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Psychotheraphiestunde.

© imago/Westend61/IMAGO/Bonninstudio

Queersensible Psychotherapie: „Es hilft, ein Bewusstsein für verschiedene Formen der Diskriminierung zu haben“

Weil die Lebensrealität queerer Menschen in Therapien oft nicht ernst genommen wird, richtet sich das Angebot von Flora Färbers Praxis speziell an diese Gruppe. Ein Gespräch über Bildungslücken, Stress und Freude.

Stand:

Flora Färber, woran merken Sie, dass es Bedarf queersensible Therapie gibt?
Selbst in einer Stadt wie Berlin, die als queeres Mekka gilt, passiert es noch immer, dass Patient*innen in eine Praxis gehen und seltsame Kommentare erhalten, nur weil sie nicht heterosexuell sind. Noch gravierender wird es, wenn man trans ist, von Rassismus oder angeborener Neurodivergenz, wie ADHS oder dem Autismus-Spektrum, betroffen ist. In solchen Fällen fühlen sich Betroffene oft nicht gut aufgehoben, weil ihre Themen oder Lebensrealitäten nicht ernst genommen werden.

Gerade bei trans Menschen oder Menschen, die von Rassismus betroffen sind, ist der Bedarf groß, dass die Therapie ein sicherer Raum ist und das Gegenüber versteht, wie mächtig bestimmte Formen von Diskriminierung sein können. Menschen, die nicht cis-geschlechtlich sind, nicht-monogame Beziehungen führen, nicht bestimmten Schönheitsidealen entsprechen oder nicht weiß sind, erleben in der Therapie oft Diskriminierung, werden nicht ernst genommen oder ihre Erfahrungen werden kleingeredet.

Gibt es psychische Krankheiten, von denen queere Menschen stärker betroffen sind?
Wenn man nicht weiß, hetero, cis-geschlechtlich, neurotypisch und finanziell abgesichert ist, hat man ein höheres Risiko, gesundheitlich belastet zu sein. Allein durch die eigene Existenz besteht eine größere Gefahr, in allen Lebensbereichen Gewalt zu erleben. Benachteiligung in Ämtern, Schulen, am Arbeitsplatz oder im Gesundheitssystem macht Menschen krank. Das ist die logische Konsequenz, wenn grundlegende Bedürfnisse nicht erfüllt werden oder man sich nicht frei und sicher fühlen kann.

Wie behandelt man am besten Krankheiten, die durch Diskriminierung hervorgerufen werden? Am liebsten möchte man ja die Gesellschaft ändern, oder?
Ja, aber es gibt verschiedene Ansätze. Eine große Rolle spielt die Vorstellung der jeweiligen Person. In den Sitzungen überlegen wir gemeinsam, wie die Therapie helfen kann. Es hilft, ein Bewusstsein für verschiedene Formen der Diskriminierung zu haben und zu erkennen, dass patriarchale und kapitalistische Strukturen, sowie Sexismus und Rassismus und andere Ismen, Diskriminierung verursachen.

Es liegt also nicht einfach am „Pech“, dass man zum Beispiel immer wieder respektlos behandelt wird. Für manche Menschen ist es hilfreich, den Arbeitsplatz oder den Wohnort zu wechseln, wenn das möglich ist. Oder sie schaffen sich ein Umfeld, in dem sie so wenig Diskriminierung wie möglich erfahren. Deshalb gibt es so viele queere Clubs, Lesezirkel und andere queere Gruppen. Und trotz solcher Veränderungen im Lebensalltag bleibt das Leben für Minderheiten immer schwerer, gefährlicher und anstrengender. Therapie kann bei der Bewältigung dieser schrecklichen Realität helfen.

Was sind die Hauptunterschiede der queersensiblen Psychotherapie zur herkömmlichen Therapie?
Der Hauptunterschied bei Therapeut*innen besteht darin, dass sie ihre Queerfreundlichkeit klar kommunizieren, etwa auf ihrer Website. Bei der Anamnese sollte nicht automatisch nach Vater und Mutter gefragt werden, sondern beispielsweise nach Fürsorgepersonen.

