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Wenn Teenager verzweifeln: Wann wird aus einer Krise eine psychische Erkankung?
Eltern wissen mitunter nicht weiter, wenn ihre Kinder auf einmal nur noch toben, weinen oder ganz verstummen. Frühe Unterstützung kann jedoch viel bewirken.
Stand:
Jungen Menschen in Deutschland geht es nicht gut. Die Hälfte aller psychischen Erkrankungen wird laut Studien vor dem 18. Lebensjahr diagnostiziert. Die gute Nachricht: Jugendliche können sich schneller erholen als Erwachsene, wenn sie rasch Hilfe bekommen. Die Familientherapeutin Melanie Hubermann hat konkrete Tipps, wie das gelingen kann.
1 Symptome ernst nehmen
Wut, Trauer oder Frust könnten in der Pubertät durchaus auftreten. Ein Anzeichen für eine depressive Verstimmung sei es, wenn mindestens zwei Symptome über mindestens zwei Wochen anhielten: etwa gedrückte Stimmung, Verlust von Interesse, verminderter Antrieb oder schnelle Ermüdung. Aufmerken sollten Eltern auch, wenn sich das Ess- und Schlafverhalten deutlich verändere oder die übliche Leistung abfalle.
Wer das Gefühl hat, dass etwas schiefläuft, sollte lieber einmal mehr um Hilfe bitten als einmal zu wenig.
Melanie Hubermann, Familientherapeutin
2 Dranbleiben
Manche Teenies verlassen kaum noch ihr Zimmer, geschweige denn das Haus. Statt zu lamentieren, ist es laut Hubermann sinnvoller, das eigene Kind regelmäßig zu besuchen, vielleicht mit Keksen und einem Getränk, von sich zu erzählen, Stille zu ertragen und zuzuhören, wenn Sohn oder Tochter sich öffnet. Solche regelmäßigen „Check-Ins“ zeigten Präsenz und könnten zu einem Ritual werden.
3 Auch auf sich selbst achten
Meist könnten Eltern ihrem Bauchgefühl trauen, wenn es um die eigenen Kinder geht, sagt die Expertin. „Wer das Gefühl hat, dass etwas schiefläuft, sollte lieber einmal mehr um Hilfe bitten als einmal zu wenig.“ Auch Unterstützung für die Eltern wirke sich gerade auf jüngere Kinder häufig positiv aus.
4 Gewohnheiten prüfen
Feste Tagesabläufe und gemeinsame Mahlzeiten sorgen für Stabilität. Auch regelmäßige Bewegung trägt zur Gesundheit bei - ob Spaziergänge, Radtouren oder eine Sportart, die allen Freude bereitet. Wenn Eltern dies vorlebten und sich von diesem Kurs nicht abbringen ließen, entstünden automatisch kleine Momente des Austauschs. Unbeschwertes Miteinander sei auch bei Film- oder Spieleabenden möglich.
5 Familiengeschichte reflektieren
Gibt es Vorerkrankungen? Oder leiden alle Familienmitglieder etwa im Winter an Antriebslosigkeit? Neigen Eltern und Großeltern eher zu Sorgen oder gehen sie unbekümmert durchs Leben? Um Schuld geht es bei solchen Fragen nicht, betont die Expertin. Vielmehr könnten die Erkenntnisse helfen, Blockaden oder Auslöser für Krisen zu erkennen – und den Umgang damit zu verändern.
6 Kleine Schritte
„Der Wille zu Veränderung ist großartig, doch große Schritte entmutigen schnell“, erklärt Hubermann. Gerade für ängstliche Kinder sei es hilfreich, schrittchenweise vorzugehen, eine schwierige Situation zum Beispiel mit Vorlauf zu besprechen. Übungen sollten regelmäßig wiederholt und auch „Rückschritte“ eingepreist werden: Mit psychischen Problemen umzugehen und das eigene Verhalten zu verändern, braucht Zeit.
7 Keine Angst vor Hilfe
Fachleute raten zu einem ganzen „Helfernetz“. Eltern quälten sich häufig mit Schamgefühlen, dabei könnten sowohl Angehörige als auch Nachbarn oder der Kinderarzt konkret unterstützen. Manchmal hilft es schon, in Situationen, die oft zum Konflikt führen, immer die geliebte Tante anzurufen. Sinnvoll sei es auch, eigene Sorgen – etwa um den kranken Opa – mit den Kindern zu teilen und zugleich zu betonen, dass man nach Lösungen suche: „Diese Form der Transparenz schenkt Präsenz und Sicherheit.“ (KNA)
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