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© Tsp/Jana Demnitz

Queere Menschen in Thüringen: „Es ist dramatisch, wie unsichtbar queeres Leben ist“

Wir haben mit Luna Karsubke vom Queeren Zentrum Erfurt über queere Personen im Freistaat gesprochen und welche Rolle die Landtagswahl für die Community spielt. 

Stand:

Luna Karsubke, Ihre Beratungsstelle, die hauptsächlich mit Landesmitteln gefördert wird, gibt es erst seit 2021. Andere Bundesländer sind da weiter. Woran liegt das?
Wir sind froh, dass es unser Zentrum überhaupt in der Erfurter Innenstadt gibt. Nur durch ehrenamtliche Arbeit und viele Demonstrationen haben wir uns eine finanzielle Förderung erkämpft. Seit 2008 gibt es in Thüringen den Verein „Vielfalt Leben – QueerWeg“, der auch unser Träger ist.

Der Verein fing klein an, zunehmend etablierte er sich als Träger wichtiger queerer Veranstaltungen. Mit der Koordinierungsstelle in Jena, dem queeren Jugendzentrum QuWeer in Weimar und dem Queeren Zentrum wurde schon viel geschaffen. Aber insgesamt gibt es in Thüringen sehr wenig queere Räume, was ein Problem ist.

Mit welchen Problemen haben Sie zu kämpfen?
Mit all unseren Aufgaben – Beratung beim Coming-out, bei der Transition von trans Personen, Beratung für Angehörige von queeren Personen, Weiterbildung in Schulen und Behörden – waren wir von Anfang an voll ausgelastet. Wir sind insgesamt nur sieben Personen, darunter eine Verwaltungskraft und eine FSJ-Stelle, und zuständig für ein ganzes Bundesland, das mehr als 2,1 Millionen Einwohner:innen hat.

Für eine niedrigschwellige Beratung haben wir aktuell eine Wartezeit von einem Monat. Wir würden auch sehr gerne in Dörfern Veranstaltungen und Beratungstermine anbieten. Unsere Kapazitäten reichen aber überhaupt nicht aus.

Das Queere Zentrum in der Erfurter Innenstadt

© Tsp/Jana Demnitz

Welche Beratungsanfragen erreichen Sie von Menschen, die auf dem Land leben?
Es gibt zum Beispiel ältere trans Frauen, die sich in kleinen Orten geoutet haben und die nun irgendwie in ihrem Dorf damit klarkommen müssen. Im dörflichen Umfeld erleben sie viel Diskriminierung und viel Unverständnis. Wir versuchen, sie auf ihrem weiteren Weg zu begleiten. Viele Anfragen erreichen uns auch von jungen queeren Personen.

Wir haben es mit zum Teil massiven Diskriminierungsfällen zu tun.

Luna Karsubke, Projektkoordinatorin Queeres Zentrum Erfurt

Sie haben Probleme in der Schule, mit der Familie, oder kämpfen mit ihrer allgemeinen Lebenssituation. In diesem Kontext haben wir es ebenfalls mit zum Teil massiven Diskriminierungsfällen zu tun. Das Wissen über queere Lebensrealitäten ist immer noch sehr begrenzt bei vielen Menschen hier und es gibt immer noch sehr viele Vorurteile.

Wir sind froh, dass wir so ein gutes Netzwerk haben, dass wir mit Frauenhäusern zusammenarbeiten und der Antidiskriminierungsstelle kooperieren. Aber auch da reichen die Kapazitäten im Freistaat überhaupt nicht aus.

In Thüringen gab es in den letzten zehn Jahren eine rot-rot-grüne Koalition. Ihre Schilderungen erstaunen unter dieser linken Regierung.
In jedem Förderantrag schreiben wir, dass wir mehr Mittel brauchen, bisher wurden wir finanziell aber nicht besser ausgestattet. Im letzten Jahr ist noch ein weiteres Thema hinzugekommen: Wir beraten auch viele queere geflüchtete Menschen. Sie finden uns im Internet und hoffen, dass hier ein Ort ist, an dem sie einmal willkommen sind. Viele queere Geflüchtete werden in den Erstaufnahmeeinrichtungen oder in den Gemeinschaftsunterkünften nicht hinreichend geschützt.

Sie wurden in ihren Heimatländern angefeindet und jetzt werden sie hier in den Unterkünften angefeindet. Das heißt, der Beratungsbedarf ist noch einmal komplexer, gravierender und existenzieller. Die Beratungsfälle werden auch durch das gesellschaftliche Klima komplexer.

Es gibt in Thüringen eine ganz, ganz große Dunkelziffer an struktureller und individueller Gewalt.

Luna Karsubke, Projektkoordinatorin Queeres Zentrum Erfurt

Unter welchen gesellschaftlichen Umständen leben hier queere Personen?
Vor diesen Landtagswahlen gibt es in vielen Medienberichten gerade ein bestimmtes Narrativ: Aktuell ist doch alles okay für queere Menschen hier in Thüringen. Aber wenn erst eine rechte Landesregierung kommt, dann wird es richtig schlimm. Das stimmt aber nicht! Es ist für queere Menschen schon immer schwierig, hier zu leben.

