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Parteitag der Linken in Halle

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Trotzkisten in der Linkspartei: Das Problem namens „Marx 21“

Ein Bericht über die Unterwanderung der Partei „Die Linke“ durch die Politsekte „Marx 21“ löst Empörung aus. Zu Recht?

Sebastian Leber
Ein Kommentar von Sebastian Leber

Stand:

Es sind mal wieder einige Leute sehr sauer auf mich. Diese Woche habe ich im Tagesspiegel einen Text über „Marx 21“ veröffentlicht. Das ist ein kleines, straff organisiertes Netzwerk, das die Partei „Die Linke“ unterwandert hat und diese für ihren Kampf gegen Israel missbraucht. Den kompletten Artikel kann man hier nachlesen.

Kurzfassung: Innerhalb der Partei „Die Linke“ bilden die Unterstützer von „Marx 21“ eine winzige Minderheit. Eine unbeliebte, aber sehr laute Minderheit, die mit ihren Positionen die Gesamtpartei in Verruf bringt. Denn die Aktivisten von „Marx 21“ halten den Terror der Hamas für gerechtfertigt. Sie glauben, die Terroristen hätten am 7. Oktober 2023 lediglich von ihrem „Recht auf Widerstand“ Gebrauch gemacht. So weit, so ekelhaft.

Der Artikel beschreibt auch, wie diese Trotzkisten üblicherweise Kritiker zum Schweigen bringen, nämlich mit absurden Unterstellungen: Wer „Marx 21“ kritisiere, wolle doch bloß die Gesamtpartei zerstören und verantworte somit einen weiteren Rechtsruck in der Bundesrepublik.

Wie hätte ich ahnen können, was nun folgt?

Auftritt Gerrit Peters. Der Artikel im Tagesspiegel sei ein „Hetzartikel“ und „äußerst schlecht recherchiert“, verbreitet das Linkspartei-Mitglied auf Instagram. Es gehe bloß „darum, dass jegliche Palästina-Solidarität zerschlagen werden soll“. Es würden Parteimitglieder „der rechten Presse zum Fraß“ vorgeworfen.

Dazu muss man wissen, dass Gerrit Peters kein gewöhnliches Mitglied der Linkspartei ist – sondern einer der Wortführer von „Sozialismus von unten“, einer Abspaltung von „Marx 21“. Das Netzwerk hat sich vergangenes Jahr nach langem Streit in drei Lager zerlegt. Was sie eint, ist die Überzeugung, der Staat Israel müsse von der Landkarte verschwinden.

Empörung über den Artikel kommt auch aus der Szene der Hamas-Sympathisanten und Israelhasser, die seit Monaten offen in Berlin agiert. Das ist verständlich. Sie wollen nicht, dass ihre wenigen Kontakte in die Linkspartei unter Druck geraten.

Aus der Partei selbst gibt es, abgesehen von Wortmeldungen der dort agierenden Trotzkisten, allerdings keine Kritik. Im Gegenteil: Parteimitglieder verbreiten den Artikel und bedanken sich, dass das Problem namens „Marx 21“ so deutlich angesprochen wurde.

Geheimer Kaderbericht auf dem Kopierer vergessen

Ich erhalte auch Nachrichten von Menschen, die selbst schlechte Erfahrungen mit „Marx 21“ beziehungsweise dessen Vorgängerorganisation „Linksruck“ gemacht haben. Manches davon klingt unfreiwillig komisch. Da gab es zum Beispiel den Linksruck-Aktivisten, der seinen geheimen Kaderbericht, ein sogenanntes „Reporting“, an die Zentrale nach London schicken wollte, diesen aber leider auf dem Kopiergerät liegen ließ.

Andere Erlebnisse klingen beängstigend. Ein Linksruck-Aktivist bekam etwa von Genossen den Ratschlag, bei kritischen Nachfragen zur Nahost-Position einfach unrichtigerweise „Ich bin selber Jude“ zu sagen. Mehrere Mitglieder der Linkspartei berichten, dass ihnen sehr deutlich gemacht wurde, dass für eine Kandidatur auf Wahllisten in bestimmten Bezirken das Wohlwollen von „Marx 21“ Grundvoraussetzung sei.

