zum Hauptinhalt
Eine minimalinvasive Krebsoperation ist immer häufiger auch bei Metastasenbildung möglich.

© Adobe Stock

Kein Todesurteil mehr: Krebsmetastasen sind manchmal schon fast eine chronische Krankheit

Am Metastasenzentrum der Berliner Charité können auch Patienten, die fast schon in der Palliativversorgung waren, ein therapeutisches Fenster finden. Ein Besuch zum Weltkrebstag 2023.

Als wäre die Diagnose Krebs nicht schon schlimm genug: Wenn Ärzte dann noch Metastasen im Körper finden, scheint das Schicksal besiegelt. Doch fragt man im Europäischen Metastasenzentrum der Charité nach, hat sich die Grenze, wann ein Patient kurativ, also mit dem Ziel der Heilung, oder nur noch palliativ behandelt werden kann, in den letzten zehn Jahren verschoben – zugunsten der Patienten mit Metastasen.

Hilfe in scheinbar aussichtslosen Situationen

Das Zentrum bietet Krebspatienten in scheinbar aussichtslosen Situationen Hilfe an. Meist geht es um eine Zweitmeinung – im besten Fall um eine lebensverlängernde Therapie.

Manche Patienten betreue ich seit zehn Jahren“

Johannes Pratschke, Direktor der Chirurgischen Kliniken der Charité

„Eine Metastase ist heute kein Todesurteil mehr“, sagt Johann Pratschke, Direktor der Chirurgischen Kliniken am Campus Mitte und Virchow Klinikum. Bestimmte Krebserkrankungen wie etwa metastasierter Darmkrebs könnten mitunter lange unter Kontrolle gehalten werden, „sodass wir hier immer häufiger fast schon von einer chronischen Erkrankung sprechen können.“ Der Mitbegründer des Metastasenzentrums erzählt von Patienten, die er seit mehr als zehn Jahren betreut und immer wieder operiert, sobald eine neue Metastase auftritt. Sogar ein Patient mit Pankreaskarzinom sei nach zwei Metastasenoperationen „nun schon seit fünf Jahren tumorfrei.“

Von Heilung wagt niemand zu sprechen

Solche spektakulären Fälle sind zwar die Ausnahme, und von Heilung wagt am Metastasenzentrum niemand zu sprechen. Aber dass nicht jeder Krebspatient, der vom Arzt die niederschmetternde Nachricht bekommt, er sei austherapiert, tatsächlich ohne Chance ist, das können die Ärzte hier immer wieder widerlegen.

„Uns geht es darum, die Patienten zu identifizieren, die wir noch therapieren können, und wir tun das in interdisziplinären Tumorboards“, sagt der Leiter des Zentrums, Robert Öllinger. „Durch diese fachübergreifende Expertise können wir einigen Patienten, die sich bereits auf der palliativen Schiene befanden, ein therapeutisches Fenster bieten.“

Robert Öllinger, Leiter des Metastasenzentrums
Robert Öllinger, Leiter des Metastasenzentrums

© Charité

Verbesserte Krebsmedikamente spielen dabei die größte Rolle. Aber auch durch „neue Konzepte in der Metastasenchirurgie“ kann das Fortschreiten der Erkrankung oft um mehrere Jahre hinausgezögert werden, berichten die beiden Mediziner. Statt wie früher eine halbe Leber oder einen ganzen Lungenflügel zu entfernen, gehen die Chirurgen heute spezifisch gegen die Metastasen vor. Entfernen also weniger gesundes Gewebe, um künftig noch alle chirurgischen Optionen zu haben.

Die Operationen erfolgen zudem immer öfter minimal-invasiv mithilfe des OP-Roboters DaVinci. „Dadurch können wir im Vergleich zu vor zehn Jahren heute viel mehr Patienten kurativ operieren - selbst in komplexen Situationen“, betont Pratschke. Die Schlüsselloch-Chirurgie hat gegenüber der offenen OP den Vorteil, dass sich die Patienten schneller von dem Eingriff erholen und somit auch schneller fit für die eventuell anschließende Systemtherapie sind, erläutert Robert Öllinger. „Mittlerweile führen wir fast jeden zweiten Eingriff an der Leber minimal-invasiv durch – da sind wir im deutschsprachigen Raum sicher führend.“

Bemerkenswert ist, dass an der Charité eben auch Tumore operiert werden, die anderswo als inoperabel gelten. Dieses „window of opportunity“, wie die Ärzte hier sagen, öffnet sich etwa in jedem zehnten Fall.

Mitunter werden die Eingriffe mit Spezialverfahren kombiniert, etwa der Radiofrequenzablation (RFA) bei Lebermetastasen oder der hyperthermen intraperitonealen Chemotherapie (HIPEC) bei Bauchfellkrebs. Oder dem Cyberknife bei Hirnmetastasen oder der klassischen Bestrahlung. Hinzu kommen innovative Therapiestudien. Tatsächlich haben nur wenige Zentren in Deutschland so viele Optionen in petto.

Bei der Operation von Hirnmetastasen ist entscheidend, dass der Patient sich weiterhin bewegen und laufen kann.

Peter Vajkoczy, Neurochirurg

Als besonders riskant gilt die Behandlung von Metastasen im Gehirn und an der Wirbelsäule. Bei Operationen und Bestrahlungen in diesen zentralen Bereichen geht es oft weniger um die Lebensverlängerung als vielmehr um den Erhalt der Lebensqualität. „Entscheidend ist die Fähigkeit, sich zu bewegen, zu laufen und die Blasenfunktion zu erhalten“, sagt Peter Vajkoczy, Direktor der Neurochirurgischen Klinik an der Charité, der seit Jahren mit seiner Arbeitsgruppe die besonderen Eigenschaften von Hirnmetastasen erforscht. Er hat neue Therapiekonzepte mit entwickelt, etwa die intraoperative Bestrahlung oder die neoadjuvante Behandlung mit CyberKnife. „Aber die Prognose hängt ganz stark vom Primärtumor ab.“

So wie bei einer jungen Patientin aus Süddeutschland mit Mammakarzinom, bei der die Behandler vor drei Jahren eine Metastase an der Wirbelsäule entdeckten. Um die Krebszellen nicht zu verteilen, haben die Berliner Neurochirurgen bei ihr gleich den ganzen betroffenen Brustwirbelkörper in einem Stück herausgenommen und ersetzt. „Wir haben dafür gesorgt, dass die Patientin frei von Metastasen ist und ihr Leben genießen kann“, so Vajkoczy. „Das ist ein gutes Beispiel, dass eine Metastase im Gehirn oder eben an der Wirbelsäule nicht unbedingt ein Todesurteil ist, wenn die Erkrankung ansonsten gut kontrolliert ist.“

Robert Öllinger kann das bestätigen. Der Viszeralchirurg widerspricht auch der landläufigen Meinung, wonach schon eine einzelne Lebermetastase beim Mammakarzinom das Ende bedeutet. „Solche Fälle operieren wir, aber natürlich nur dann, wenn sich nicht noch weitere Metastasen in den Knochen und anderen Organen ausgebreitet haben.“

Auch das, muss man dazu sagen, sind Einzelfälle. Aber in der Summe sind es eben doch viele. Das liegt auch an der steigenden Zahl der Patientenanfragen, die sich seit Gründung des Zentrums im Jahr 2016 vervierfacht hatten auf knapp 6000 Kontakte 2019. Den pandemiebedingten Einbruch um 20 Prozent hofft Zentrumsleiter Öllinger bald aufzuholen, „damit die Patienten, denen wir helfen könnten, nicht noch mehr wertvolle Zeit verlieren.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false