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Blick auf die Kathedrale am Zócalo-Platz.

© IMAGO/Depositphotos

Oaxaca soll die kulinarischste Region sein: Mexikos heimliche Genusshauptstadt

Die Kolonialstadt befriedigt kulinarische Bedürfnisse mit sensationellen Rezepten. Scharfe Moles, würzige Tamales, gegrillter Fisch. Ein Tour zum Süchtigwerden.

Von Eva Biringer

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Ein früher Samstagabend, zehn Kilometer außerhalb des Stadtzentrums von Oaxaca. Die letzten Sonnenstrahlen kriechen über die in der Ferne schimmernden Berge. Jenseits des Tors am Ende einer staubigen Straße liegt ein kiesbedecktes Gartenareal: das Restaurant Alfonsina. Knorrige Bäume winden sich über von Kerzen beleuchtete Tische. Auf jedem steht eine Blumenvase in Form eines Koboldfußes.

Das langgezogene, den Garten umgebende Gebäude beherbergt eine Bar und einsehbare Küche. Rauch liegt in der Luft, er kommt vom glimmenden Grill und von jenem Rosmarin, den die Kellner entzündet haben, um Moskitos zu vertreiben. Mehrmals wird die Stille von lautem Knallen unterbrochen. Wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Prozession zu Ehren der Heiligen Mutter Gottes – Mexiko ist ein auffallend katholisch geprägtes Land.

Wie jeden Abend wird im Garten ein für alle Gäste einheitliches Fünf-Gänge-Menü serviert. Der Hauptgang ist ein scharf gegrillter Wolfsbarsch, dem eine sämige Paste beigestellt ist, die Mole, deren scharf-salzig-rauchiger Geschmack vom ersten Moment an süchtig macht.

Keramik und Kulinarik kommen im Alfonsina nicht zu kurz.

© Alfonsina

Mehrere Tage dauert die Zubereitung dieser Mole, für die Zwiebeln, Äpfel und Bananen in einer speziellen Pfanne namens Comal geröstet werden, dann mit Tomaten, Chilis und Fruchtessig zerstampft. „So wie ein Franzose mit Butter und eine Inderin mit Curry aufwächst, geht es den Menschen in Oaxaca mit Mole“, erklärt der Chefkoch.

Kleine Kunstwerke kommen auf die Teller im Alfonsina.

© Alfonsina

Im Alfonsina kommen zwei Dinge zusammen, welche für Oaxaca so prägend sind: Kulinarik und Keramik. Von Mexikos 31 Bundesstaaten ist dies einer der südlichsten, auffallend geprägt von indigener Kultur. Stämme, die jahrhundertelang das Handwerk des Töpferns gepflegt haben, siedelten in der Region am Pazifik.

Auf einer Fläche etwas größer als Österreich leben rund vier Millionen Einwohner. Viele sind der Meinung, dass hier das kulinarische Herz des Landes schlägt. Das liegt vor allem an den vielen Mole-Variationen, bestehend aus mehreren Dutzend Zutaten, deren Farbe von weiß über rot, braun und grün bis hin zu pechschwarz reichen kann. Immer sind darin Chilis und Gewürze enthalten, auch Schokolade, Früchte und Nüsse können auf der Zutatenliste stehen. Man findet sie im ganzen Land, nirgends jedoch in solcher Vielfalt wie in Oaxaca.

Wer daran Gefallen gefunden hat, kommt an einem Besuch des Mercado 20 Noviembre nicht vorbei. Er befindet sich etwas nördlich des Zentrums von Oaxaca de Juárez, der rund 250.000 Einwohner zählenden Hauptstadt. Im 15. Jahrhundert herrschten hier die Azteken, später spanische Eroberer. Der Name des von der Bergkette Sierra Madre del Sur umgebenden Städtchens geht auf den mexikanischen Präsident Benito Juárez zurück, dessen Geburtsort ganz in der Nähe liegt. Aufgrund seiner Höhenlage von 1500 Metern ist das Klima gemäßigt, sind die Nächte angenehm kühl.

Der Mercado 20 de Noviembre, Treffpunkt für alle Genussfreunde.

© IMAGO/Newscom World

Trubelig geht es in der Markthalle zu. Schöne Teller, Tassen oder sonstiges Geschirr sucht man hier vergeblich, das vor Ort verzehrte Essen wird überwiegend auf Plastiktellern serviert. Hier geht es ausschließlich ums Riechen, Sehen und Schmecken. Hühnerkrallen und Riesenscampis liegen aufgebahrt neben Körben voll getrockneter Grashüpfer, im nächsten Gang locken Milchbrötchen und Schokoladentaler als Basis für Trinkschokolade, dann wieder Tacostände oder solche mit der Spezialität Tlayuda – eine üppig mit Bohnen, Fleisch und Salsa belegte, knusprige Riesentortilla.

Zurück geht es auf die von der Sonne aufgeheizte Straße Richtung Norden – selbst im Winter können die Temperaturen tagsüber auf 30 Grad klettern. Je näher das historische Zentrum mit den gut erhaltenen Kolonialbauten, sandsteinfarbenen Kathedralen und von Lorbeerbäumen beschatteten Plätzen rückt, desto häufiger begegnet man Oaxacas zweitem Alleinstellungsmerkmal: Keramik.

Das koloniale Zentrum hat bereits einige Erdbeben überlebt.

