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Unter Denkmalschutz: Braunau streitet um Hitlers Geburtshaus

Ein Thema mit Explosivkraft: Was tun mit Hitlers Geburtshaus? Abreißen darf man es nicht. Zurzeit steht es leer. Was auch immer die Gemeinde damit vorhat – es gibt sofort großes Geschrei.

Es war vielleicht etwas ungeschickt, dass man die Frau Pommer nur informiert hat und nicht gefragt. Und dann auch noch so kurzfristig. Da lag die Tafel mit der Inschrift nämlich schon fix und fertig beim Steinmetz, und die Ausnehmung in der Wand, an der die Tafel angebracht werden sollte, war auch schon da.

Das hat der Beziehung wahrscheinlich nicht geholfen. Auch, dass die Sache dann vor Gericht gelandet ist, wo Frau Pommer ihre Angst vor Anschlägen ins Feld führte und am Ende recht bekam.

Wahrscheinlich ist es kein Wunder, dass die Frau Pommer sich übergangen gefühlt hat und dass das Verhältnis zur Stadt Braunau abgekühlt ist. Und dass seitdem alles so schwierig geworden ist mit der Frau Pommer und ihrem „Privateigentum“, das zufällig das Geburtshaus von Adolf Hitler ist.

Wie eine nicht entschärfte Weltkriegsbombe steht das Haus noch in der Stadt, merkwürdig aktuell wird das Thema in Braunau immer wieder. Es gibt kein Spezialkommando, das den Zünder entschärfen konnte. Die Bombe geht immer mal wieder hoch. Die Stadt gerät dann in die Defensive, sieht sich genötigt, „Zeichen“ zu setzen. Wie im Jahr 2011, als sie Adolf Hitler einstimmig die Ehrenbürgerschaft aberkannte, vorsorglich, denn es ließ sich nicht belegen, dass er sie je erhalten hatte.

Zuletzt hat im letzten Herbst das russische Duma-Mitglied Franz Klinzewitsch verkündet, er wolle zwei Millionen Euro sammeln, das Geburtshaus kaufen und dann abreißen lassen. Quasi als letzten symbolischen Akt einer Siegermacht. Aber das geht natürlich nicht, weil das Haus unter Denkmalschutz steht. Nicht wegen des berühmten Sohns, sondern wegen der Bausubstanz aus dem 17. Jahrhundert, versteht sich.

„Maximale Publicity mit minimalem Aufwand,“ sagt Florian Kotanko zu solchen Vorschlägen. Kotanko gründete 1993 die Braunauer Zeitgeschichte-Tage, die einmal im Jahr stattfinden. Er ist seit 1974 Lehrer für Geschichte und Latein und leitet heute das Braunauer Gymnasium. Seit Jahrzehnten verfolgt er, welche Eruptionen die Entwicklungen an einem 500 Jahre alten Haus in der Welt auslösen können. Was natürlich stellvertretend ein Zeichen dafür ist, dass die Aufarbeitung des Dritten Reiches noch nicht abgeschlossen ist. Dass nun der Kampf über Symbole, Aussagen und Bedeutungen ausgefochten werden muss.

Seit über einem Jahr steht das Haus leer, obwohl die Miete noch weiter fließt an eben jene Frau Pommer, Erbin der Gastwirte, die das Haus 1912 gekauft hatten. Die Frau Pommer habe keinerlei Änderungen an ihrem Haus gewünscht, keine Hinweistafel und auch keine baulichen Veränderungen, die die letzten Nutzer so dringend gebraucht hätten: Eine Behindertenwerkstatt der „Lebenshilfe“ befand sich darin, die einen Lift und Barrierefreiheit gewollt hätte.

Ein Pilgerort für Nazis - das wollte die Gemeinde unbedingt verhindern

Weshalb die Frau Pommer nun von vielen als letzte Kriegsgewinnlerin bezeichnet wird, in Österreich, wo jährlich knapp 60 000 Euro an Steuergeldern privatisiert werden, die das Innenministerium als Miete an die Frau bezahlt, ob da jetzt ein Nutzer drinnen ist oder nicht. So dass die Welt die Erbin heute wahrnimmt als halsstarrige alte Dame, die noch nie mit einem Journalisten gesprochen hat.

