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Demonstration vor dem Bundestag unter dem Motto „Amtsmissbrauch stoppen Bunt statt grau: Die Regenbogenfahne am CSD muss wehen“.

© imago/Metodi Popow/IMAGO/M. Popow

Update

„Jagd auf Regenbogenfahnen“: Bundestagsabgeordnete müssen Flaggen in ihren Büros abhängen – Verwaltung spricht von „Routinevorgang“

Mit Verweis auf die Hausordnung fordert die Bundestagsverwaltung Abgeordnete dazu auf, Regenbogenflaggen aus ihren Büros zu entfernen. Die Betroffenen sind empört.

Stand:

Der Regenbogenfahnen-Streit im Bundestag geht in die nächste Runde: Zu Beginn dieser Woche sind mehrere Abgeordnete, die in oder an ihren Büros Flaggen aufgehängt hatten, dazu aufgefordert worden, diese zu entfernen.

Eine von ihnen ist Lina Seitzl von der SPD, in deren Büro im Paul-Löbe-Haus anlässlich des Berliner Pride Month zwei Regenbogenfahnen hingen. Telefonisch sei sie am Montag von der Bundestagsverwaltung zum Abhängen aufgefordert, berichtet die Abgeordnete im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Dies sei mit Bezug auf die Hausordnung geschehen. „Ich bin mir nicht sicher, ob man die Flaggen von außen sehen konnte, aber das war wohl der Grund“, so Seitzl, die selbst nicht zur queeren Community gehört. Die Flaggen seien für sie ein Zeichen für Vielfalt und Respekt.

Ebenfalls mit einem Verweis auf die Hausordnung wurde die Linken-Abgeordnete Stella Merendino per Mail aufgefordert, eine Regenbogenflagge zu entfernen, die aus dem Fenster ihres Abgeordnetenbüros in der Dorotheenstraße hing. Es befindet sich im dritten Stock und geht in den Innenhof.

Die Abgeordnete für Berlin-Mitte schreibt auf Anfrage: „Es ging uns darum, ein Zeichen des Widerspruches zu setzen gegen die Entscheidung von Frau Präsidentin Klöckner, die Regenbogenfahne dieses Jahr nicht mehr auf dem Bundestag hissen zu lassen als auch gegen die Aussage eines Kanzlers Merz, der Bundestag sei kein Zirkuszelt.“

Die Fahne an ihrem Büro hat Merendino dann entfernt – ebenso wie einen kleinen Regenbogenaufkleber in Form eines Herzens an ihrer Türe. „Später am Tag ist uns zugetragen worden, dass auch die Polizei im Bundestag gerufen worden war und im Innenhof überprüfte, ob wir der Aufforderung nachgekommen sind“, so die Abgeordnete, die vor ihrer Wahl in den Bundestag als Gesundheits – und Krankenpflegerin in einer Notaufnahme gearbeitet hat.

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In der Hausordnung des Deutschen Bundestages heißt es im Paragraf 4: „Das Anbringen von Aushängen, insbesondere von Plakaten, Postern, Schildern und Aufklebern an Türen, Wänden oder Fenstern in den allgemein zugänglichen Gebäuden des Deutschen Bundestages sowie an Fenstern und Fassaden dieser Gebäude, die von außen sichtbar sind, ist ausnahmslos nicht gestattet.“

Dieser Paragraf geriet in den Fokus, weil Abgeordnete die Bundestagsverwaltung darauf aufmerksam gemacht hatten, „dass in von außen sichtbaren Fenstern von Abgeordnetenbüros die in Rede stehenden Flaggen angebracht waren“, teilt Mathias Paul, Sprecher von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), auf Anfrage des Tagesspiegels per Mail mit. Da das laut Hausordnung eben „grundsätzlich und unabhängig von der konkreten Symbolik“ nicht gestattet sei, habe die Bundestagsverwaltung die Sachverhalte überprüft, schreibt Paul weiter.