Ich bin 2008 aus Schleswig-Holstein fürs Studium nach Thüringen gekommen. Schon damals haben queere Personen mit Ignoranz, Diskriminierung und Anfeindungen gelebt. Es gibt kaum Communityorte. Wir haben höchstens queerfreundliche Orte. Es ist dramatisch, wie unsichtbar queeres Leben ist.

Können Sie das genauer beschreiben?
Viele queere Personen sind zum Beispiel nur hier bei uns im Zentrum geoutet. Sie trauen sich nicht, sich im beruflichen Kontext zu outen, weil die Diskriminierung immer noch so massiv ist. Ich habe das als trans Frau selbst bei einem ehemaligen Arbeitgeber erlebt. Da wurde mir im Bewerbungsgespräch gesagt: „So als Frau dürfen sie hier aber nicht auftreten, unseren Klienten geht es schon schlecht genug. Wir wollen ihnen ja nicht noch eine zusätzliche Belastung zumuten.“ 

Neben der Unsichtbarkeit queeren Lebens sind auch die gesamte Diskriminierung und die Gewalt gegenüber queeren Menschen unsichtbar in Thüringen. Es werden keine Zahlen dazu gesondert erfasst.

Es gibt in Thüringen keine etablierte Stelle, wo queerfeindliche Gewalt erhoben wird?
Richtig. Es gibt keine Kontaktperson bei der Polizei oder andere institutionelle Stellen, an die sich queere Menschen mit solchen spezifischen Anliegen und Vorfällen wenden können, und wo solche Daten gesondert gesammelt werden. Es ist ein bundesweites Problem, immerhin haben andere Bundesländer aber zumindest Ansätze für dieses Problem entwickelt.

Da wir als etablierter Community-Ort mit sehr vielen queeren Personen sprechen, kann ich sagen, es gibt in Thüringen eine ganz, ganz große Dunkelziffer an struktureller und individueller Gewalt, nicht nur in Familien, sondern auch in Schulen. Wir sind keine qualifizierte Antidiskriminierungsberatungsstelle, wir haben keine extra Mittel dafür. Aus unserer täglichen Arbeit heraus können wir nur immer wieder alarmierend sagen: Die Zahlen sind besorgniserregend und die Situation ist für queere Menschen in Thüringen katastrophal.

Viele queere Personen seien aus Angst vor Diskriminierung nur im Queeren Zentrum geoutet, sagt Luna Karsubke.

© Tsp/Jana Demnitz

Welche konkreten Erfahrungen werden Ihnen geschildert?
Es kommen beispielsweise queere Geflüchtete zu uns, die sich in ihrer Unterbringung unsicher fühlen oder Beratung zu queeren Themen wünschen. Einige schildern uns im Anschluss, dass das Queere Zentrum der erste Raum in ihrem Leben ist, an dem sie sich sicher fühlen und sie selbst sein können.

Oder es kommen queere Schüler:innen zu uns, die teilweise von Mitschüler:innen, oft aber leider auch vom Lehrpersonal Diskriminierung erleben. Die positiven Erfahrungen sind aber auch, dass sich initiativ Lehrer:innen an uns wenden, und sich erkundigen, wie sie zum Beispiel mit einer Namensänderung angemessen umgehen. An diesen Stellen zeigt sich auch der starke Bedarf an flächendeckenden Bildungsangeboten.

Wie erklären Sie sich diese unzureichende Förderung von Beratungs- und Bildungsangeboten in Thüringen?
Auch andere soziale Akteur:innen wie z.B. Frauenhäuser werden nicht hinreichend finanziell ausgestattet. Ich habe ein bisschen das Gefühl, die Haltung in der Politik ist seit wenigen Jahren: Es gibt eine feste Summe für soziale Arbeit und Beratung, und damit müssen wir jetzt klarkommen. Die Dringlichkeit für eine größere Förderung dringt an den entscheidenden Stellen nicht durch.

Sie sind ja selbst auch von Diskriminierung betroffen.
Ich erlebe sehr viele Anfeindungen. Viele sehen mich als Bedrohung. Als queere trans Frau bin ich das Schreckgespenst der rechten Menschen schlechthin. Es gibt einschüchternde Blicke, diskriminierende Sprüche, Menschen spucken vor mir aus. Und was ich seit 2008 hier erlebe und was sehr bedrückend ist: Wenn ich in der Innenstadt bin, sehe ich immer Neonazis, teilweise mit sichtbaren Hakenkreuzen, teilweise auch mit anderen deutlich erkennbaren rechtsextremen Insignien.

Das ist meine alltägliche Erfahrung. Es ist schockierend, wie normal das hier ist. Und ich hoffe, dass sich das endlich einmal ändert und auch Neonazi-Strukturen stärker in den Fokus geraten. Das adressiere ich ganz klar an die Politik und an die Polizei, ebenso aber auch an die Zivilbevölkerung. Auch Neonazi-Konzerte sind hier in Thüringen völlig normal und akzeptierter. In meiner anderen Heimat Schleswig-Holstein war das nicht so.