„Alte Dame, naja, das würde sie wahrscheinlich nicht so gerne hören“, sagt Kotanko. Vielleicht Anfang 60 schätzt er sie. Über die Motive, sich allen Umbauten zu verweigern, können alle nur rätseln.

Die Lösung mit den Behinderten, sagt er, die war optimal. Es war quasi ein Mahnmal, das auf keine Erklärung angewiesen war. Die Behinderten hatten gewonnen, das war die Aussage. Alle fanden das elegant. Aber, sagt Kotanko, ein zweites Mal könne man das nun nicht machen. Wissenschaftler hätten ihnen dringend abgeraten. Sollten sie erneut eine Werkstatt dort einrichten, „dann heißt es, wir würden Behinderte instrumentalisieren. Als Feigenblatt.“

Nichts, sagt Kotanko, bliebe an diesem Haus unkommentiert. Kaum ändere sich etwas, entstehe von außen ein gewaltiger „Erlösungsdruck“, dass ja nun so viele Jahre nach dem Krieg einmal etwas entschieden sein müsse. „Da fragen die dann: Ja, warum überlegen die denn noch?“ Allein die Erscheinung des Hauses, das gerade wieder etwas verfällt. Lässt man’s, sagen sie: „Aha, jetzt lassen sie’s zusammenfallen.“ Wenn sie’s renovieren sagt man: „Aha, jetzt richten sie es her!“

Kotanko ist ein gründlicher Mensch. Er wollte wissen, wie es die anderen Geburtsorte mit ihren Diktatoren halten. Also sah er sich Gori in Georgien an, den Geburtsort Stalins. Und das italienische Predappio, wo Mussolini geboren wurde. Dort kann man für das Geburtshaus Eintrittskarten kaufen, der Ort lebt von den Besuchern. In Gori steht noch ein 17 Meter hohes Stalin-Denkmal vor dem Rathaus, ein monumentales Museum, und das Geburtshaus wurde 1937 mit einem riesigen Mausoleum überbaut.

Verglichen mit beiden ist Braunau am Inn klein und quasi von niemandem besucht. Wie glatt gespachtelt fließt zäh der Fluss, der schon die Grenze zu Deutschland ist. Am österreichischen Ufer ist schlagartig alles lieblicher, älter, bunter. Die Sprache dreht in ein weicheres Idiom, kann die Dinge aber mit größter Schärfe benennen. Die Brücke von Deutschland überquerte der übergroß geratene Sohn der Stadt 1938 zum „Anschluss“ Österreichs in seiner Geburtsstadt, in der er drei Jahre lang gelebt hat.

Vom historischen Stadtplatz durch das jahrhundertealte Tor hinaus ist es das siebte Haus links. Dort spreizt es stabil seine Fundamente in den Boden, seit dem 17. Jahrhundert tut es das, drei Geschosse, davor eine Bushaltestelle, fünf Minuten parken zehn Cent.

Es beherbergte 1889 im Erdgeschoss eine Gaststätte und Brauerei. Der Privatsekretär Hitlers, Martin Bormann, kaufte das Haus für viel Geld später von der Familie Pommer und wollte eine Gedenkstätte daraus machen. Nach dem Krieg konnten die Pommers es für sehr kleines Geld wieder zurückkaufen. Es war dann eine Volksbücherei, in der auch Florian Kotanko als Junge Bücher ausgeliehen hat, dann eine Schule, in der etliche Braunauer Lesen und Schreiben lernten. Dann kam die Behindertenwerkstatt. Eine Mitarbeiterin, die Jahre in dem Haus gearbeitet hat, berichtet, dass am 20. April, an Hitlers Geburtstag, immer mal wieder Blumen im Fenster gelegen hätten. Chinesische Touristen kamen, in deren Reiseführern stand, Hitler sei im Dachgeschoss geboren. Was nicht stimmt. Es gelte, befand die Gemeinde, unter allen Umständen zu verhindern, dass der Ort eine Pilgerstätte würde. Dabei kam ihnen gelegen, dass die dummen Nazis jahrelang auch ins tschechische Braunau gefahren sind und dort partout kein Geburtshaus finden konnten.

