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Auf der anderen Seite. Der deutsche (links) und der sowjetische Pavillon standen einander gegenüber.

© Abbildung: AKG Images

Weltausstellung 1937: Krieg der Paläste

In Frankreich treffen sich die Diktaturen Hitlers und Stalins – und errichten Propaganda aus Stein.

Ende Mai 1937 reiste der französische Maler Amedée Ozenfant nach Paris, um die soeben, am 24. Mai, eröffnete Weltausstellung zu besuchen. Ein Bekannter, den er sogleich anrief, antwortete ihm am Telefon entrüstet: „Ach nein! Wollen Sie sich wirklich diese lächerliche Ausstellung ansehen? Wenn ich da an die herrliche Kolonialausstellung zurückdenke, wo sich vor den Augen der Welt das französische Imperium in vollem Glanz darbot, schäme ich mich für Frankreich. Wie tief ist unser Land mit diesen Volksfront-Verbrechern gesunken!“

Doch Ozenfant ließ sich durchaus nicht abhalten. Nach dem Besuch notierte er: „Sobald ich den großartigen Schauplatz betreten habe, bin ich völlig hingerissen! Welch’ Überraschung, wie herrlich das Ganze ist, wie riesig, abwechslungsreich, wohlgeordnet, majestätisch und dabei so natürlich, leicht und jung zugleich.“ Und weiter: „Wäre diese provisorische Stadt aus dauerhaften Baumaterialien errichtet worden, zählte sie zu den schönsten Gebäudekomplexen der Welt.“

Nun ist Ozenfant, ein Künstler der Moderne seiner Zeit, sicher nicht der repräsentative Zeuge schlechthin. Aber der Eindruck, den die Weltausstellung auf ihre 31 040 955 Besucher gemacht hat, spiegelt sich erstaunlich gut in seinen Worten – zusammen mit jenen seines Bekannten. Denn beides trifft zu, beides bewegte die Öffentlichkeit, Begeisterung wie Ablehnung, Zuversicht angesichts der Moderne und Bitterkeit über eine verlorene Vergangenheit. Und bei vielen eben auch: Feindseligkeit gegenüber dem linksgerichteten Regierungsbündnis.

Picasso malte "Guernica" für den spanischen Pavillon, als Mahnung vor dem Krieg

1937 ist ein Schlüsseljahr der europäischen Geschichte. Zwar lagen die welthistorischen Ereignisse noch voraus, wie der Hitler-Stalin-Pakt und der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Bald würde Frankreich nicht mehr sein, was es seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Versailler Vertrag gewesen war. Noch hatte die Dritte Republik, geboren aus der Niederlage gegen Preußen 1870, Bestand, ja noch ahnte niemand, dass sie sich nur drei Jahre später als innerlich ausgehöhlt erweisen sollte. Doch Europa war bereits Schauplatz eines blutigen Krieges, eines Vorspiels zum Weltkrieg: des Spanischen Bürgerkriegs; und Spanien ist Frankreichs südlicher Nachbar.

Wenn heute an die Pariser Weltausstellung von 1937 erinnert wird, fällt unweigerlich der Name Guernica. Ende April jenes Jahres erst war die baskische Kleinstadt von deutschen und italienischen Bombenflugzeugen in Schutt und Asche gelegt worden. Darauf reagierte die spanische Republik, indem sie in ihrem Pavillon bei der Weltausstellung das Wandbild Pablo Picassos zeigte, das den Namen der zerstörten Stadt als Titel führte. Nur war „Guernica“ am 25. Mai, als der französische Staatspräsident Albert Lebrun das weitläufige Ausstellungsgelände zum Eröffnungsrundgang betrat, noch nicht fertig, so wenig wie der spanische Pavillon insgesamt. Kaum jemand nahm Notiz von den schon verzweifelten Mahnungen der von Diktator Franco bekämpften Spanischen Republik, deren Pavillon eher unauffällig neben der Hauptachse des Ausstellungsgeländes lag.

