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Was REM-Schlafstörungen und Parkinson verbindet: „Therapien könnten den Verlauf verlangsamen oder sogar aufhalten“
In der Parkinson-Forschung tut sich derzeit einiges. Wissenschaftler wollen die Krankheit erkennen, lange bevor sie erste Symptome verursacht. Neurologe Georg Ebersbach erklärt, wie das gelingen könnte.
Stand:
Herr Ebersbach, neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass sich Parkinson lange im Verborgenen entwickelt. Was weiß man über den Ursprung?
Man geht davon aus, dass die ersten krankhaften Veränderungen im Darm stattfinden. Von dort aus breitet sich die Krankheit langsam über den Vagusnerv bis ins Gehirn aus. Ein anderer „Zugangsweg“ zum Gehirn verläuft über die Riechnerven. Das ist ein äußerst komplexer und langwieriger Vorgang, der sich über viele Jahre hinziehen kann.
Was genau geschieht denn im Darm?
Im Darm befinden sich Nervenzellen, die über den Vagusnerv mit dem Gehirn verbunden sind und die Funktion des Magen-Darm-Trakts regulieren.
In diesen Nervenzellen ist das Eiweiß Alpha-Synuklein enthalten, das durch Einwirkung schädigender Faktoren verklumpen kann. Dadurch entstehen Eiweißablagerungen, die die Funktion der Nervenzellen stören und letztlich dazu führen, dass diese absterben.
Dieser Verklumpungsprozess kann schließlich über den Vagusnerv ins Gehirn aufsteigen und dort Dopamin-produzierende Nervenzellen schädigen. Der dadurch entstehende Dopaminmangel verursacht schließlich die parkinsontypischen Bewegungsstörungen wie Unbeweglichkeit, Muskelsteife und Zittern.
Und dieser Prozess kann auch in den Riechnerven stattfinden?
Davon geht man aus. In der Nase besteht über die Riechnerven ebenfalls eine direkte Verbindung zwischen Schleimhäuten und Gehirn.
Weiß man etwas über die Ursachen? Ist Parkinson genetisch oder gibt es äußere Einflüsse?
Vermutlich geht die Parkinson-Krankheit in den meisten Fällen auf eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren zurück. Eine rein genetische Ursache findet sich in Deutschland nur bei etwa drei Prozent der Menschen mit Parkinson-Krankheit.
Umweltfaktoren sind beispielsweise Kopfverletzungen oder Luftverschmutzung, aber auch Pestizide gehören zu den Risikofaktoren. Besonders gefährdet sind daher Landwirte. Bei ihnen kann Parkinson seit 2024 als Berufskrankheit anerkannt werden.
Wie lange dauert die Phase, in der sich Parkinson entwickelt, ohne dass Bewegungsstörungen auftreten?
Die Vorläuferphase von Parkinson, in der sich die Krankheit entwickelt, kann über zehn bis zwanzig Jahre dauern. Die Medizin nennt diese Phase Prodromalphase.
Gibt es während dieser Entwicklungsphase irgendwelche Anzeichen, die auf eine spätere Parkinson-Erkrankung hindeuten?
Ja. Besonders REM-Schlafstörungen gelten als ein deutliches Frühwarnzeichen. Betroffene „leben“ ihre Träume aus – das heißt, sie schlagen im Schlaf um sich oder schreien, oft begleitet von lebhaften Albträumen mit Verfolgungsszenarien. Auch der Verlust des Geruchssinns, Verstopfungen im Darmtrakt oder Depressionen können erste Vorboten sein.
Kann man eine REM-Schlafstörung selbst erkennen?
Eher schwierig – es sei denn, man fällt aus dem Bett. Denn es geht vor allem um die Bewegungsabläufe im Schlaf, weniger um den Traum. Man ist also in erster Linie auf die Beobachtungen der Partnerin oder des Partners angewiesen. Die sichere Diagnose kann nur eine Untersuchung im Schlaflabor liefern.
Wenn man künftig die krankhaften Eiweißablagerungen im Blut messen könnte, würde das die Parkinson-Diagnostik auf ein völlig neues Niveau heben.
Georg Ebersbach, Neurologe
Wie genau hängen die REM-Schlafstörung und Parkinson zusammen?
Neuere Studien zeigen, dass Menschen mit REM-Schlafstörungen bereits Alpha-Synuklein-Ablagerungen in den Nervenzellen aufweisen, ohne dass bei ihnen Parkinson diagnostiziert wurde. Rund 80 Prozent dieser Personen entwickeln im Laufe einiger Jahre dann tatsächlich ein Parkinson-Syndrom.
Lassen sich die Ablagerungen im Körper nachweisen?
