zum Hauptinhalt

HINTERGRUND: Tode Zum verurteilt

Als Atomspione standen 1951 die Rosenbergs in den USA vor Gericht – und wurden hingerichtet. Sartre und der Papst hatten vergebens protestiert

Bereits der erste Stromschlag beendet sein Leben. Julius Rosenbergs Frau Ethel hat weniger Glück. Der elektrische Stuhl ist von seiner Größe her für einen Mann mittlerer Statur vorgesehen. Ethel Rosenberg ist klein und zierlich. Die Elektroden sitzen nicht richtig und finden keinen Kontakt. Rauch steigt von ihrem Kopf auf. Es bedarf zweier weiterer Stromschläge, bis endlich der Tod eintritt. Am 19. Juni 1953, kurz nach acht Uhr, sterben Julius und Ethel Rosenberg auf dem elektrischen Stuhl in Sing Sing, dem Staatsgefängnis nördlich von New York City.

Millionen Menschen hatten sich in diesem Fall engagiert – für und gegen die Vollstreckung des Todesurteils, das zwei Jahre zuvor, am 5. April 1951, gefällt worden war. Wegen Spionage. Man hatte den Rosenbergs vorgeworfen, das größte Geheimnis der Vereinigten Staaten an die Sowjetunion verraten zu haben: die Pläne für den Bau der Atombombe. Präsident Eisenhower lehnt schließlich die Begnadigung ab: „Die Hinrichtung zweier menschlicher Wesen ist eine ernste Angelegenheit. Aber noch ernster ist der Gedanke an die Millionen Toten, die den Taten dieser Spione möglicherweise direkt zuzuschreiben sein werden.“

Am Tag nach der Exekution antwortet dem Präsidenten in der französischen Tageszeitung „Libération“ der Schriftsteller Jean-Paul Sartre: „Sie, die Sie sich als Herren der Welt bezeichnen, hatten die Gelegenheit, zu beweisen, dass Sie zuerst Herren über sich selbst sind. Sie zogen es jedoch vor, Ihrer kriminellen Torheit nachzugeben. Dieselbe Torheit könnte uns morgen in einen Vernichtungskrieg hineinkatapultieren.“ Er ist nicht der Einzige. Auch Albert Einstein hatte sich für die Rosenbergs verwandt, ebenso Pablo Picasso, Frida Kahlo und Papst Pius XII.

Das Jahr 1918. Es ist Frühling in New York. Die grauen Häuserschluchten der South Bronx sind Heimstatt von Einwanderern aus aller Welt. Armut und Hunger sind allgegenwärtig. Ratten umkreisen die Mülltonnen. Der Gestank von Schimmel und Fäkalien erfüllt die Treppenhäuser. In einer schäbigen kleinen Wohnung erblickt am 12. Mai Julius Rosenberg das Licht der Welt. Mit seinen vier Geschwistern wächst er in der Lower East Side auf. Der Vater will, dass er Rabbi wird. Julius widersetzt sich. Er will Elektroingenieur werden. Am City College beginnt er zu studieren.

Das Elend der großen Depression in den 30er Jahren empört den Heranwachsenden, er sucht Kontakt zu kommunistischen Gruppen. Das Experiment einer sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion schlägt Julius wie viele seiner Zeitgenossen in seinen Bann. Obwohl er nie in die UdSSR reist, wird das Land für ihn zur Verkörperung seiner Träume. Er engagiert sich, Demonstrationen und die Mitarbeit im Steinmetz Club, einem Zweig der Jungen Kommunistischen Liga, bestimmen sein Leben.

Silvester 1936. Vor der Bühne einer gewerkschaftlichen Benefizveranstaltung steht eine junge Frau mit schwarzen Locken, Ethel Greenglass. Sie ist nervös. Es ist ihr anzumerken, dass sie zum ersten Mal vor einer großen Menschenmenge singt. Zögernd steigt sie herauf, ihre hohe Stimme erfüllt den Saal. Schlagartig wird es ruhig. Julius Rosenberg kann seine Augen nicht mehr von ihr wenden. Ein Freund stellt sie einander vor. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick.

Ethel Greenglass ist 21 und damit drei Jahre älter als Julius. Eigentlich will sie Schauspielerin werden, aber für das College hat sie kein Geld. Sie arbeitet in einer Spedition, die Bedingungen sind miserabel. Wie Rosenberg engagiert sie sich, während eines Streiks legt sie sich zusammen mit anderen auf die Straße, um die Fahrt der Lieferwagen zu blockieren. Ihre Ideale verbinden das Paar. Im Sommer 1939 heiraten sie, im Dezember desselben Jahres treten beide in die Kommunistische Partei der USA ein.