Und nun ist es halt so eine Sache mit dem Privateigentum der Frau Pommer. Als klar war, dass es keine Hinweistafel am Haus geben würde, „ist ihnen eingefallen, dass der Gehsteig öffentliches Land ist“, sagt Gisela Heitzinger. Sie erhebt seit 33 Jahren ihre Stimme im „Demokratischen Chor Braunau“, immer um die Zeit der Befreiung der KZs singen sie. Arbeiterlieder, Lieder in der Tradition Brechts und Musik, die sich gegen den Krieg auflehnt.

1989 wälzte die Gemeinde den Gedenkstein vors Haus

Auf dem Gehsteig ließe sich doch ein Gedenkstein anbringen! Der Leiter des Chores habe 1989 die Idee zu dem Granitblock aus dem Steinbruch des KZ Mauthausen gehabt. Und der damalige Bürgermeister war sofort begeistert. Ohne den Gemeinderat wegen der Kosten zu konsultieren, sagte er zu. Er organisierte einen Lkw für den Transport und kümmerte sich um eine Sondergenehmigung in Mauthausen. Denn auch der Steinbruch des KZs steht unter Denkmalschutz.

„Wenn wir noch etwas länger hier stehen, würden sich die Leut’ ihren Teil denken“, sagt Heitzinger. Gelb-weiß fleckt das Haus vor sich hin. Es ist bis heute die empfindlichste Stelle der Stadt, umgeben von einem unsichtbaren Gespinst aus Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Aber hat dieses Haus im praktischen Leben irgendwelche Folgen für die Braunauer?

Naja, sagt Heitzinger und lacht. Es gibt das vermutlich weltweit einmalige Trauungsverbot in der Stadt am 20. April. Vor über zehn Jahren habe sich nämlich ein Paar zur Hochzeit angemeldet. Gerade noch rechtzeitig sei die Stadt dahinter gekommen, dass der Bräutigam ein bekannter Neonazi war, und habe die Hochzeit verhindern können, zu denen die Gäste mit Bussen anreisen sollten. Seitdem gilt das kategorische Trauungsverbot.

„Trauungsverbot?“ Da weiß der Bürgermeister nichts davon. Johannes Waidbacher wählt die Nummer des Standesamts. „Tatsache.“ Seit 2001.

Waidbacher lässt sich in einen Sessel fallen, der auf vier Tatzen ruht, und damit in die fast 800 Jahre alte Geschichte der Stadt. Sie erzählt vom Wohlstand durch den Salzhandel, von Kriegen und Kämpfen, bayerischer Herrschaft, österreichischer Herrschaft, und einer folgenreichen Geburt keine 200 Meter von hier.

Merkwürdigerweise wirkt es von außen immer so, als seien vor allem die Belange der Frau Pommer zu schützen. „Privateigentum“ sagt auch der Bürgermeister und zuckt die Schultern. Man kann die Frau ja schlecht enteignen. Rechtsstaatlich ist alles in Ordnung. Und durch das Bedauern über die gebundenen Hände scheint ein freudiger Stolz auf eben diese Rechtsstaatlichkeit, denn sie ist ja das Gegenteil einer Diktatur.

Und das Haus? „Das ist ein historisches Fakt“, sagt er. Das ist der Satz. Der Satz, an dem nichts falsch sein kann. Ist es also noch immer so, wie berichtet, dass das österreichische Innenministerium das Haus für 4700 Euro im Monat mietet?