Es wird auch nicht von Heteronormativität und Monogamie ausgegangen. Menschen aus der kinky Szene oder Sexworker*innen, die selbstbestimmt arbeiten, werden nicht pathologisiert. Bei trans Menschen ist es wichtig, die aktuellen Leitlinien zu kennen und diese auch umzusetzen, ohne sie unnötig zu einer längeren Therapie zu zwingen, bevor sie die nötigen Unterlagen für medizinische Transitionsschritte erhalten.

Selbst wenn Leid durch Therapie nicht vollständig verschwindet, verringern sich Symptome oder die Lebensqualität steigt.

Psychotherapeut*in Flora Färber

Das klingt nach viel Fortbildungsarbeit.
Auf jeden Fall. Das liegt vor allem daran, dass Therapeut*innen in der grundständigen Approbationsausbildung meist keine Kompetenzen diesbezüglich vermittelt bekommen und danach diese Bildungslücke nicht zeitnah schließen, trotz vieler sehr guter Angebote. Was ein absolutes No-Go ist und leider auch passiert, ist, dass Patient*innen in der Therapie die Bildungslücken ihrer Therapeut*innen kompensieren müssen.

Was sind schöne Erlebnisse, die Sie während Ihrer Arbeit gemacht haben?
Ich arbeite mit etwa 90 Prozent trans Menschen. Bei all dem Leid, der Gewalt und Diskriminierung, die sie im Gesundheitssystem und Alltag erfahren, ist es immer wieder schön zu erleben, wie Menschen aufblühen, wenn sie im Rahmen der Psychotherapie, die sich gemäß den aktuellen Leitlinien ausrichtet, unterstützt werden, so sein zu dürfen, wie sie sind. Und wenn sie den für sie passenden Weg zu finden und gehen, sei es durch Hormonersatztherapie oder Operationen. Gesetzt den Fall, dass das gewünscht sein sollte, denn man kann auch ohne körperverändernde Maßnahmen als trans Mensch zufrieden sein.

Es ist beeindruckend zu sehen, welche positiven und vielfältige Effekte die psychotherapeutische Förderung von Selbstbestimmung und Entfaltung des eigenen Seins in der Welt auf das Leben von trans Menschen hat. Mag nicht jedes Leid vollständig verschwinden, verringern sich aber Symptome oder die Lebensqualität steigt, was einfach schön ist.

Was würden Sie Menschen raten, die sich erstmals mit Psychotherapie auseinandersetzen? Egal, ob Menschen sich als queer identifizieren oder nicht, möchte ich sie ermutigen, nach eine*r Therapeut*in zu suchen, der*die zu ihnen passt. Auch, wenn es zu wenig Therapieplätze gibt, was übrigens daran liegt, dass die Krankenkassen das Angebot künstlich verknappen. Es gibt genug Therapeut*innen, nur nicht genug Therapieplätze. Kassen rechnen kapitalistisch und mit veralteten Bedarfszahlen aus den 90er Jahren.

Trotzdem darf man bei der Therapieplatzsuche anspruchsvoll sein und auch die Therapie abbrechen, wenn man immer wieder den Eindruck hat, über bestimmte Dinge in der Therapie nicht sprechen zu können oder sich nicht gut behandelt zu fühlen. Wenn trotz wiederholter Versuche, die schwierigen Dinge direkt mit der Therapieperson zu klären, keine ausreichende Besserung eintritt, dann ist es sinnvoller abzubrechen.

Therapie kann nur wirklich gut wirken, wenn sich die therapeutische Beziehung zwischen Patient*in und Therapeut*in trotz aller Herausforderung und anstrengenden Momente insgesamt „richtig“, vertrauensvoll, hilfreich und sinnvoll anfühlt. Und man sollte lieber früher die Suche nach einem Therapieplatz beginnen, auch wenn man denkt, die Lage ist noch halbwegs tragbar, weil es so lange Wartezeiten gibt.

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