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Ikara. Nicht nur an den Stränden verläuft das Leben hier sehr entspannt.

© Georg Ismar

Griechenland: Rote Insel in blauem Meer

Nach Ikaria wurden einst Griechenlands Kommunisten verbannt. Tourismus gibt’s kaum, dafür viel Herzlichkeit.

Auf Ikaria herrscht keine Eile. Der einzige Bus, der an diesem Tag die beiden größten Städte Agios Kyrikos und Evdilos verbindet, hat bereits 25 Minuten Verspätung. Als es um kurz vor eins los geht, schlurft Stiven Karapitos über die Hafenpromenade und bedeutet dem Busfahrer mit einem Winken, doch bitte zu warten. Er leert noch rasch seine Bierflasche, packt den soeben gekauften Fisch in seinen Umhängebeutel und steigt dann ein.

Der Mann mit den zottigen grauen Haaren, einem dicken Schnauzbart im unrasierten Gesicht und einem Cowboyhut auf dem Kopf hat schon mittags eine beträchtliche Fahne. Angesprochen auf die besondere Geschichte der griechischen Insel in der Ägäis, ruft der 74-Jährige: "Wir sind alle Kommunisten hier." Er sieht sich angesichts der Schuldenkrise nicht nur in Griechenland im Recht: "Jeder sieht doch gerade, wie der Kapitalismus auch den Euro zugrunde richtet." Der Bus fährt vorbei an der örtlichen Zentrale der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), die blauen Fensterläden sind verschlossen, die roten Fahnen mit den Lettern KKE und Hammer und Sichel wogen träge im Wind hin und her.

Bevor Stiven Karapitos in einem kleinen Dorf aussteigt, berichtet er, wie Ende der 40er Jahre tausende Kommunisten nach der Niederlage im griechischen Bürgerkrieg nach Ikaria verbannt wurden, zwischen 10 000 und 15 000 sollen es gewesen sein. Nach dem Abzug der deutschen Besatzungsmacht 1944 und wechselnden Regierungen verlor die linke Volksfront in den Kämpfen von 1946 bis 1949 gegen Konservative und Monarchisten, 1947 wurde die KKE verboten. Viele kommunistische Exilanten wurden von den Bewohnern Ikarias aufgenommen - und infiltrierten sie mit ihrer Ideologie.

Während der Bus sich die Gebirgsstraße hinauf windet, vorbei an der gelben Blütenpracht der Sparta-Pflanze, erzählt Karapitos so manche Räuberpistole, aber er sagt auch: "Die Kommunisten passten irgendwie hierher." Viele blieben hier - erstaunlicherweise überdauerte auch ihre Ideologie. Als kleine Insel mit 9000 Einwohnern, die administrativ der Nachbarinsel Samos untersteht, lässt sich zwar nur sehr begrenzt eine originär kommunistische Politik realisieren - doch das Lebensgefühl ist es, wo diese Prägung zum Vorschein kommt.

Der Komponist und Schriftsteller Mikis Theodorakis, der die Musik zur Verfilmung des Romans "Alexis Sorbas" komponierte, berichtet über sein Exil auf Ikaria, das 1947 begann: "Wenn ich an Ikaria denke, durchströmt mich warmes Licht. Es ist die Schönheit dieser Insel in Kombination mit der Herzlichkeit der Menschen, sie öffneten ihre Häuser und ihre Herzen für uns." Immer wieder werden derart romantische Töne angestimmt, es wird berichtet, wie die Kommunisten Schulen auf der von Athen fast vergessenen Insel mit aufbauten. Es gab nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des sich anschließenden rund dreijährigen Bürgerkriegs keine Straßen, jegliche Infrastruktur fehlte.

Für die Kommunisten war es nach der Niederlage der Volksfront und der Flucht zahlreicher KKE-Funktionäre nach Moskau nicht die schlimmste Strafe. "Die kühle Seeluft berauschte mich, hellte meine Stimmung auf und machte mich unerklärlich glücklich", resümiert Theodorakis. "Was für ein wunderbarer Platz, was für wunderbare Menschen. Sie halfen mir zu vergessen, dass ich hier im Exil bin." Nach dem Fall der Militärjunta 1974 wurde die KKE legalisiert - auf Ikaria wurde sie im Laufe der Jahre zur stärksten Macht. Ikaria firmiert deswegen auch als "rote Insel". Bei Wahlen gewinnt die Partei zwischen 30 und 40 Prozent, seit kurzem stellt sie auch alle drei Bürgermeister der Insel, die gut zweimal so groß ist wie Sylt.

"Wenn Kuba irgendwann mal fällt, sind wir wohl die letzte kommunistische Insel", sagt Dimitra Kambouris, die gemeinsam mit ihrem Mann Vasili eine Pension betreibt. Von ihrer Terrasse, die gesäumt ist von blauen Tonkrügen und wo die vom Sturm zerzauste griechische Fahne im Wind flattert, blickt sie auf den feinen Strand und das tiefblaue Mittelmeer.