„Das ist der Betrag, den das Innenministerium zahlt.“

Also nicht der Betrag, den die Stadt wiederum als Untermieter an das Innenministerium überweist?

„Nein, die Kosten werden nach einem bestimmten Kostenschlüssel aufgeteilt.“ Wie hoch sie genau sind, will Waidbacher nicht sagen.

Nun steht das Haus ja seit über einem Jahr wieder leer. Der Stand der Dinge?

Es wurde ein Arbeitskreis eingesetzt, der die neue Verwendung finden soll, der „klärt gerade die Rahmenbedingungen“. Und die Rahmenbedingungen werden nun mal von der Frau Pommer gesetzt.

„Sozial. Karitativ. Edukativ.“ Solch eine Nutzung wünsche die Stadt.

Ah, ja. Konkret waren ja zuletzt die Volkshochschule oder ein Zentrum für die Integration für Migranten im Gespräch?

„Sozial. Karitativ. Edukativ“, sagt Waidbacher noch einmal und lacht, als würde man so nicht merken, dass er sich verweigert. Diese vollautomatischen Antworten sind vielleicht nur so zu erklären, dass Waidbacher schon in Teufels Küche gekommen ist für Äußerungen, die er jetzt nicht mehr wiederholen würde („Wir sind als Stadt Braunau nicht bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist.“) Dass er also vorsichtig geworden ist. Dass er jetzt nichts sagen will, was in der Welt wiederholt wird und was er dann eventuell wieder zurücknehmen muss, und dann sehen sie wieder ganz besonders kleinstädtisch aus mit ihren knapp 20 000 Einwohnern. 800 Kinder werden im Jahr in Braunau geboren. Die Geburtsabteilung des Krankenhauses, sagt Waidbacher, genießt in der gesamten Region einen sehr guten Ruf.

Gegenüber dem Rathaus hat in der Konditorei Knollmayr Florian Kotanko Platz genommen, ein in jeder Hinsicht stabiler Mensch. Es ist natürlich verführerisch, in dem Umgang Braunaus mit seinem kleinen Erbe wie unter einem Brennglas den Umgang der Deutschen mit dem großen Erbe des gesamten Dritten Reich zu sehen. Alles ist da: Da ist die Phase der Verdrängung. Die wütend behauptete Normalität. Was von einer Phase der symbolischen Akte, der „Zeichen“ abgelöst wurde, bis irgendwann, mit dem Ableben der meisten Zeitzeugen, alle einigermaßen normal darüber reden können.

Nicht ganz falsch, im Großen und Ganzen, sagt Kotanko. Wobei Österreich im Speziellen für seinen Bewusstseinswandel die Waldheim-Affäre hatte. „Ich habe nur meine Pflicht getan“, hat Kurt Waldheim über seine lange verschwiegene Rolle in der NS-Zeit gesagt. Das war der Satz. Der Satz aller Beteiligten, weil an der Pflicht bislang ja nichts falsch gewesen war.

Die Österreicher begriffen mit diesem umstrittenen Bundespräsidenten, der international isoliert blieb, dass sie nicht nur Opfer waren. Dass es auch in Österreich eine Aufarbeitung geben musste. Es war in dieser Zeit, 1989, dass Braunau seine Verantwortung in Form eines Gedenksteins aus Mauthausener Granit vor das Geburtshaus des Verursachers in die Salzburger Vorstadt 15 wälzte.

Kotanko gefällt, dass es nun unmöglich ist, das Haus ohne den Stein aus dem KZ zu fotografieren. Seitdem sie ihn haben, können sie Touristen, die das Geburtshaus suchen, den Weg zum Mahnmal weisen – „dahinter liegt dann das Haus“.

Es wäre, sagt Kotanko, wahrscheinlich das Schlaueste, „wenn die Frau Pommer es herschenken würde“. Aber nun muss er zurück an seine Schule, einen landesweiten Prüfungstag vorbereiten. Er erhebt sich und setzt die Baskenmütze auf. Es war ihm eine historische Verpflichtung.

Dieser Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.

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