Mehrere Fälle werden geprüft

Es handele sich um einen „Routinevorgang“, so der Sprecher: „Dass Abgeordnete bzw. Abgeordnetenbüros mit Verweis auf die Hausordnung gebeten werden, etwas aus ihren Bürofenstern oder von sichtbaren Fassaden/Wänden zu nehmen, passiert immer wieder.“ Derzeit würden mehrere Fälle zu Regenbogenflaggen geprüft. Wie viele Abgeordnete und welche genau betroffen sind, sagt der Sprecher nicht.

Dass Abgeordnete bzw. Abgeordnetenbüros mit Verweis auf die Hausordnung gebeten werden, etwas aus ihren Bürofenstern oder von sichtbaren Fassaden/Wänden zu nehmen, passiert immer wieder.

Mathias Paul, Sprecher von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU)

Paul weist in seiner Antwort wiederholt darauf hin, dass es sich um ein allgemeines Verbot handele, „es geht nicht konkret um die Kontrolle von Regenbogenfahnen. Betroffen wären auch andere Fahnen oder Aushänge.“ Sobald etwas von außen sichtbar sei oder in einem Flur, müsse es entfernt werden.

Die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Nyke Slawik, sagt dem Tagesspiegel hingegen: „Ich merke persönlich, wie sich der Wind im Parlament gedreht hat und dass die Prioritäten nun darauf liegen, Regenbogen im Bundestag unsichtbar zu machen.“

Ihr selbst sei bereits vor einigen Wochen untersagt worden, ein Foto mit einer Regenbogenfahne im Paul-Löbe-Haus zu machen. „Auch entsprechende Fotoaktionen unserer Fraktion mussten außerhalb des Bundestages stattfinden“, so die Abgeordnete.

Ich merke persönlich, wie sich der Wind im Parlament gedreht hat und dass die Prioritäten nun darauf liegen, Regenbogen im Bundestag unsichtbar zu machen.

Nyke Slawik, queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag

Sven Lehmann von den Grünen, der in der letzten Legislaturperiode Queer-Beauftragter der Bundesregierung war, hatte während dieser Zeit aufgrund der Regenbogenflaggen in seinem Büro keinerlei Probleme.

Inzwischen ist der Kölner Abgeordnete als Kulturausschussvorsitzender in andere Räume im Paul-Löbe-Haus gezogen – auch hier gibt es wieder Regenbogenflaggen, die allerdings bisher nicht beanstandet wurden. „Was ich von den Kolleg*innen höre, die dazu aufgefordert wurden, ihre Fahnen abzunehmen, ist sehr befremdlich. Das habe ich so in den vergangenen Legislaturperioden nicht erlebt. Für mich hat das Vorgehen von Julia Klöckner eine neue Dimension“, sagt Lehmann.

Die neuerlichen Vorfälle reihen sich ein in die Debatte um die „Neutralitätspflicht“, auf die die Bundestagsverwaltung kürzlich verwiesen hatte, als sie dem Regenbogen-Netzwerk des Bundestages eine Teilnahme am Berliner CSD untersagte. Daran hatte es massive Kritik gegeben, genau wie an Klöckners Entscheidung, zum Berliner CSD-Tag anders als in den Vorjahren keine Regenbogenflagge zu hissen.

Die SPD-Abgeordnete Lina Seitzl sagt am Telefon, dass sie von der Aufforderung, die Flaggen wegzunehmen, überrascht war: „Mir wäre daran gelegen, wenn sich die Bundestagspolizei mit relevanten Sicherheitsfragen beschäftigen würde, statt Jagd auf Regenbogenfahnen zu machen.“ Diese erscheine ihr „ein bisschen lächerlich“ – gerade auch angesichts der kürzlich erhöhten Sicherheitsvorkehrungen im Bundestag, die verhindern sollen, dass Verfassungsfeinde sich Zugang oder Zugriff verschafften.

Ähnlich argumentiert die Grünen-Abgeordnete Nyke Slawik: „Täglich gehen hier im Bundestag Menschen mit rechtsextremen Verbindungen ein und aus bei der AfD. Diese Verfassungsfeinde sollten lieber genau im Auge behalten werden, statt nun Jagd auf die Regenbogenfahne zu machen.“

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