Andere Bilder, andere Perspektiven haben sich von der Weltausstellung ins kollektive Gedächtnis eingesenkt: Ansichten, die den Eiffelturm von 1889 in der Mitte und den deutschen Pavillon zur Linken, den sowjetischen zur Rechten des Hauptweges zeigen, beide unübersehbar riesig und einander frontal gegenübergestellt. Auf dem deutschen Pavillon thronte der Adler mit dem Hakenkreuz, auf dem sowjetischen die Monumentalskulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ mit Hammer und Sichel. Der deutsche Pavillon, als „Deutsches Haus“ bezeichnet, war von Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer entworfen, der sowjetische von Boris Iofan, der gerade für Stalin den 400 Meter hohen „Palast der Sowjets“ plante.

Frankreich wollte sich als Land der Moderne und Kulturnation präsentieren

Eigentlich fand damals keine Weltausstellung statt. Der offizielle Titel lautete „Internationale Ausstellung von Kunst und Technik im Modernen Leben“, klassifiziert als „Fachausstellung“ nach dem Reglement des „Bureau International des Expositions“, das die Ausrichtung von Weltausstellungen vergibt. Frankreich wollte sich als Land der Moderne präsentieren, als Land zukunftsweisender Technik – und natürlich als die Kulturnation schlechthin.

Bereits 1929 forderte das französische Parlament die Ausrichtung einer erneuten Weltausstellung und goss dieses Vorhaben 1934 in ein Gesetz, zu einer Zeit, da die Weltwirtschaft im Zuge der Großen Depression darniederlag und zumal die beiden Demokratien Frankreich und Großbritannien von enormer Arbeitslosigkeit erschüttert wurden. Beide verfügten zugleich über die größten Kolonialreiche ihrer Zeit, und Frankreich hatte erst 1931 mit der Pariser Kolonialausstellung – auf die der eingangs erwähnte Bekannte des Malers anspielt – seinen Anspruch auf die Beherrschung weiter Teile Afrikas und Südostasiens unterstrichen. Was heißt „Beherrschung“: Das offizielle Frankreich war erfüllt von seiner „zivilisatorischen Mission“, die es den unterworfenen Völkern gegenüber glaubte erfüllen zu müssen.

Nun aber richtete sich die „Mission“ auf die Gegenwart überhaupt. „Das Schöne und das Nützliche müssen untrennbar verbunden werden“, hatte der Generalkommissar des Pariser Vorhabens, Edmond Labbé, 1934 als Leitlinie vorgegeben. Nach anfänglichen Misshelligkeiten gab erst die Bildung der Volksfrontregierung im Juni 1936 dem Ausstellungsvorhaben den nötigen Schub. Unter Ministerpräsident Léon Blum wurden bedeutende soziale Neuerungen eingeführt, voran die 40-Stunden-Woche und zwei Wochen bezahlten Urlaubs.

Unzählige Bücher, Lieder, Kunstwerke beschreiben und besingen den Aufbruch. Frankreich war in der Moderne angekommen – während die Nachbarländer Deutschland und Italien unter die Herrschaft faschistischer Regime geraten waren und Spanien im Bürgerkrieg versank.

Zwei Diktaturen sollten sich in friedlichem Wettstreit präsentieren

Ein Plakat wirbt für den deutschen Auftritt auf der Weltausstellung.
Ein Plakat wirbt für den deutschen Auftritt auf der Weltausstellung.

© bpk / Kunstbibliothek, SMB / Knu

Die Sowjetunion allerdings galt der politischen Linken als Land der Verheißung, als „Vaterland aller Werktätigen“, wie sie sich selbst darstellte. Der Terror Stalins, der gerade 1937 seinen Höhepunkt erreichte, öffnete vielen die Augen; vielen allerdings auch nicht. Insbesondere die Schriftsteller und Intellektuellen hielten an ihrem Bild einer demokratischen und sozialistischen Sowjetunion fest, die sich doch gerade erst, Ende 1936, die angeblich „freiheitlichste Verfassung der Welt“ gegeben hatte und nun, 1937, den 20. Jahrestag ihrer siegreichen Oktoberrevolution feierte.

