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Auftakt der Protestwochen der Letzten Generation in Berlin.

© Imago/Jürgen Held

Zwei Sorten von Generve: Was Klimaproteste und Bahn-Streiks unterscheidet

Die „Letzte Generation“ will Berlin lahmlegen und regt die Menschen auf. Die Streikenden der Bahn können dagegen auf Solidarität bauen. Denn sie kämpfen für etwas Greifbares.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Die schon wieder! Die Klimaaktivisten von „Die letzte Generation“ wollen Berlin mit einer Protestwelle „lahmlegen“. Einen Vorgeschmack auf das, was ab Montag stadtweit los sein soll, gab es am Mittwoch im Bezirk Mitte, und an diesem Donnerstag werden die Aktionen auf Charlottenburg ausgedehnt. Da standen und stehen wieder viele Autofahrer in Staus, deren Notwendigkeit sie nicht einsehen. Ihre Zahl wird steigen – und auch die schlechte Laune.

Überregional ist die Genervtheit, die solche Aktionen auf sich ziehen, längst weitverbreitet. Manche Menschen kriegen schon schlechte Laune, wenn sie nur den Namen der Gruppe hören.

Umfragen zufolge hält die große Mehrheit der Bevölkerung sehr wenig von den Aktivisten und ihren Aktionen, die der Politik Beine machen sollen für radikalere Klimaschutzmaßnahmen. Gleichwohl wird Klimaschutz von den Menschen richtig gefunden, aber bitte im Rahmen gesetzlicher Vorgaben, nicht mittels disruptiver Überraschungsaktionen. Schon gar nicht, wenn man selbst in Mitleidenschaft gerät – und das Sensorium dafür ist hoch empfänglich.

Nach mehreren Krisen hintereinander ist die Gesellschaft heute gereizter als früher. Dauernd will jemand etwas, fordert, steht im Weg, stört den Normalbetrieb, den man gerne hätte. Alles wird teurer, dies oder das soll man nicht mehr sagen, essen, konsumieren. Ein daraus resultierender frustrierender Eindruck: Alle bestimmen dauernd irgendwas oder setzen ihre Interesse durch, nur ich tu das nicht!

Die Psychologie weiß, dass zu jedem, der nervt, jemand gehört, der sich nerven lässt. Nerven ist ein interaktionelles Konzept. Eine hochemotionale Reaktion auf Klimaaktivisten kann für sehr Genervte so gesehen als Impuls zur Selbstinspektion dienen. Warum regen sie sich so auf, wo doch – dringende Termine ausgenommen – nichts weiter los ist, als dass sie hier und heute für diesen einen Weg etwas länger brauchen. Nehmen sie das Störmanöver der Klimaaktivisten persönlich, fühlen sie sich in ihren Bedürfnissen ignoriert? Warum ist die Lunte so kurz?

Die Klimaschützer wissen, dass sie nerven. Das hatte deren Sprecherin Carla Hinrichs vor Beginn der Aktion am Mittwoch gesagt, gleichwohl müssten die Demos eben sein, wegen Klimakatastrophe und so weiter. Für die „Letzte Generation“ sind die genervten Bürger der Hebel, um an die Politik heranzukommen. Aber dennoch braucht sie die Bevölkerung auf ihrer Seite, wenn sie Erfolg haben will.

Menschen nerven, um ein Thema zu befördern: Kann das überhaupt funktionieren?

Bei den Aktionen der „Letzten Generation“ sind Zweifel angebracht. Ihre legitimationslose Eigenermächtigung schadet ihrem Anliegen eher, als dass sie mobilisiert. Anders sieht es bei den Streiks aus. Wenn etwa ab Freitag wieder mal bei der Bahn mit Zugausfällen und massiven Störungen und Einschränkungen gerechnet werden muss, hält auch das Reisende auf und nervt.

Aber dennoch bleibt Umfragen zufolge die grundsätzliche Solidarität mit den Streikenden davon unbeeinflusst. Vielleicht auch deshalb schon, weil – anders als bei spontanen Aktionen der „Letzten Generation“ – Bahn-Kunden in der Regel vorab informiert werden. Sie können sich ernster genommen fühlen und sind nicht ganz so ausgeliefert wie jene, die plötzlich und unerwartet am Weiterkommen gehindert werden.

Im Gegensatz zu den Aktivisten zeigen Politik, Verbände und Gewerkschaften bisher noch Interesse an der Stimmung im Land. Sie scheinen zu berücksichtigen, dass man die ohnehin genervten Menschen nicht zu sehr strapazieren sollte mit den Folgen der Interessenkonflikte. So blieb es bisher in vielen Tarifauseinandersetzungen beim Zünden der Vorstufe: Warnstreiks statt unbefristeter Streiks.

Der Lohn ist, dass die Streikaktionen als Teil eines grundsätzlich wertzuschätzenden Kampfs um gute Arbeitsbedingungen in einer härter werdenden Zukunft oder für einen besseren öffentlichen Dienst gelten. Beides ist den Menschen offenbar deutlich näher als eine Klimadystopie in den kommenden Jahrzehnten. Das müssen die Aktivisten der „Letzten Generation“ vorerst weiter aushalten, auch wenn es sie nervt.

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