Der amerikanische Journalist Walter Schneir hat sein halbes Leben lang den Fall der Rosenbergs recherchiert, dazu amerikanische und sowjetische Akten eingesehen. In seinem letzten, 2010 erschienenen Buch „Final Verdict“ schildert er, wie Julius Rosenberg Spion der Sowjets wird. Der Zweite Weltkrieg berührt auch die Rosenbergs. Julius wird Zivilangestellter des US-Signal Corps. Der Angriff Nazideutschlands auf die UdSSR im Juni und die Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941 machen aus beiden Ländern Verbündete. Für Julius ist klar, dass er etwas tun muss, um den Russen im Kampf gegen den gemeinsamen Feind beizustehen.

Die KGB-Akten erwähnen den Namen Rosenberg zum ersten Mal 1942: Politischer Klatsch sei von einem Fremden, Julius Rosenberg, an Jacob Golos übermittelt worden, heißt es darin. Golos ist ein Veteran der sowjetischen Auslandsspionage in New York. Er geht unter den amerikanischen Kommunisten ein und aus.

Golos wird auf den technisch qualifizierten Idealisten aufmerksam und gewinnt den 24-jährigen Rosenberg für eine Mitarbeit. Er wird zum Leiter einer KP-Zelle. Diese ist damit beschäftigt, die von ihnen in amerikanischen Verteidigungseinrichtungen gesammelten Daten an Golos weiterzuleiten. Dessen Kontaktmann, der KGB-Agent Semjon Semjonow, hält den Wert dieser Nachrichten für gering. Aber Semjonow glaubt an das Potenzial der Gruppe und erreicht, dass die Zelle ihm persönlich unterstellt wird. Um keinen Verdacht durch seine kommunistische Parteimitgliedschaft zu erregen, verlässt Rosenberg 1943 die Partei.

Im Jahr 1944 nimmt alles eine dramatische Wendung. Ethel Rosenbergs jüngerer Bruder, David Greenglass, ebenfalls Kommunist, wird von seiner Einheit in Übersee zum Manhattan-Projekt überstellt. Manhattan-Projekt ist der Deckname für die Entwicklung der Atombombe. Greenglass ist Techniker, er erhält eine Anstellung in Los Alamos, New Mexiko, wo die Bemühungen zum Bau der Bombe konzentriert werden. Als Rosenberg von Davids Frau Ruth davon erfährt, informiert er die Russen.

Für die ist unzweifelhaft, dass David Greenglass’ Arbeit mit der Entwicklung der Atombombe zu tun hat. Der KGB in New York bittet Moskau um Erlaubnis, David und Ruth Greenglass als Mitarbeiter engagieren zu dürfen. Diesem Ersuchen wird am 3. Oktober 1944 stattgegeben. Greenglass wird beauftragt, Zeichnungen und Dokumente herauszuschmuggeln. Diese sollen an seine Kontaktperson übergeben und nach Moskau weitergeleitet werden. Verbindungsmann für Greenglass wird schließlich Julius Rosenberg.

Am 10. Februar 1945 geschieht etwas Unerwartetes: Rosenberg wird als Inspekteur des US-Signal Corps entlassen. Irgendwie haben seine Vorgesetzten erfahren, dass er früher Mitglied der KP war. Der KGB ist alarmiert. Sollte das FBI auf ihn aufmerksam werden, droht ihr Netz aufzufliegen. New Yorks KGB-Abteilung erhält sechs Tage später ein Memorandum: „Obwohl wir kein dokumentierendes Material darüber besitzen, dass dem FBI bewusst ist, in welchem Ausmaß Rosenberg vor seiner Entlassung mit uns zusammenarbeitete, müssen wir den Umständen Rechnung tragen. Wir erachten es als notwendig, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um beide (Rosenberg) als auch die Agenten, mit denen er verbunden war, zu schützen.“ Julius Rosenberg wird von allen Aufgaben entbunden. Andere sollen seine Aufgaben übernehmen. Alexander Feklissow, Semjonows Nachfolger, wird angewiesen, Rosenberg nicht mehr zu treffen. Mit dem 16. Februar ist dessen Arbeit für den KGB beendet.

3. September 1949. Ein amerikanisches Flugzeug stellt auf seinem Flug entlang der sibirischen Küste Reste einer radioaktiv