Die Gegenüberstellung von deutschem und sowjetischem Pavillon an der prominentesten Stelle des Bereichs der ausländischen Beiträge war durchaus kein Zufall. Die mittlerweile mächtigsten Staaten Europas sollten sich, so die Hoffnung der Ausrichter, in friedlichem Wettstreit präsentieren. Die Ironie der Geschichte will es, dass die beiden massiven Pavillons die einzigen waren, die am Eröffnungstag zur Gänze fertiggestellt waren. Überall sonst hatten Streiks, die die französischen Gewerkschaften zur Durchsetzung höherer Löhne ausgerufen hatten, die Fertigstellung behindert. Die war nämlich symbolisch auf den 1. Mai angesetzt worden – in Frankreich seit 1919 Feiertag -, musste aber um vier Wochen verschoben werden, bis die Ausstellung einigermaßen fertig war.

25 Pavillons zeigten „la France profonde“, das Frankreich der Provinz

Es wäre allerdings verkehrt, die Pariser Weltausstellung auf die Selbstdarstellung der beiden Diktaturen zu reduzieren. Ein großer Bereich war dem „modernen Leben“ gewidmet: Es gab einen gläsernen „Palast der Luft“ zur Luftfahrt, dem Technikthema dieser Zeit und gleichermaßen en vogue in Diktaturen wie Demokratien. Dieser „Palais de l’air“ stand auf dem anderen Seine-Ufer, der Seite von Marsfeld und Eiffelturm. Daran schlossen sich der „Palast der Eisenbahnen“ sowie der „Pavillon des Lichts“ an, der die Elektrizität und die durch sie eröffneten Möglichkeiten feierte. Welchen Unterschied in der Verbreitung des technischen Fortschritts es zwischen Europa und Nordamerika gab, sollte zwei Jahre darauf die „echte“ Weltausstellung in New York zeigen – die aber wegen des kurz darauf ausbrechenden, zunächst auf Europa begrenzten Weltkriegs bei Weitem nicht die Aufmerksamkeit erfahren hat wie ihr Pariser Vorgänger.

Ein Großteil des Ausstellungsgeländes war den französischen Regionen gewidmet; nicht weniger als 25 Pavillons in vermeintlich „typischer“ Regionalarchitektur zeigten „la France profonde“, das „tiefgründige“, unveränderliche Frankreich der Provinz. Zum anderen gab es das „Zentrum des Handwerks“ oder „der handwerklichen Tätigkeiten“, wo sich entlang der Seine Pavillons zu Themen von Landwirtschaft bis Mode erstreckten. Auch Privatunternehmen glänzten in eigenen Pavillons. Vertreten waren unter anderem der Glasfabrikant Saint-Gobain, der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé und der niederländische Elektrogigant Philips; dazu mehrere Hersteller von Hochprozentigem wie Byrrh, Cinzano oder Pernod.

Drei Jahre später standen Hitler und Speer auf der Terrasse des Palais de Chaillotn

Was blieb von der Weltausstellung? Erstaunlich viel, jedenfalls im Vergleich zu Weltausstellungen in anderen Städten. Das Palais de Chaillot auf einer Anhöhe über der Seine beherbergt bis heute das damals eröffnete „Museum des Menschen“, das etwas weiter entfernt gelegene Palais de Tokyo das ebenfalls neue „Museum der modernen Kunst“. Überhaupt vollzog die Volksfront-Regierung mit diesen Institutionen und ihren Gebäuden den Schritt in die kulturelle Moderne; zudem vergab das Ausstellungskommissariat bedeutende Aufträge zur Ausgestaltung der Pavillons an Künstler der Moderne wie Sonia und Robert Delaunay.

Die Pavillons der beiden Diktaturen Deutschland und Sowjetunion und ihre Architekten Speer und Iofan wurden übrigens gleichermaßen mit Goldmedaillen ausgezeichnet. Der zur Eröffnung gezeigte NS-Film „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl erhielt vom Festkomitee gar die Auszeichnung als „bester Dokumentarfilm“. Als ihn die Nachricht erreichte, wollte Hitler es zuerst nicht glauben. Die Propaganda hatte obsiegt.

Fast genau drei Jahre später standen Hitler und Speer am frühen Morgen auf der Terrasse des 1937 erbauten Palais de Chaillot, von wo sich der Blick auf das Marsfeld und den Eiffelturm erstreckt. Die Weltausstellung war längst abgeräumt, aber ihre Bilder gruben sich tief ins Gedächtnis der Nachwelt ein.

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