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Zuwendung, Empathie und Zeit sind wichtigste Bestandteile der Palliativpflege.

© Getty Images/iStockphoto

Palliativbegleitung bei unheilbar Kranken: „Eine Chemotherapie bis zum letzten Lebenstag verursacht viel Leid“

Palliative Care kann Lebensqualität bis zum Schluss ermöglichen. Doch viele kennen die Angebote nicht, sterben ohne optimale Betreuung. Palliativpflegerin Angelika Feichtner will das ändern.

Stand:

Frau Feichtner, die Auseinandersetzung mit dem Tod dürfte mit das Schwierigste sein, das uns Menschen zugemutet wird. Wenn wir schon sterben müssen, wünschen wir uns wenigstens einen „guten“ Tod. Wie könnte der aussehen?
Ich bezweifle, dass es einen „guten“ oder „schlechten“ Tod gibt. Wir haben Vorstellungen davon, wie wir es gerne hätten. Aber das Sterben ist so individuell wie die Menschen selbst. Es lässt sich nicht verallgemeinern. Klar ist aber auch, dass sich jeder wünscht, möglichst schmerzfrei zu sterben. Wenn wir die Gewissheit hätten, dass für diese Zeit die bestmögliche palliative Versorgung zur Verfügung steht, würde das viel an Druck nehmen und Ängste reduzieren.

In welchem Stadium einer Erkrankung sollte eine palliative Betreuung denn einsetzen?
Eigentlich mit der Diagnose und der Erkenntnis, dass keine realistische Aussicht mehr auf Heilung besteht. In der Praxis ist es aber leider so, dass die palliative Betreuung oftmals viel zu spät einsetzt. Erst wenn alle therapeutischen Optionen ausgeschöpft sind, schlägt man den Patientinnen und Patienten die „Palliative Care“ vor, so der Überbegriff für Palliativpflege und -medizin. Besser wäre es, frühzeitig beide Wege zu gehen.

Was unterscheidet Palliative Care von anderen Pflegekonzepten?
Die strikte Patientenorientierung. Alle Maßnahmen werden nur auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen durchgeführt. Nicht die Routinen im Arbeitsablauf einer Station stehen im Vordergrund, sondern die momentanen individuellen Bedürfnisse. Das macht eine sehr flexible und sehr zugewandte Pflege notwendig. Palliative Care ist in diesem Sinne eine symptomlindernde Medizin, die versucht, die Lebensqualität möglichst lange zu erhalten.

Sie sprechen in Bezug auf Palliative Care von einem „Menschenrecht“. Aber wie kommt man zu diesem Recht? Und wer bezahlt dafür?
Es ist keine ganz billige Form der Betreuung, die aber von den Krankenkassen übernommen wird. Was in anderen Bereichen Kosten bei der Diagnostik und dem technischen Aufwand verursacht, geht hier vor allem in den Personaleinsatz.

Gibt es belastbare Zahlen dazu, wie viele Menschen diese Leistung in Anspruch nehmen?
Wir sind nicht auf dem Entwicklungsstand, auf dem wir gerne wären. Palliative Care gibt es in Deutschland und Österreich seit fast 40 Jahren. Sie hat sich in der Sache gut entwickelt, aber noch nicht in der Fläche und bezüglich des Bedarfs. Die große Mehrzahl der Menschen wird im Vorfeld ihres Todes nicht bedarfsgerecht behandelt.

Worauf ist das zurückzuführen?
Die Prioritäten liegen anderswo, zum Beispiel in der Anschaffung eines neuen Computertomografen oder generell in der Verbesserung der technisch-diagnostischen Ausstattung. Das wird als prestigeträchtiger angesehen.

Vielen Betroffenen dürfte es nicht leichtfallen, eine palliative Situation jenseits von Heilungschancen als solche anzuerkennen und sich darauf einzulassen. Könnte das auch ein Grund für den Nachholbedarf sein?
Ich glaube eher, es hängt damit zusammen, dass die Menschen zu wenig über diese Option wissen. So kommt es oft zum Klassiker: Chemotherapie bis zum letzten Lebenstag; eine unglaublich teure Behandlungsform, die viel Leid verursacht und den Betroffenen nur schadet. Würde man früher davon abrücken und stattdessen versuchen, die Atemnot und die Schmerzen unter Kontrolle zu bringen, damit die Patienten möglicherweise noch mal nach Hause können, würden die meisten zustimmen. Dafür müssten sie aber erst mal erfahren, dass sie diese Möglichkeit hätten.

Warum ist dieser Kenntnisstand so gering?
Das hat systemische Gründe. Ärztinnen und Ärzte werden darauf ausgebildet, in Richtung Heilung zu gehen. Deshalb denken sie von Anfang an gar nicht mit, dass es auch anders kommen könnte. Und wenn es dann so ist, werden die Patienten oft in andere Kliniken oder auf andere Stationen transferiert, anstatt den letzten Weg gemeinsam mit ihnen zu gehen.

