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Der Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) muss sich der Hightech eines Smart-House erwehren.

© dpa/WOLFGANG ENNENBACH

„Inside“ im Kino: Eine Robinsonade im Luxus-Knast

Willem Dafoe liebt Herausforderungen. Für den Thriller „Inside“ arbeitet er mit dem Regie-Debütanten Vasilis Katsoupis – eine nervenaufreibende One-Man-Show.

Zwei Dinge sind unverzichtbar, dreht man einen Film an nur einem Ort und mit nur einer Person. Erstens: Ein gutes Drehbuch mit genügend Ideen, um das Interesse an der Versuchsanordnung wachzuhalten. Zweitens: Willem Dafoe. 

Der vierfach Oscar-nominierte Schauspiel-Gigant ist sich für keine Rolle zu schade. Vom Comic-Bösewicht („Spider-Man“) über Künstler-Größen („Van Gogh“) bis hin zur One-Man-Show eines griechischen Regie-Debütanten – er spielt alles. Vasilis Katsoupis ist ein echter Coup gelungen, als er den US-Star für seinen Klaustrophobie-Thriller „Inside“ gewinnen konnte. 

Beton, Glas – und viel Kunst

Er sperrt Dafoes Figur Nemo in ein Hightech-Luxusloft ein. Mit viel Beton, Glas – und jeder Menge Kunst. Ein paar Werke von Egon Schiele will der Dieb entwenden, dann wieder verschwinden. Das funktioniert natürlich nicht, die Technik spinnt. Nemo kann zwar problemlos einbrechen, doch die Sicherheitsmaßnahmen hindern ihn nun überaus effektiv daran, wieder hinauszugelangen. 

Der Eigentümer des Penthouses ist längere Zeit außer Landes, wie dem anfänglichen Walkie-Talkie-Austausch mit einem Komplizen zu entnehmen ist. Danach besteht „Inside“ nur noch aus Selbstgesprächen. Tage vergehen, Wochen vergehen, Monate. Das Apartment verlottert zusehends – und die Hauptfigur mit ihm.

Regisseur Katsoupis und Drehbuchautor Ben Hopkins wollen nicht nur zeigen, wie wertlos all die teuren Kunstwerke angesichts des drohenden Todes werden. Sie gehen die Sache nuancierter an: Nemo spricht mit den Bildern, beginnt sogar, in einem Notizblock selbst zu zeichnen. Die Kunst scheint ihm einen gewissen Halt zu geben – für eine Weile jedenfalls. Allmählich weicht die Angst des Einbrechers, erwischt zu werden, dem alleinigen Wunsch, sich irgendwie zu retten.

Willem Dafoes Faltengebirge

In diesem Kammerspiel spielt die Beschaffenheit der Kammer eine zentrale Rolle. Der Wohntraum anderer verwandelt sich für Nemo in ein Gefängnis, geradezu in eine Folterkammer. All die Gimmicks der Bequemlichkeit werden für ihn zur Qual. Die Wasserversorgung scheint digital gesteuert zu sein und nach dem technischen Zusammenbruch nicht mehr zu funktionieren. Auch die Klimaanlage spielt verrückt und heizt die Räume abwechselnd auf 40 Grad hoch oder in Richtung Gefrierpunkt herunter. Man sieht Nemo den Schweiß aus den Poren treten, bald darauf seinen Atem in Wolken aufsteigen.

Und je länger er nach Wegen zu überleben sucht, desto mehr erinnert das Geschehen an eine urbane Robinsonade – eine Defoe-Variante mit Dafoe gewissermaßen. Der 67-Jährige ist in der Lage, jede Facette auf seinem zerklüfteten Gesicht sichtbar zu machen: von aufkeimender Hoffnung über fatalistische Euphorie bis hin zu alles erstickender Verzweiflung. Gleichzeitig bringt er eine sehnige Körperlichkeit mit. Kein Wunder, dass ihm die Kamera von Steve Annis gern auf den in die Jahre gekommenen Leib rückt. Das Faltengebirge bildet einen wunderbaren Kontrast zu den glatten Oberflächen des Apartments. 

Manche Einstellungen, in denen die Kamera langsam die Räume durchmisst, muten geradezu grafisch an. Erst als Nemo den Verstand zu verlieren droht, bewegt auch sie sich hektischer. Eine ähnlich beklemmende Ruhe strahlt die Musik von Frederik Van de Moortel aus. Er reduziert sie auf Soundflächen und einzelne Töne, zumeist herrscht Stille im Apartment. Nur das Sirren der Klimaanlage ist zu hören. Das lässt das Ausgeliefertsein der menschlichen Kreatur inmitten dieses Luxus-Gefängnisses noch greifbarer werden.

Wenn „Inside“ überstanden ist, herrscht Erleichterung. Man freut sich regelrecht, dass das Licht im Saal wieder angeht und man einfach so in die Freiheit entschwinden darf.

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