© IMAGO/Depositphotos

Sie hat in der ganzen Region einen hohen Stellenwert, und das seit 4000 Jahren. Handgefertigt wird sie hier in allen Preisklassen angeboten und auch verschiedene ästhetische Vorlieben werden bedient. Manches ist monochrom, vor allem schwarz und erdfarben, anderes kunterbunt wie von Kinderhand entworfen.

Es gibt Tassen mit Froschkönigapplikation, Fantasiewesen auf von Street-Art-Künstlern entworfenen Untertellern, wagenradgroße Übertöpfe und Schüsseln mit geometrischen Mustern. Auch manche Fassaden des seit 1987 zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden historischen Zentrums zieren Keramikfliesen. Manche verkehrsfreien Straßen sind mit weißen Pflastersteinen ausgelegt.

Poppig-bunt sind die Häuser der Altstadt in Oaxaca.

© IMAGO/Depositphotos

Die Mehrheit der auf dem zentralen Zócalo-Platz lungernden Passanten stammt erkennbar nicht von hier, die Speisekarten der Restaurants sind, anders als an vielen anderen Stellen des Landes, zweisprachig. Auch rund um die Kirche von Santo Domingo de Guzmán ist die Gringo-Dichte – so nennen Mexikaner hellhäutige Ausländer – besonders hoch.

Garten im Hotel Escondido.

© Escondido Hotel

Hier befindet sich das Otro, ein hinter einer ochsenblutfarbenen Fassade verstecktes 16-Zimmer-Refugium. Auffallend hoch ist die Zahl an geschmackvoll durchdesignten Boutiquehotels, wie das Escondido oder jene Casa Antonieta, die mit poppig-bunten Zimmern und einer dschungelartigen Dachterrasse punktet.

Deren Betreiber Helwig George fasst den „Vibe“ seiner Heimatstadt wie folgt zusammen: „Oaxaca hat sich in den letzten Jahren spürbar weiterentwickelt, ohne seine Wurzeln zu verraten. Die Stadt war schon immer für ihr reiches kulturelles Erbe bekannt, jetzt ergänzt durch eine wachsende kreative Bewegung.“ Gleichzeitig bewahren ihmzufolge die gelebten Traditionen, die Märkte und Feste deren Authentizität.

Vom Pool des Otro Oaxaca kann man dem Gottesdienst zuhören.

© SERGIO A LOPEZ JIMENEZ, Otro Oaxaca

Verglichen mit den bunten Wandteppichen und üppigen Innenhofbegrünung der Casa Antonieta geht es im Otro reduzierter zu. Während sich auf dessen mit einem langgezogenen Pool versehenen Rooftop das Selfiepublikum zum Sonnenuntergang versammelt, wird im Erdgeschoss aus einer offenen Küche heraus Abendessen serviert. Frittierte Fisch-Tacos und das überall in Mexiko beliebte Avocadopüree Guacamole, hier allerdings mit Grashüpfertopping.

Ausgedacht hat sich das der aus dem zentralmexikanischen León stammende Küchenchef Saúl Carranza. Als mystisch bezeichnet er den Bundesstaat Oaxaca, „jede Region bietet Einzigartiges.“ Vor allem die Kulinarik sei mit nichts zu vergleichen. Sein Favorit ist Huhn nach Amarillo-Art, also in gelblicher Currysauce, grüne Tamales, in Bananenblätter gewickelter Mais, und Barbacoa, eine Grillvariante, bei der Fleisch in Gruben gart. „Um in Oaxaca schlecht zu essen, müssen Sie schon sehr viel Pech haben.“

Seit Jahrhunderten verschreiben sich Handwerkerinnen der schwarzen Keramik in San Bartolo Coyotepec.

© IMAGO/Newscom World

Die schwarzen Tonteller, auf denen das Essen serviert wird, stammen aus dem 15 Kilometer entfernten San Bartolo Coyotepec. Der Ort gehört zu den sogenannten Keramikdörfern. Viele Touristen lassen sich mit hart an der Grenze zur Straßentauglichkeit balancierenden Taxis zum Shoppen dorthin fahren. Manche Dörfer haben sich ganz der eingefärbten schwarzen Keramik verschrieben, andere der roten oder grünen Variante.

Wer den Weg ins wenige Kilometer entfernte Atzompa auf sich nimmt – von dort bezieht das Alfonsina einen Teil seines Geschirrs – findet sich in einer vergleichsweise chaotischen Parallelwelt wieder. Mit Schlaglöchern, Straßenkötern und Lokalen, die Jesus gewidmet sind. Die Töpfereien liegen oftmals in staubigen Hinterhöfen, über und über bestückt mit blumenverzierten Übertöpfen und Vasen in Totenkopfform. Reisende werden jedoch auch im Stadtzentrum von Oaxaca fündig, teilweise zum selben Preis. 1050 Grados heißt ein etwas versteckt gelegener, zweigeschossiger Laden, der viel Wert darauf legt, die Menschen hinter den Produkten sichtbar zu machen.

Gegründet wurde die gleichnamige Kooperative 2019, sie vertritt rund 50 Töpferinnen und Töpfer aus sieben verschiedenen Dörfern. Eine mit Vogelköpfen versehene Vase etwa stammt von einer Frau namens Esperanza Bautista, die auf dem an der Wand hängenden Foto ein schwarzes Faltenkleid über einer buntgemusterten Bluse trägt. Würde man sie treffen wollen, müsste man um die 600 Kilometer gen Westen fahren, nach Amatenango del Valle im Bundesstaat Chiapas. Wir bleiben lieber noch ein wenig länger in Oaxaca.

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