Was hat Sie persönlich in die Palliativpflege geführt?
Ich komme ursprünglich aus der Transplantationschirurgie und war unzufrieden damit, wie mit den Menschen verfahren wurde, wenn die auf Heilung fixierte Maschinerie nicht funktionierte. Mir war es ein Anliegen, anders mit dem Lebensende umzugehen.

Zu Routinen kann es nicht kommen, weil der Verlauf des Sterbens immer ein anderer ist.

Angelika Feichtner, Palliativpflegerin

Sie sprachen von den Routineabläufen der Schulmedizin. Braucht man nicht auch in der Palliativpflege ein dickes Fell, um all das Leid nicht zu nahe an sich heranzulassen?
Distanz ist hier nicht angebracht. Es braucht eine Form von professioneller Nähe, Empathie, Mitgefühl und Zuwendung. Zu Routinen kann es schon deshalb nicht kommen, weil der Verlauf des Sterbens immer ein anderer ist. Für mich ist es eine der schönsten und befriedigendsten Formen der Betreuung und Pflege, wenn man sich davon leiten lassen kann, was dieser Mensch jetzt gerade braucht.

Auf welchen Ebenen kann Palliative Care den Betroffenen das Sterben erleichtern?
Es gibt vielfältige Möglichkeiten, auf pharmakologischer und pflegerischer Ebene wie auch in psychosozialer oder spiritueller Hinsicht. Das Spannende am Konzept der Palliative Care ist, dass all diese Bereiche zusammenarbeiten. Hierarchien ergeben sich jeweils aus dem momentanen Bedürfnis des Menschen.

Unser Anspruch ist, starken Emotionen standzuhalten wie eine Klagemauer.

Angelika Feichtner, Palliativpflegerin

Wie reagiert die Palliativpflege auf starke Emotionen wie Angst, Wut, Reue oder Verzweiflung?
Wir betrachten sie als selbstverständlich. Es handelt sich um eine sehr intensive Lebensphase, da gehören starke Emotionen dazu. Denen gilt es einfach Raum zu geben, anstatt sie wegtrösten oder abschwächen zu wollen. Unser Anspruch ist nicht, solche verständlichen Zustände zu verändern oder pädagogisch auf die Betroffenen einzuwirken, sondern ihnen standzuhalten wie eine Klagemauer.

Die Frage, wie man mit Sterbenden kommunizieren sollte, ist auch für Angehörige von Belang.
Die Kommunikation sollte offen und authentisch sein. Wenn man sich verstellt, bemerken es die Betroffenen sowieso. In der verbalen Kommunikation geht es darum, in möglichst klaren, kurzen Sätzen zu sprechen. In Dialogen sollte man den Patientinnen und Patienten Zeit lassen, um reagieren zu können. Große Teile der Kommunikation sind aber nonverbal – Blicke, Gesten, geteilte Machtlosigkeit.

Was können Angehörige tun, um das Sterben ihnen nahestehender Menschen zu erleichtern?
Der Mensch stirbt in aller Regel nicht ganz allein. Es gibt fast immer einen Personenkreis, der mehr oder weniger mitbetroffen ist. Meiner Erfahrung nach kann es für beide Seiten wertvoll sein, wenn diese Zeit gemeinsam durchlebt oder auch durchgestanden wird. Man kann dabei extrem viel über das eigene Leben lernen.

Wenn wir alle Möglichkeiten der Palliativpflege und -medizin ausschöpfen würden, wären assistierte Suizide viel seltener nötig.

Angelika Feichtner, Palliativpflegerin

Gerade Angehörige können viel tun, viel mehr als die Profis, brauchen aber ihrerseits auch Rückenstärkung, damit sie mit der Situation klarkommen. Oft haben sie Angst, etwas zu versäumen, etwas falsch zu machen oder wesentliche Dinge nicht zu erkennen. In der unmittelbaren Sterbephase brauchen die Patientinnen und Patienten deutlich weniger an Pflege. Da geht es eher darum, sie in Ruhe zu lassen. Umso mehr Aufmerksamkeit brauchen die Angehörigen.

Ist der assistierte Suizid eine akzeptable Option? Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, was dagegen?
Wir haben in Österreich seit zwei Jahren das Sterbeverfügungsgesetz, nach dem auch assistierter Suizid erlaubt ist. Dazu muss man wissen, dass die häufigste Motivation, sich dafür zu entscheiden, unzureichend behandelte Schmerzen oder körperliche Symptome sind. Das weist auf einen Mangel an palliativer Versorgung hin.

Das Wissen um die Möglichkeit eines assistierten Suizids kann für manche Menschen eine Beruhigung sein. Denn es geht oft weniger um aktuelle Schmerzen oder Leiderfahrungen als um die Angst vor möglicherweise noch bevorstehenden. Wenn wir alle Möglichkeiten der Palliativpflege und -medizin ausschöpfen würden, wären assistierte Suizide viel seltener nötig. Es würde oft gar nicht so weit kommen, davon bin ich überzeugt.

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