
© dpa/Hendrik Schmidt
„In einigen Regionen keine ausreichende Erreichbarkeit“: Experten bemängeln lückenhafte Versorgung von ungewollt Schwangeren
Ungewollt Schwangere sehen sich in Deutschland mit teils hohen Hürden konfrontiert. Auch die Versorgungslage ist in manchen Regionen Deutschlands lückenhaft, wie eine aktuelle Studie zeigt.
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Die medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren ist in einigen Regionen Deutschlands lückenhaft. Das geht aus der jüngsten „Elsa“-Studie hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag und die das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite veröffentlicht hat.
Demnach haben Betroffene im Süden und Westen Deutschlands, vor allem in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern, Probleme, Angebote zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu erreichen.
Laut Studie lebten insgesamt 4,5 Millionen Menschen in Deutschland in Gebieten, die mehr als 40 Minuten mit dem Auto von der nächsten Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch entfernt sind. Das entspreche 5,4 Prozent der gesamten Bevölkerung, schreiben die Forscher. Von diesen 4,5 Millionen Menschen wohnten allein 2,5 Millionen in Bayern, was 19,2 Prozent der dortigen Bevölkerung entspreche.
Viele Landkreise mit schlecht erreichbaren Angeboten
Insgesamt stellten die Forscher für 85 von 400 Landkreisen eine nicht ausreichende Erreichbarkeit von Einrichtungen fest. Unter diesen 85 befänden sich 43 in Bayern sowie jeweils acht in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
„Die Ergebnisse zeigen, dass in einigen Regionen Deutschlands für einen Teil der Bevölkerung keine ausreichende Erreichbarkeit von Angeboten zum Schwangerschaftsabbruch gegeben ist“, schreiben die Autoren, darunter Wissenschaftler der Hochschule Fulda und der Uni Leipzig.
Für das Forschungsprojekt mit dem Titel „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung (Elsa)“ wurden 4589 Frauen mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren repräsentativ befragt. Auch offiziell verfügbare Daten, etwa die des Statistischen Bundesamts und Daten aus früheren Erhebungen, sind in die 1000 Seiten umfassende Studie eingeflossen.
Stigmatisierung laut Experten ein großes Problem
Aus der Befragung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben, geht hervor, dass sich ein Großteil von ihnen stigmatisiert fühlt. Über entsprechende Gefühle berichteten 83,5 Prozent der Betroffenen.
Diese Stigmatisierung habe „erhebliche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden und den Zugang zur Versorgung von Frauen“, heißt es.
Zu wenig Informationen und zu hohe Kosten für Betroffene
Neben den gesellschaftlichen Vorurteilen und der teils schwierigen Erreichbarkeit von Angeboten sehen sich ungewollt Schwangere laut Bericht auch mit weiteren Hürden konfrontiert – etwa mit hohen Kosten und zu wenig Informationen. Auch die Abschaffung des sogenannten Werbeverbots für Abtreibungen durch die ehemalige Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP habe nicht dazu geführt, dass Ärztinnen und Ärzte bislang in ausreichendem Maße auf ihren Webseiten über den Eingriff informierten, halten die Forscher fest.
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Auch beim Thema Kostenübernahme weisen die Forscher auf große Hürden hin. In Deutschland werden die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs nur in Ausnahmefällen – etwa nach einer Vergewaltigung oder bei medizinischer Indikation – von den Krankenkassen übernommen. Unter einer bestimmten Einkommensgrenze können die Kosten nach Antrag erstattet werden.
Bei Frauen, die den Abbruch selbst bezahlen müssen, variierten die Ausgaben dem Bericht zufolge erheblich: Knapp jede zehnte Befragte zahlte bis zu 200 Euro für den Eingriff. Etwas mehr als die Hälfte (53,1 Prozent) musste zwischen 201 und 399 Euro aufbringen. Etwa ein Drittel gab Kosten in Höhe von 400 bis 599 € an. Knapp 8 Prozent der Befragten erklärte, mehr als 600 Euro gezahlt zu haben.
Neuregelung zur Kostenübernahme noch ungewiss
Insgesamt seien knapp die Hälfte der befragten Frauen für die Kosten des Abbruchs selbst aufgekommen. „Obwohl die rechtliche Regelung eine Kostenübernahme für Frauen unter einer bestimmten Einkommensgrenze vorsieht, zeigen unsere Ergebnisse, dass finanzielle Barrieren nach wie vor ein erhebliches Hindernis darstellen“, bilanzieren die Forscher. Dies gelte insbesondere auch für Frauen, die längere Wege zu Einrichtungen in Kauf nehmen müssten.
Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen auszuweiten. Wie genau dies umgesetzt werden soll, ist noch unklar.
Forscher empfehlen Entkriminalisierung
Auch Sicht der Autoren hängt die Stigmatisierung von Betroffenen und die Versorgung mit Angeboten auch eng mit der aktuellen Gesetzeslage zusammen. Sie betonen, dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ und damit neben Mord und Totschlag angesiedelt sei. Diese rechtliche Verortung habe „direkte Auswirkungen auf den Zugang zur medizinischen Versorgung“, weil sie Sonderregelungen unterliege und rechtlich ungenügend abgesichert sei, heißt es.
Die Regelungen des entsprechenden Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch brächten Ärztinnen und Ärzte „in eine unsichere Lage“. Eine Reform oder Abschaffung des Paragrafen könne „das Arbeitsumfeld für Medizinerinnen und Mediziner entscheidend verbessern und den Zugang für Frauen erleichtern“, schreiben die Autoren.
In der vergangenen Legislaturperiode hatte es unter der Bundesregierung von Grünen, FDP und SPD eine Abgeordneteninitiative zur Abschaffung des Paragrafen gegeben. Allerdings hat es der entsprechende Gesetzentwurf nicht mehr durchs Parlament geschafft. Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung plant vorerst keine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. (dpa)
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