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Reichstag hinter Absperrband

© Gestaltung: Tagesspiegel/Kostrzynski; Foto: Getty Images/Westend61

Zu viele fühlen sich von der Politik ausgesperrt: Die angekündigte Staatsreform setzt den falschen Fokus

Die neue Bundesregierung will viel ändern, um den Staat leistungsfähiger zu machen. Das soll das Vertrauen in die Demokratie wieder stärken – ist aber zu schlicht gedacht.

Ein Gastbeitrag von Kai Unzicker

Stand:

In Deutschland sind mehr als 16.000 Brücken marode, digitale Verwaltungsangebote fehlen, Bauvorhaben stocken. Wer Hilfe vom Staat braucht, ist oft frustriert. Eine aktuelle Umfrage des Ipsos-Instituts ergab, dass 61 Prozent der Bevölkerung nicht mehr daran glauben, dass sich traditionelle Parteien und Politiker um die Belange der einfachen Bürger kümmern. Das entspricht laut Ipsos einem Zuwachs von zwölf Prozentpunkten in den vergangenen drei Jahren.

Warum auch sollten Bürgerinnen und Bürger politischen Parteien vertrauen, die es über Jahre nicht schaffen, Infrastruktur zu erhalten, Verwaltung zu modernisieren und das Land zu digitalisieren?

Die neue Regierung aus CDU, CSU und SPD will nun liefern. Eine Staatsreform steht endlich auf der Agenda: weniger Vorschriften, schnellere Verfahren und alles digital. Auf Seite 56 des Koalitionsvertrags heißt es dazu: „Wir wollen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Staat stärken.“ Die gute Absicht lautet weiterhin: „Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft stellen wir in den Mittelpunkt unseres Handelns.“

Nicht nur das Ergebnis zählt, auch der Weg dorthin. Verfahren, Transparenz und Beteiligung prägen das Vertrauen der Menschen.

Kai Unzicker, Soziologe

Ist damit alles getan? Der Staat als Lieferservice und der Bürger als Konsument? Der Eindruck entsteht. Als würde Effizienz schon genügen: Sind Straßen saniert, Wohnungen gebaut und die KFZ-Zulassungen zentralisiert, kehrt das Vertrauen zurück. Vielleicht nicht sofort, aber bald. So die Hoffnung. Doch sie trügt.

Klar ist: Liefert der Staat dauerhaft unzureichend, schwindet das Vertrauen. Doch umgekehrt gilt nicht automatisch, dass das Vertrauen steigt, wenn der Staat gut liefert.

Denn nicht nur das Ergebnis zählt, auch der Weg dorthin. Verfahren, Transparenz und Beteiligung prägen das Vertrauen der Menschen in Parteien, Parlament und vor allem die Regierung.

Politikwissenschaftlich basiert Legitimation auf drei Säulen: Input – wer mitbestimmt; Throughput – wie entschieden wird; Output – was dabei herauskommt. Derzeit dominiert der Output die Debatte. Das greift zu kurz.

Das Vertrauen in die Demokratie entsteht in der öffentlichen Auseinandersetzung. Es lebt davon, dass sich Bürgerinnen und Bürger eine Meinung bilden, Parteien um Positionen ringen und es die Gelegenheit zu Widerspruch und Mitbestimmung gibt.

Werden diese Aspekte nicht gleichermaßen berücksichtigt, bleibt selbst der beste Service ein technokratisches Versprechen, aber kein Beitrag zu demokratischem Vertrauen.

So einig sich die handelnden Akteure beispielsweise sind, dass dringend mehr günstiger Wohnraum nötig ist, so verschieden sind die Meinungen, wo und wie dieser entstehen soll.

Nicht zuletzt in Berlin zeigt sich an der anhaltenden Frage, ob trotz bereits ablehnend ausgefallenem Volksentscheid das Tempelhofer Feld bebaut werden könnte, wie kontrovers und sensibel solche Fragen sind.

Der politische Prozess sollte diese Unterschiede aufnehmen und in die Entscheidungen einfließen lassen. Das braucht Zeit und Gelegenheit.

An Beispielen lässt sich zeigen, wie wichtig faire Verfahren sind: In der Vergangenheit kam es mehrfach zu Gesetzesvorhaben, die in kurzer Frist und mit hohem Druck durchs Parlament gebracht werden sollten. Das betraf etwa das Gebäudeenergiegesetz vor der Sommerpause 2023. Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Verabschiedung, um mehr Zeit zu schaffen.

Oder die Ausweitung des Staatstrojaner-Einsatzes 2021, kurz vor Ende der damaligen Koalition, wurde ebenfalls im Eilverfahren beschlossen. Beiden Beispielen ist gemein: Nicht (nur) die Inhalte sorgten für Unmut, sondern vor allem das Verfahren. Vertrauen braucht beides: gute Inhalte und faire Abläufe.

Gutes Regieren heißt: Verantwortung und Abläufe sind klar, Entscheidungen scheitern nicht an der Arbeitsweise des Parlaments sowie Kontrolle der Regierung und Mitbestimmung sind möglich.

Studien der Bertelsmann Stiftung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zeigen: Wer sich nicht gehört fühlt, wendet sich ab. Viele erleben Politik als fern vom Alltag, als geschlossenes System mit eigenen Spielregeln. Diesen Eindruck beseitigen digitale Bauanträge so wenig wie pünktliche Züge.

Mehr Nähe entsteht nicht von allein. Politikerinnen und Politiker müssen sichtbar sein: nicht nur im TV, sondern im Alltag. Was Menschen bewegt, gehört in die politische Debatte.

Achtung, es fährt kein Zug. Nicht mal irgendwo nach Nirgendwo.

© imago images/Ralph Peters/Ralph Peters via www.imago-images.de

Dabei helfen neue Formate, wie die Wahlkreisräte der Initiative „Hallo Bundestag“ und selbst traditionelle Mitmachaktionen sind wirksam, etwa Müllaufsammeln im Kiez. Auch Bürgerräte liefern Impulse, die Politik besser machen können. Sie entscheiden nichts, schaffen aber Vertrauen.

Sicher, eine Bahntrasse ließe sich einfacher im „allgemeinen Interesse“ beschließen. Doch wer Debatten mit Betroffenen scheut, verspielt Akzeptanz. Der Austausch bringt neue Perspektiven und verhindert politische Kurzschlüsse. Es geht nicht darum, alle Einwände auszuräumen. Aber Entscheidungen gegen Widerstände brauchen gute Gründe und legitime Verfahren.

Wichtige Debatten spätabends vor halbleeren Rängen im Bundestag fördern indes kein Vertrauen. Die Ausschüsse tagen meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wer will, kann zwar im Parlamentsfernsehen zusehen. Doch das passiert selten.

Klar, auch Bürger tragen Verantwortung: Wer mitreden will, muss zuhören. Doch beides sollte so leicht wie möglich sein. Das neue Bundestagspräsidium hat Reformen angekündigt: Ausgeweitetes Fragerecht der Abgeordneten an die Regierung, womöglich straffere Tagesordnungen und wichtige Debatten, prominenter platziert.

Die Regierung will den Staat modernisieren, vor allem die Verwaltung. Aber eine Staatsreform muss mehr sein als Technik. Denn sie ist immer auch Demokratiereform. Wer glaubt, die Regierung könne Probleme im Alleingang lösen, gefährdet am Ende das, was er schützen will: die Demokratie.

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