Gesundheit: Den sagenhaften Riesenadler gab es wirklich
Auf Neuseeland lebte der größte Adler aller Zeiten – nun haben Forscher einen heute lebenden Verwandten gefunden
Im Fantasyfilm „Herr der Ringe“ drehen riesige Adler ihre Runden über einer grandiosen Landschaft. So phantastisch die Handlung des auf Neuseeland gedrehten Streifens auch sein mag, sie hat einen realistischen Hintergrund. Einst gab es die Riesenvögel tatsächlich. Und sie bieten aufschlussreichen Lehrstoff für den Lauf der Evolution.
Ein internationales Forscherteam hat überraschende Erkenntnisse über den „HaastAdler“ (Harpagornis moorei), einen ausgestorbenen Riesenadler, gewonnen. Die Wissenschaftler haben einen heute lebenden Verwandten gefunden, den kleinen Bruder gewissermaßen. Über ihre aus altem Erbgut gewonnenen Resultate berichten die an den Universitäten von Oxford (Großbritannien) und Canterbury (Neuseeland) arbeitenden Wissenschaftler jetzt im Online-Magazin „PloS Biology“ (www.plosbiology.org).
Neuseeland lässt sich als interessantes Labor der Evolution begreifen, denn auf der grünen Insel hinter Australien konnte sich die Natur viel länger als in anderen Teilen der Erde ohne Einflüsse von außen entwickeln. Erst um das Jahr 1280 wurde Neuseeland von polynesischen Seefahrern entdeckt. Vor der Besiedlung waren dort zwar 250 Vogelarten, aber keine Säugetiere heimisch, außer drei Sorten von Fledermäusen. Unter diesen für sie paradiesischen Zuständen konnten sich hier die straußenähnlichen „Moas“, entwickeln.
Die bis zu drei Meter großen und bis zu 200 Kilogramm schweren Riesen waren flugunfähige Pflanzenfresser, und sie hatten weder Nahrungskonkurrenten noch wurden sie von Landraubtieren bedroht. Die Gefahr kam aus der Luft, von dem Haast-Adler, der seine Flügel bis zu drei Meter weit spannen konnte, so weit wie kein anderer Vogel. Die behäbigen Moas waren für den Riesenadler eine leichte Beute, seine Krallen waren so groß wie die eines Tigers.
Den Namen erhielt er nach dem Vogelkundler Julius von Haast, der den größten Adler aller Zeiten vor 130 Jahren anhand von Knochenfunden beschreiben konnte. Das in der ganzen Südsee verbreitete Tier wog zehn bis 14 Kilogramm und war damit um ein gutes Drittel schwerer als der größte, heute lebende Raubvogel, der in Zentral- und Südamerika beheimatete, bis zu einem Meter große Harpy-Adler.
Das Körpergewicht des Haast-Adlers markierte die Grenze der Flugfähigkeit durch Flügelschlag; wäre er etwas größer und schwerer gewesen, hätte er nur noch gleiten können. Seine Spezialität war die Jagd auf die Moas. Attacken-Spuren finden sich in Löchern und Rissen von gefundenen Moa-Knochen. Der Adler muss seitlich angegriffen und den Moa mit einem Fuß am Becken gepackt haben, um ihn mit einem Schlag des anderen Fußes auf Nacken oder Kopf zu töten.
Auch Felszeichnungen künden von dem sagenhaften Riesenadler, den die Maori, die Ureinwohner Neuseelands, „Hokioj“ nannten. Aus Adlergebein hergestellte Kunstwerke geben weitere Hinweise darauf, dass Adler und Urpolynesier eine Zeitlang gleichzeitig existierten. Allerdings gibt es keine Beweise, dass der Riesenvogel auch Menschen angegriffen hat. Es war vielmehr umgekehrt. Die Maoris rotteten in nur eineinhalb Jahrhunderten die Riesenadler aus. Auch die Moas fielen ihnen zum Opfer.
2000 Jahre alte Adlerknochen waren das Reservoir, aus dem die Forscher um den neuseeländischen Anthropologen Michael Bunce das Erbgut des Urzeitvogels schöpften. Eine Skelettanalyse hatte eine Verwandtschaft nahegelegt zwischen dem ausgestorbenen Haast-Adler und dem heutigen Riesenvogel „Aquila audax“, einem australischen Adler, der durch einen keilförmigen Schwanz auffällt. Die Vermutung sollte jetzt mittels Genomvergleich bestätigt werden.
Doch die Forscher fanden heraus, dass der sagenhafte Vogel nicht mit dem großen Keilschwanzadler, sondern ausgerechnet mit einem der kleinsten Adlerexemplare verwandt ist. „Das Ergebnis war so verblüffend, dass wir zunächst an der Korrektheit zweifelten“, sagt Bunce. Das Resultat hielt der Überprüfung stand. Die nächsten Verwandten des Riesen sind die Zwergadler der in Australien und Neuguinea beheimateten Art „Hieraaetus“. Dazu gehören der „Little Eagle“ (H. morphnoides) und der „Booted Eagle“ (H. pennatus), die weniger als ein Kilogramm wiegen und lediglich eine Spannweite von etwa 1,2 Metern haben.
Die Genomanalyse ergab zudem, dass sich das Erbgut von Haast-Adler und der „Hieraaetus“-Art nur um 1,25 Prozent unterscheidet. Ein gemeinsamer Vorfahr müsse vor weniger als einer Million Jahren gelebt haben. In diesem Zeitraum sei aus dem Ur-Adler, der sich als kleiner Vogel in Neuseeland niederließ, ein zehn- bis fünfzehn Mal größeres Exemplar geworden. „Ein so rapider Größenzuwachs ist bei Wirbeltieren, die auf dem Lande leben, bisher nicht entdeckt worden“, sagt Bunce. „Die Größe der verfügbaren Beute und das Fehlen von Räubern“, hält Teamkollege Richard Holdaway für die Hauptursachen, warum der Haast-Adler so schnell so groß geworden ist. „Einen erlegten Moa konnte der Adler völlig ungestört genießen.“
-