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Ein schwules Paar, dessen Schicksal in der Doku "Welcome to Chechnya" erzählt wird.

© Public Square Films

Berlinale-Doku über Tschetschenien: Ein Höllenland für Homosexuelle

Hart: „Welcome to Chechnya“ dokumentiert die Arbeit einer russischen Hilfsorganisation, die Homosexuelle vor Verfolgung und Folter in Tschetschenien rettet.

Die Stimme der Anruferin ist ruhig, doch der Inhalt ihres Telefonats dramatisch.

Sie lebt in der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Ihr Onkel hat herausgefunden, dass sie lesbisch ist, jetzt erpresst er sie mit diesem Wissen. Er will Sex mit ihr erzwingen, andernfalls werde er ihren Vater informieren.

Der ist ein hoher Regierungsbeamter. „Mein Vater wird mich umbringen, wenn er das erfährt“, sagt die Frau. „Ihr müsst mich hier rausholen.“

Der Film bekommt den "Teddy Activist Award"

So beginnt die erschütternde Dokumentation „Welcome to Chechnya“, die Menschen in den Mittelpunkt stellt, die unter widrigsten Bedingungen für queere Rechte kämpfen. Dafür werden sie am Freitagabend mit dem neuen „Teddy Activist Award“ ausgezeichnet.

Willkommen, das wird von Beginn an klar, sind Homosexuelle in Tschetschenien eben nicht. Ganz im Gegenteil begann dort 2017 eine unvorstellbare Verfolgung von Schwulen und Lesben. Hunderte wurden verhaftet, im Gefängnis gefoltert.

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Einige wie der Popsänger Zelim Bakaev verschwanden, ohne dass ihr Schicksal jemals geklärt wurde. Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch geht von mehreren Todesopfern aus. „Homosexualität ist in Tschetschenien eine so große Schande, dass sie nur mit Blut gesühnt werden kann“, sagt ein queerer Aktivist im Film. Das Regime von Ramsan Kadyrow basiert auf Repressionen – und es nutzt den Homohass in der Bevölkerung gezielt, um die eigene Macht zu festigen: Die Verfolgung wurde von ganz oben angeordnet.

Ein LGBT-Netzwerk in Moskau hilf in Tschetschenien Verfolgten

Regisseur David France ist bekannt für seine Dokus über queere Geschichte. Wie sein Film über Marsha P. Johnson, eine Ikone des Stonewall-Aufstands, oder sein Werk über die Aids-Epidemie der Achtziger. In „Welcome to Chechnya“ schafft er es, ganz nahe bei den Verfolgten zu sein – und ebenso bei denjenigen, die ihnen helfen.

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Monatelang hat France die Arbeit eines russischen LGBT-Netzwerks begleitet. Diese Aktivistinnen und Aktivisten riskieren ihr Leben, um Opfern die Flucht zu ermöglichen, sie in Moskau zu verstecken und in ein anderes Land zu bringen.

Immer wieder sind Handyaufnahmen von Übergriffen auf Homosexuelle aus Tschetschenien zu sehen. Schwer erträgliche Szenen sind das, genauso wie die Erzählungen der Entkommenen. Einem Gefangenen setzten Polizisten eine Ratte auf dem Rücken, stülpten einen Topf über das Tier und erhitzten diesen, berichtet ein Mann: „Die Ratte versuchte sich förmlich durch das Opfer durchzubeißen um der Hitze zu entkommen.“

Dass sich Verfolgte so ausführlich öffentlich äußern und filmen lassen, ist selten. Zu groß ist die Gefahr, erkannt zu werden. Die Schergen des Regimes oder die eigene Familie könnten sie noch nach der Flucht ausfindig machen. Um ihre Anonymität zu wahren und sie trotzdem nicht – wie in solchen Fällen üblich – nur im Schatten zu zeigen, greift France auf Körper- und Stimmdoubles zurück. Diese werden digital auf die Gefilmten projiziert.

Bis heute gab es keine gerichtliche Untersuchung der Verfolgung

Sie bekommen so visuell quasi eine neue Identität: Genauso wie sie im richtigen Leben ihre Spuren verwischen müssen, um unauffindbar zu bleiben.

Maxim Lapunov ist der Protagonist aus "Welcome in Chechnya", dessen wahre Identität zum Schluss offenbart wird. Er forderte öffentlich von Moskau, die Jagd auf Homosexuelle in Tschetschenien zu untersuchen.
Maxim Lapunov ist der Protagonist aus "Welcome in Chechnya", dessen wahre Identität zum Schluss offenbart wird. Er forderte öffentlich von Moskau, die Jagd auf Homosexuelle in Tschetschenien zu untersuchen.

© Tobias Sschwarz/ AFP

["Welcome to Chechnya" wird auf der Berlinale nochmal an folgenden Terminen gezeigt: 28.2., 14.30 Uhr (Colosseum 1), 29.2., 21.30 Uhr (Cubix 9). Mehr zur Berlinale lesen Sie in unserem Newsblog.]

Umso verblüffender die Szene, in der einer der schwulen Männer in Moskau vor die Presse tritt, um öffentlich eine Gerichtsuntersuchung der Verfolgung zu fordern – und genau in dem Moment sein wahres Gesicht enthüllt wird. „Das einzige, worum ich bitte, ist Gerechtigkeit“, sagt er.

Bis heute hat er diese nicht bekommen. Bis heute hat die grausame Jagd auf Homosexuelle auch politisch keine Konsequenzen gehabt – weder in Russland noch im Westen, der die Vorgänge eher pflichtschuldig kritisierte. Man kann nur hoffen, dass sich das mit diesem Film endlich ändert.

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