Dennoch sind Sie in Erfurt geblieben.
Mein ganzes queeres Outing, meine ganzen queeren Anteile, die ich offensichtlich in mir trage und mit denen ich mittlerweile sehr glücklich bin, habe ich hier in Thüringen entdeckt. Thüringen ist meine Heimat geworden. Das sage ich genauso, wie AfD-Politiker Björn Höcke das sagt. Und der kommt ursprünglich auch nicht aus Thüringen. Das ist aber auch meine Heimat. Und die lasse ich mir nicht einfach so nehmen. Ich gehöre hier auch mit dazu.

Das ist aber auch meine Heimat. Und die lasse ich mir nicht einfach so nehmen. Ich gehöre hier auch mit dazu.

Luna Karsubke, Projektkoordinatorin Queeres Zentrum Erfurt

Was macht bei Ihnen dieses Heimatgefühl aus?
Ich habe hier studiert und meinen beruflichen Weg angetreten. Ich kenne die Stadt, hier ist mein soziales Umfeld, ich bin hier verwurzelt. Mir begegnen so viele Menschen, mit denen ich gerne weiterleben möchte und bei denen ich merke, es hat einen positiven Effekt, alleine dadurch, dass sie mich als queere Person kennen.

AfD-Wahlplakat in Erfurt: „Im derzeitigen Wahlkampf nehmen die Community, andere marginalisierte Gruppen und auch ich die vielen menschenfeindlichen Wahlplakate als Bedrohung war“, sagt Luna Karsubke.

© Tsp/Jana Demnitz

Am Sonntag ist die Landtagswahl. Laut Umfragen könnte die AfD mit 30 Prozent stärkste Kraft werden.
Mir ist noch einmal ganz wichtig zu betonen: Für queere Personen war es noch nie gut in Thüringen. Mit diesem zu erwartenden Wahlergebnis für die AfD besteht aber die reale Gefahr, dass wir die wenigen queeren Orte, die essenziell für viele Menschen sind, wieder verlieren.

Eine Zäsur und ein Wendepunkt waren für uns aber bereits die Europa- und Stadtratswahl vor einigen Monaten. Von mehreren Parteien kamen Forderungen, die Förderung unseres Queeren Zentrums einzustellen. Das ist für uns eine ganz konkrete Bedrohung. Von der AfD kommt sie direkt, andere Parteien kaschieren ihre Queerfeindlichkeit mehr.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist auf Bundesebene gegen den „Gender-Wahn“, in Thüringen sind wir derzeit in intensiven Gesprächen mit der neu gegründeten Partei, und die CDU scheiterte Anfang des Jahres im Thüringer Landtag mit ihrem Antrag, das Gendern in der Verwaltung und in Schulen zu verbieten.

Wir haben trotzdem die Hoffnung, dass es eine Mehrheit geben wird, die bereit ist, diesen Ort weiter zu erhalten, weil der Bedarf einfach so hoch ist. Im derzeitigen Wahlkampf nehmen die Community, andere marginalisierte Gruppen und auch ich die vielen menschenfeindlichen Wahlplakate als Bedrohung war. Ich bin froh, wenn der Wahlkampf vorbei ist.

Wie hat die AfD das gesellschaftliche Miteinander Ihrer Meinung nach verändert?
Gerade mit Björn Höcke und seinen rassistischen und rechtsextremen Aussagen hat sich die Stimmung hier polarisiert. Sagbare Dinge haben sich nach rechts verschoben und konstruktive Debatten werden immer schwieriger. Der Hass ist stärker und spürbarer geworden.

Der Hass ist stärker und spürbarer geworden.

Luna Karsubke, Projektkoordinatorin Queeres Zentrum Erfurt

Ich merke aber gerade auch in Thüringen, dass es so viele Menschen gibt, die sich positionieren und die in eine Auseinandersetzung mit dieser rechtsextremen politischen Bewegung gehen, die die AfD mit in Bewegung gesetzt hat. Sie haben total Bock auf Vielfalt und Demokratie.

Sie möchten, dass Migrationspolitik endlich ordentlich läuft, aber in einem anderen Modus, als Höcke sich das vorstellt. Es gibt eine große Öffnung auf der einen Seite, auf der anderen Seite sind Menschen, die in ihren menschenfeindlichen Positionen immer verhärteter werden. In welche Richtung sich das weiterentwickelt, ist gerade überhaupt nicht absehbar. 

Welche Forderungen stellen Sie an die kommende Landesregierung?
Wir fordern eine institutionelle Förderung für dieses Queere Zentrum. Wir möchten eine finanzielle Absicherung, sodass wir über mehrere Jahre mit einem Festbetrag arbeiten können. Zudem müsste viel mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, um in allen größeren Städten in Thüringen queere Zentren aufzubauen. Im Moment wird sehr viel von ehrenamtlichen Personen geleistet. Das ist untragbar und muss sich ändern.

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