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Eine Demo für die Ehe für alle im vergangenen Jahr in Berlin.

© Alex Heinl/dpa

Interview zur Ehe für alle: "Die SPD muss noch Hausaufgaben machen"

Kanzlerkandidat Martin Schulz muss jede Koalition ausschließen, in der sie die Ehe für alle nicht durchsetzen kann - das fordert Alfonso Pantisano, einer der wichtigsten LGBT-Aktivisten in Deutschland.

Herr Pantisano, Sie haben vor vier Jahren die Initiative „Enough is Enough“ mitgegründet, die schnell zur größten deutschen Plattform für LGBT-Rechte wurde. Vor kurzem haben sie dort aufgehört. Warum? Die Ziele der Initiative, allen voran die Eheöffnung, sind doch noch gar nicht erreicht.

Petitionen und Online-Aktivismus sind zwar immer noch präsent. Aber die Zeiten haben sich verändert. Wir müssen in die Parteien und in die Parlamente gehen und versuchen, dort etwas zu bewirken. Wir können auf der Straße Menschen für Themen sensibilisieren. Aber die tatsächliche Arbeit, die tatsächliche Veränderung findet in den Parlamenten statt.

Auf welche Parteien sind Sie zugegangen, wie wurden Sie empfangen?

Ich habe mit Vertretern der Linken gesprochen, mein Bruder arbeitet für den Bundesvorsitzenden der Linken. Ich habe immer wieder mit den Grünen geredet. Mit der SPD habe ich am meisten Stress gehabt.

Warum?

Weil ich sauer bin auf die SPD. Sie haben dieses Wahlversprechen nicht eingehalten.

Sie spielen darauf an, dass die SPD bereits 2013 mit der Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare in den Wahlkampf gezogen ist.

Genau. Nachdem Schulz vor einer Woche mit der Formulierung rauskam, er macht die Ehe für alle zu seinem Wahlkampfthema, war ich echt ein wenig entsetzt. Das war schon Wahlkampfthema bei der letzten Bundestagswahl, was ist denn daraus geworden? Da müsste man noch einige Hausaufgaben machen, liebe SPD.

Wie hat die SPD auf diese Kritikpunkte reagiert?

Ich bin in den letzten drei, vier Jahren immer wieder auf Gegenwehr gestoßen bei der SPD. Sie haben die Karte des kleineren Koalitionspartners gespielt – und argumentiert, wir als Aktivisten müssten verstehen wie Politik funktioniert, dass man sich den größeren Zielen einer Koalition unterordnen müsste. Das ist ein Totschlagargument, weil andere Themen natürlich immer wichtiger als die Ehe für alle seien. Von Schulz müssen wir jetzt fordern, dass er sich klar positioniert. Was ich wissen will: Wie wird er, wie wird die SPD reagieren, wenn sie wieder als kleiner Partner in eine Regierung eingeladen werden? Ist es ein absolutes No Go, die Ehe für alle wieder unter den Tisch fallen zu lassen?

Haben Sie schon Mitglieder aus Schulz' Wahlkampfteam getroffen?

Im Moment spreche ich auch immer wieder als Aktivist mit dem Wahlkampf-Team von Schulz und erkläre, was wir von Schulz fordern und von der SPD erwarten. Sie beraten sich mit mir: Was wäre eine richtige Strategie? Sollen wir es jetzt mit der Eheöffnung versuchen oder später?

Die SPD will die Ehe für alle schon beim nächsten Koalitionsausschuss am Dienstag auf die Tagesordnung setzen. Was halten Sie davon?

Viele kritisieren das. Ich finde das völlig legitim. Sie haben ja nie gesagt: Wenn wir an die Regierung kommen, gibt es innerhalb von fünf Monaten die Ehe für alle. Sie wollten das in der Legislaturperiode durchbringen. Die Legislaturperiode läuft noch, also warum nicht jetzt?

Kommt der Vorstoß nicht dennoch ein bisschen spät, nach dem Motto: Wir versuchen noch schnell alle Enttäuschten einzusammeln?

Das ist Quatsch. Wenn ich als Regierungszeit vier Jahre habe, arbeite ich bis zum letzten Tag. In den USA hat Barack Obama auch bis zum letzten Tag Erlasse durchgesetzt.

Mit Grünen und Linken könnte man ja jederzeit die Ehe für alle im Bundestag durchsetzen.

Das ist natürlich so ein Spiel. Rot-rot-grün hätte gerade mal eine Mehrheit von neun Stimmen. Die Geschichte könnte da auch sehr schnell durchfallen, das ist ein Risiko. Mich ärgert immer noch am meisten, dass viele Leute gar nicht wissen, dass wir Schwulen und Lesben in Deutschland gar nicht heiraten dürfen. Und dass immer noch so viele sagen: Bei Kindern hört es auf, ich möchte nicht, dass Homosexuelle Kinder adoptieren. Man muss den Leuten die Wahrheit sagen: Die Bundesregierung nimmt Homosexuelle als Pflegefamilien mit Kusshand, damit sie sich um zerstörte Kinderseelen kümmern.

Die Bundeskanzlerin bringt immer ihr Bauchgefühl als Argument, wenn es um die Adoption geht.

Das ist mit dem Bauchgefühl ist die größte Verarschung, die ich je von einer Bundeskanzlerin gehört habe. Denn wir Homosexuelle dürfen ja längst Kinder adoptieren, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits genehmigt. Aber es geht nur über Umwege. Als homosexuelles Paar müssen wir zwei getrennte Verfahren  vor Gericht durchgehen, im Fachjargon heißt das Sukzessivadoption, also die Adoption beider Elternteile hintereinander. Aber die gemeinsame Adoption mit einem einfachen Verfahren und einmaligen Kosten vor Gericht wird uns verwehrt. Wenn das keine Schikane ist! Wir Homosexuelle sind gute Eltern. Selbst Jens Spahn möchte Kinder adoptieren. Es ist an der Zeit, dass die CDU ihm diesen Wunsch erfüllt.

Haben Sie auch schon mit Unionsvertretern im Parlament gesprochen?

Es ist schwer, mit der Union zu sprechen. Die, mit denen ich in Kontakt komme, geben mir unter der Hand Recht und plädieren dafür, der CDU mehr Zeit zu geben, weil sie noch nicht so weit ist. Ich frage mich, wo die noch nicht soweit sind. Die müssen doch nichts Astronomisches genehmigen.

Nach Ihren ersten Eindrücken im Parlament – was bringt es mit Politikern zu sprechen?

Früher hatte ich das Gefühl, die Politiker interessiert nicht so richtig, wie die Stimmung auf der Straße ist. Das wird jetzt aber durchaus bei mir abgefragt: Was braucht ihr, was fordert ihr, wo müssen wir unsere Sprache verändern? Von vielen im Parlament wird die Ehe für alle ja eigentlich schon als sichere Sache gesehen. Dennoch haben sie Angst sie durchzusetzen aus Sorge, sie würden dann Wähler an die AfD verlieren. Dabei ist es genau umgekehrt: Wenn wir jetzt nicht klar machen, dass wir als demokratisches Land alle Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz tatsächlich gleichbehandeln, geben wir die AfD noch sehr viel mehr Macht. Andere Länder haben die Gleichstellung auch durchgebracht, darunter erzkatholische wie Argentinien, Brasilien und Mexiko. Gott hat zur Strafe keine Stürme und auch nicht Pest und Cholera geschickt. Ganz im Gegenteil: Dort entstehen gute, neue Familienstrukturen. Das wünsche ich mir für mein Land, für Deutschland, ebenfalls.

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