Ja. Mit dem Verfahren „Alpha-Synuclein Seed Amplification Assay (SAA)” lassen sich krankhafte Eiweißablagerungen bereits im Nervenwasser, das das Gehirn und die Nervenstränge in der Wirbelsäule umspült, nachweisen. Dafür wird mit einer Spritze zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel eine kleine Menge Hirn- oder Rückenmarksflüssigkeit entnommen, die anschließend im Labor untersucht wird.
Könnte man die Ergebnisse dieser Untersuchungen künftig nutzen, um Parkinson vorzubeugen?
Genau das ist das Ziel. Wenn es gelingt, Patienten bereits in der Frühphase – also lange, bevor die ersten Bewegungsstörungen auftreten – zu identifizieren, könnten möglicherweise nervenzellschützende Therapien den Verlauf der Erkrankung verlangsamen oder sogar aufhalten. Noch sind solche Therapien nicht in der klinischen Anwendung – aber die Forschung auf diesem Gebiet läuft auf Hochtouren.
In Zukunft könnte es sogar möglich werden, solche Veränderungen im Blut statt im Nervenwasser zu messen – das wäre ein sehr viel einfacheres Verfahren und würde die Parkinson-Diagnostik auf ein völlig neues Niveau heben.
Gibt es bislang überhaupt Möglichkeiten, Parkinson zu behandeln?
Medikamente zum Ausgleich des Dopaminmangels gibt es bereits seit vielen Jahren. Seit den 1960er-Jahren gilt die Behandlung mit Levodopa als Goldstandard in der Parkinson-Therapie. Das Medikament wird im Gehirn zu Dopamin umgewandelt und kann zu deutlicher Besserung der Symptome führen. Der große Nachteil dieser Therapie besteht aber darin, dass mit fortschreitender Krankheitsdauer die einzelnen Dosen immer kürzer wirken. Der Bewegungszustand des Patienten kann also stark schwanken.
Das bedeutet, dass die Patienten mal beweglich, dann wieder unbeweglich oder sogar zeitweise sehr überbeweglich sind. Diese Schwankungen können so drastisch werden, dass die Betroffenen mehrmals täglich zwischen Phasen völliger Immobilität, in denen sie im Rollstuhl sitzen, und Phasen, in denen sie eine normale Mobilität aufweisen, wechseln.
Die adaptive Hirnstimulation kann in Echtzeit die Aktivität der Nervenzellen analysieren und gibt nur dann Impulse ab, wenn es nötig ist.
Georg Ebersbach, Neurologe
Wie können diese Wirkschwankungen eingedämmt werden?
Ein vielversprechender Ansatz sind Infusionstherapien, bei denen das Medikament nicht in Tablettenform, sondern über einen kleinen Schlauch mittels einer unter die Haut eingeführten Nadel verabreicht wird. Der Schlauch ist mit einer tragbaren Pumpe verbunden, die das Medikament gleichmäßig über den Tag verteilt abgibt.
Durch die kontinuierliche Zufuhr des Medikaments können die Schwankungen der Beweglichkeit vermindert werden. Zudem müssen Patienten nicht mehr ständig daran denken, ihre Tabletten einzunehmen. Das ist für viele eine enorme Alltagserleichterung.
Ein deutlich invasiverer Eingriff ist die Tiefe Hirnstimulation, bei der elektrische Impulse abgegeben werden.
Die tiefe Hirnstimulation wird schon seit den 90er Jahren mit sehr gutem Erfolg zur Behandlung von Wirkschwankungen eingesetzt, die sich nicht mehr durch Anpassung der Medikamente ausgleichen lassen.
Große Hoffnungen werden auch mit der relativ neuen sogenannten adaptiven Hirnstimulation verbunden. Wie funktioniert sie und ist sie der lang ersehnte große Durchbruch in der Therapie von Parkinson?
Die sogenannte adaptive Hirnstimulation ist eine spannende Weiterentwicklung der klassischen Hirnstimulation. Die herkömmlichen Systeme geben kontinuierlich elektrische Impulse ab, um das gestörte Gleichgewicht der Nervensignale zu verbessern. Die neue Generation der Geräte kann in Echtzeit die Aktivität der Nervenzellen analysieren und gibt nur dann Impulse ab, wenn es nötig ist. Dadurch werden gezielt nur jene Nervenimpulse blockiert, die für die Beweglichkeit kontraproduktiv sind.
Möglicherweise lassen sich durch die adaptive Stimulation auch Nebenwirkungen wie zum Beispiel Sprachprobleme, die einige Patienten unter der konventionellen Hirnstimulation erleben, vermeiden.
Die Forschung an dieser Technik läuft derzeit noch. Die Berliner Charité ist in diesem Bereich führend. Aktuell sind wir dabei, die ersten Geräte im medizinischen Alltag einzusetzen.
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