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Filmdrama „Wir beide“: Der Flur wird zum Graben
Filippo Meneghetti erzählt in seinem warmherzigen Debütspielfilm „Wir beide“ von einem Frauenpaar, das mit über 70 in eine schwere Krise gerät.
Stand:
Als die Waschmaschine in den Schleudergang schaltet, weiß Mado (Martine Chevallier), dass sie aufgeflogen ist. Während das Gerät immer lauter rumpelt, sieht sie durch das Schaufenster der Reinigung, wie sich der Blick ihrer rauchenden Geliebten Nina (Barbara Sukowa) verfinstert.
Denn neben Nina ist der Immobilienmakler aufgetaucht, der Mados Wohnung verkaufen sollte. Mit dem Geld wollten die Frauen in Rom ein neues Leben beginnen. Doch Mado hat es nicht geschafft, der Familie von ihrer Beziehung zu erzählen, und dem Makler heimlich abgesagt. Die schon lange in Frankreich lebende Nina fühlt sich verraten und explodiert mitten auf der Straße. „Du bist erbärmlich“, wirft sie ihrer herausgeeilten Freundin noch an den Kopf und marschiert in die andere Richtung.
Klopfen, Hämmern, Klingen
Mado und Nina sind über 70, leben in einer Provinzstadt und sind schon lange ein Paar. Filippo Meneghetti zeigt sie zu Beginn seines warmherzigen Spielfilmdebüts „Wir beide“ in inniger Vertrautheit im Bett, beim Frühstück, beim Tanzen.
Dass sie nicht im selben Appartement, sondern in zwei gegenüberliegenden Wohnungen leben, wird nicht direkt klar, weil sie ständig zusammen zu sein scheinen. Offiziell sind sie nur Nachbarinnen. Denn Mado – Witwe mit zwei erwachsenen Kindern und einem Enkel – scheut sich, offen zu ihrer Liebe zu stehen. Konflikte hält sie schlecht aus. Und so haut der Streit vor der Reinigung sie um – Schlaganfall. Zwar darf sie bald nach Hause zurück, doch Sprechen und Laufen kann sie nicht.
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Plötzlich ist Nina auf sich selbst und ihre spärlich eingerichtete Wohnung zurückgeworfen. Freunde hat sie offenbar keine. Ihr Lebensglück sitzt nur ein paar Meter entfernt, umsorgt von einer Pflegerin und einer Tochter, die Nina kaum einmal zu Mado lassen.
Der Flur zwischen den Appartements wird zu einem kaum überbrückbaren Graben. Türen, die stets offenstanden, sind nun verschlossen. Das Klopfen, Hämmern und Klingen an Türen wird zu einem Leitmotiv des Films, der nach der ersten halben Stunde vor allem von der großartigen Barbara Sukowa getragen wird. Sie macht die Verzweiflung, die Ungeduld und die Leidenschaft ihrer Figur so anschaulich, dass man fast wie in einem Thriller mit ihr fiebert.
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Das wird noch verstärkt durch subtile Suspensemomente, die Regisseur Meneghetti, der zusammen mit Malysone Bovorasmy und Florence Vignon auch das Drehbuch schrieb, immer wieder einbaut. Etwa als sich Nina in Mados Wohnung schleicht. Als Spezialeffekte dienen dem atmosphärisch an Chabrol-Filme erinnernden Drama unscheinbare Details wie die Waschmaschine oder ein langsam in der Pfanne verkohlendes Gericht.
In den letzten zehn Jahren sind Filme, in denen ältere Menschen im Mittelpunkt stehen, zahlreicher geworden, was wohl auch daran liegt, dass diese Altersgruppe verstärkt als Zielpublikum erkannt wurde – Seniorinnen und Senioren gehen noch ins Kino und streamen nicht nur. Ob das auch in der Pandemie so bleibt, ist fraglich.
Mini-Signale an die Geliebte
„Wir beide“ wäre es zu wünschen, dass sich ein generationsübergreifendes Publikum in die Säle traut, es ist die rare Gelegenheit, einmal ein älteres lesbisches Paar auf der Leinwand zu sehen. Filippo Meneghetti setzt seine Darstellerinnen mit viel Feingefühl in Szene – und zeigt, dass die Liebe auch jenseits der 70 alle Widerstände überwinden kann.
Wobei nicht nur Nina für das Paar kämpft, sondern auch Mado. Ihr Hindernis ist dabei ihr Körper, den sie sich in Minischritten zurückerobert. Allmählich gelingt es ihr, kleine Signale an Nina zu senden. Und als Mado gegen Ende an einem Bingospiel teilnimmt, ist das fast so spannend wie eine Verfolgungsjagd: Ganz langsam kehrt eine wichtige Erinnerung zurück.
In zwölf Berliner Kinos. OmU: Delphi Lux, Moviemento, Xenon
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