Scheppernde Durchsagen dringen herüber, ein Lautsprecherwagen windet sich oberhalb des Hauses die Küstenstraße herunter und verkündet, dass die KKE für den nächsten Abend eine Kundgebung plant, um gegen Israels Gaza-Politik zu demonstrieren. Vasili Kambouris berichtet derweil, wie Anfang der 90er Jahre die Kommunisten zur Eröffnung des kleinen Flughafens mit schwarzen Fahnen am Rollfeld Trauer trugen - zu viel Anbindung an die Welt jenseits von Ikaria ist bei einigen Bewohnern scheinbar unerwünscht.

"Die Kommunisten wollen hier gar nicht zu viel Tourismus", sagt Vasili Kambouris. "Hier wird viel wert auf die Gemeinschaft gelegt, die Insel war stets arm, das förderte das gegenseitige Teilen." In der Tat: Die Menschen sind überaus freundlich, jegliches Geldstreben ist den meisten fremd. Gäste wohnen meist in kleinen Pensionen und können vor allem in der Nebensaison das seltene Gefühl erleben, weiße Strände in Steinbuchten für sich allein zu haben. Das Wasser ist türkisfarben, nicht zu Unrecht heißt ein Strand "Seychellen-Strand".

Die Zahl der Touristen ist hier mit einigen Tausend überschaubar - was für viele besonders reizvoll ist. Die Nachbarinsel Samos hingegen lockt jedes Jahr hunderttausende Urlauber an, sie verfügt über eine ausgereifte All-Inklusive-Struktur. "Die wissen, wie man Geld verdient", sagt Kambouris. Die Prozentzahlen für die KKE bei Wahlen bewegen sich auf Samos im niedrigen einstelligen Bereich.

Über ihr Wirken sprechen wollen die wenigsten Funktionäre und verweisen für Informationen an die KKE-Zentrale in Athen, aber unter der Hand ist Kritik zu hören, dass sie sich Zugang zu Privilegien verschaffen. "Die größten Kommunisten haben die größten Häuser hier - es eine bizarre Form des Kommunismus", sagt eine Bewohnerin.

In den kleinen Fischerdörfern sitzen ein paar Einheimische in den Bars, den Blick meist aufs Meer gerichtet. Ist mal das Benzin im Tank des Mopeds leer, sind sich die Fischer auch nicht zu schade, mit einem Schlauch Benzin aus dem eigenen Motorrad abzuzapfen und in den Tank des fremden Gastes umzuleiten. Geld lehnen sie entrüstet ab und bestellen stattdessen dem Gast ein Bier.

Entlang der staubigen Schotterpisten sind großartige Blicke auf die felsige Küste zu erhaschen, per Hupen müssen die zahllosen Ziegen verscheucht werden. Den Weg säumen immer wieder Lastwagen- und Autowracks, die anscheinend schon seit Jahren dort vor sich hinrosten. Und allgegenwärtig sind die Graffiti der KKE mit Slogans wie "Raus aus der Nato" oder Konterfeis von Che Guevara.

In der Inselhauptstadt Agios Kyrikos sitzt Zacharias Glarios vor seinem Kiosk. Er ist das, was man einen eingefleischten Kommunisten nennt, und er kennt die Geschichte hier gut. "Sieben Leute von uns haben schon im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) mitgekämpft." Er sei Mitglied der KKE, "weil sie die Einzigen sind, die gegen das System kämpfen".

Die Einführung des Euro sei ein Fehler gewesen, das sehe man ja jetzt, wo Griechenland vor der Pleite stehe. "Es geht doch vor allem gegen die kleinen Leute", sagt Glarios und schlürft seinen Kaffee aus, reichlich schwarzer Satz klebt am Tassenboden. "Die KKE war die einzige Partei, die das Finanzdebakel vorausgesagt hat." Auch wenn Ikaria anders ist als die vom Tourismus lebenden Inseln drum herum, so spürt man auch hier die Krise. Die Touristenzahl ist um bis zu 20 Prozent eingebrochen. Marsha Kritikos betreibt 100 Meter von Glarios’ Kiosk entfernt das Hotel Akti mit Blick auf den Hafen der Insel, die nach Ikarus benannt ist.

In der Krise kann auch eine Chance liegen, gibt sich Marsha Kritikos optimistisch. "Besonders Deutsche, die hier vorbeikommen, betonen die Solidarität mit uns. Vielleicht kann die Situation zu einem stärkeren Zusammenhalt in Europa führen." Zusammenhalt, das ist, was immer wieder erzählt wird, wenn es darum geht, warum die KKE hier so stark ist.

TIPPS FÜR IKARIA

ANREISE

Jüngst verhinderte Ikarias KKE, dass eine Firma Wasserflugzeug-Verbindungen nach Ikaria aufbaut. Gäste aus dem Ausland fliegen in der Regel nach Samos und müssen dann zweieinhalb Stunden mit der Fähre nach Ikaria fahren. Auf der Insel selbst landen meist nur Flugzeuge aus Athen oder Thessaloniki.

UNTERKUNFT

Die Auswahl auf der Insel ist sehr bescheiden. Und wenn für die meisten Betriebe Ende September ohnehin die Saison vorbei ist, wird die Zahl der Unterkünfte noch übersichtlicher. Doch in Privatquartieren, Pensionen und manchem Hotel wird man immer unterkommen.

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