge in der Nähe von Larissa im Einsatz sind.

© dpa/Vaggelis Kousioras

In Larisa und vor der Zentrale der Bahngesellschaft Hellenic Train in Athen gab es am Mittwochabend Proteste. "Privatisierung tötet" stand auf Schildern der Demonstranten in Larisa. In Athen setzte die Polizei Tränengas gegen Demonstranten ein, die Steine auf das Bahngebäude warfen.

Mehr als zehn Personen werden noch vermisst

An der Unglücksstelle wurden bis Donnerstagnachmittag nach Angaben der Feuerwehr 48 Tote geborgen, von denen die meisten in den ersten drei Waggons gesessen hatten. Wegen des Feuers im Speisewagen sind manche Leichen bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, ihre Identifizierung muss mittels DNA-Test erfolgen. Mehr als 80 weitere Menschen wurden verletzt. Sie werden in Krankenhäusern in Larisa, Thessaloniki und Katerini behandelt, teilweise auf der Intensivstation.

Die Rettungskräfte arbeiteten sich am Donnerstag weiter mit schwerem Gerät durch verbogene Metalltrümmer. Einige Fahrgäste wurden am Donnerstag noch vermisst, genaue Angaben machten die Behörden allerdings nicht. Der Gerichtsmediziner Roubini Leontari vom Krankenhaus in Larisa sprach im Sender ERT von mehr als zehn Vermissten.

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„So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen“, sagte ein Rettungshelfer, der völlig erschöpft aus einem zerstörten Waggon kam. „Es ist so tragisch.“

Viele Studenten unter den Passagieren

„Es war ein Albtraum, ich zittere noch immer“, sagte der 22-jährige Passagier Angelos an der Unglücksstelle der Nachrichtenagentur AFP. „Glücklicherweise waren wir im vorletzten Waggon und kamen lebend heraus.“ Der Zusammenstoß habe sich wie ein „riesiges Erdbeben“ angefühlt. „Es gab ein Feuer in den ersten Waggons und totale Panik“, berichtete er.

„Im Moment des Unfalls sind die Fenster plötzlich explodiert“, berichtete ein anderer Passagier im Fernsehen. „Zum Glück konnten wir die Tür aufmachen und schnell entkommen. In anderen Wagen ist es den Leuten nicht gelungen.“

Gesundheitsminister Thanos Plevris sagte, in dem Personenzug hätten viele junge Leute gesessen. Seinen Angaben zufolge hatten viele Studierende den Zug genommen, um nach einem langen Wochenende zurück nach Thessaloniki zu fahren.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis besuchte am Mittwoch die Unglücksstelle und rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Er versprach, die Umstände des Unglücks vollständig aufzuklären. Das Unglück löste auch im Ausland große Betroffenheit aus. „Wir trauern mit unseren griechischen Freunden und denken an die Opfer und deren Angehörige“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz auf Twitter. (Tsp mit AFP/dpa)

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