Auch ich selbst habe Linksruck-Aktivisten persönlich erlebt, vor zwei Jahrzehnten während meines Studiums in Hamburg. Ich kann über diese Menschen eigentlich nur Gutes berichten, sie waren sehr angenehm im Umgang und redlich. Allerdings habe ich auch nie mit ihnen darüber gesprochen, welche Terrorgruppen sie in Wahrheit als „Widerstandskämpfer“ sehen.

Im trotzkistischen Rabbit Hole

Das Thema Trotzkismus ist ein Rabbit Hole. Je tiefer man eintaucht, desto ungläubiger staunt man. Allein das Geflecht ihrer Spaltungen: „Marx 21“ zerlegte sich voriges Jahr in die Fraktion „Ringo“ sowie zwei Abspaltungen. Die eine hieß „PRO“ („Plattform für eine Revolutionäre Organisation“), aus der später „Sozialismus von unten“ hervorging. Die andere nannte sich „FIST“ („Für eine internationale sozialistische Tendenz“), aus der dann die „Revolutionäre Linke“ wurde.

Wer sich als Trotzkist keiner dieser Gruppen zugehörig fühlt, könnte sich auch der Konkurrenzorganisation „SAV“ („Sozialistische Alternative“) anschließen, die sich jedoch ebenfalls gespalten hat, weshalb es zusätzlich noch die Gruppe „SOL“ („Sozialistische Organisation Solidarität“) gibt.

„SOL“ darf aber nicht verwechselt werden mit der Gruppe „SoL“ („Sozialistische Linke“), einer maoistischen Kleingruppe aus Hamburg. Nicht zu vergessen die Kleinstgruppe „RIO“ („Revolutionäre Internationalistische Organisation“), die auch unter dem Label „Klasse gegen Klasse“ auftritt und gerne ausführlich über die Gruppe „Marx 21“ lästert. Als Leseprobe eignet sich etwa ihr Bericht über die Spaltung von „Marx 21“.

Der angerichtete Schaden ist enorm

Wen dies alles an Monty Pythons Scherz über die Feindschaft zwischen der „Volksfront von Judäa“ und der „Judäischen Volksfront“ erinnert, liegt nicht falsch. Doch so nerdig und irrelevant das Thema auf Außenstehende auch wirkt: In der Linkspartei hat „Marx 21“ enormen Schaden angerichtet.

Dabei gab es genug Linke, die frühzeitig davor warnten, die Trotzkisten überhaupt in die Partei zu lassen. Bereits im Herbst 2006 etwa schlug der damalige Hannoveraner PDS-Chef Jörn Jan Leidecker Alarm: Die Organisation „Linksruck“ versuche, den Parteiformungsprozess zu unterwandern, denn sie sehe die „Chance, die neue Wirtsstruktur zu finden, die dem sektenähnlichen Verband so lange gefehlt hat“. Treffender hätte man es kaum formulieren können. Heute, 18 Jahre später, erklärt Leidecker gegenüber dem Tagesspiegel: „Ich fürchte, die Rechnung des Linksrucks ist an vielen Stellen aufgegangen.“

Ich habe Gerrit Peters, den empörten Aktivisten von „Sozialismus von unten“, übrigens angeschrieben und gefragt, weshalb mein Artikel seiner Meinung nach „äußerst schlecht recherchiert“ sei. Ob er diese Unterstellung auch irgendwie begründen könnte. Gerrit Peters hat bislang nicht geantwortet. Sollten er oder seine Genossen sich doch noch melden, werde ich hier darüber berichten.

Allerdings hat mich in den Leserkommentaren zum Artikel noch eine andere Reaktion irritiert. Nämlich die offenbar weitverbreitete Annahme, die gesellschaftliche Linke sei ohnehin per se israelfeindlich oder gar antisemitisch. Diese Annahme ist erstens falsch und zweitens nicht hilfreich im Kampf gegen Antisemitismus.

Diese Woche starte ich im Tagesspiegel eine neue, wöchentliche Kolumne. Eigentlich wollte ich in der ersten Folge über ein besonderes Versagen der Ampelregierung schreiben, das bisher noch nicht öffentlich geworden ist. Aber vielleicht kann dieses Thema noch eine Woche warten. Vielleicht erst mal: der Antisemitismus in der Linken, aber ohne Hirngespinste.

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