
© Freepik/Illustration: Bene Brandhofer, Urban Journalism Network
Das neue Heizkosten-Dilemma: Warum Wohnen bald noch viel teurer wird
Ab 2027 macht ein EU-Gesetz fossiles Heizen deutlich teurer. Besonders betroffen sind jene, die schon heute sparen müssen. Klimaschutz als soziales Risiko: eine Datenanalyse.
- Benedikt Brandhofer
- Nina Breher
- Gaby Khazalová
- David Meidinger
- Emmanuelle Picaud
Stand:
In den vergangenen zehn Jahren sind die Heizkosten in Deutschland um knapp 60 Prozent gestiegen. Das war wohl erst der Anfang. Denn ab 2027 wird ein neues System zur CO₂-Bepreisung, ETS 2 genannt, das Heizen mit fossilen Brennstoffen in ganz Europa deutlich verteuern.
Es ist der Versuch der Politik, den Klimawandel nachhaltig zu bekämpfen. Ein teurer Versuch – auch und vor allem für ärmere Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Heizkosten europäischer Haushalte könnten in den kommenden Jahren um 30 bis 40 Prozent steigen, sollten Verbraucher nicht entlastet werden, schätzen Energieexperten.
Wie weitreichend die Folgen für Millionen von Eigentümern, Vermietern und Mietern sind, verdeutlichen Daten, die der Tagesspiegel gemeinsam mit dem „Urban Journalism Network“ ausgewertet hat. Die geplante CO₂-Bepreisung, die energetische Sanierungen und damit den Klimaschutz voranbringen soll, trifft auf eine vielerorts ohnehin schon angespannte Wohnmarkt-Situation. Wohn- und Klimakrise drohen miteinander zu kollidieren.
Bereits heute können sich sechs Prozent der Haushalte hierzulande das ausreichende Heizen im Winter nicht mehr leisten, zeigen Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat. Im europäischen Durchschnitt ist es demnach sogar fast jeder Zehnte. Seit 2022 sind die Heizkosten sprunghaft angestiegen.
Zwar haben EU und Bundesregierung angekündigt, Verbraucher finanziell zu entlasten und damit soziale Härten abzufedern. Aber konkrete Pläne gibt es bislang nicht. Im Gegenteil: Ende Juni ließ die schwarz-rote Bundesregierung eine Frist verstreichen, die Deutschland milliardenschwere EU-Mittel garantiert hätte, um Menschen mit geringen Einkommen und hohen Energieausgaben zu unterstützen.
Den CO₂-Ausstoß von Häusern und Wohnungen zu senken, ist aus Klimaschutz-Sicht schlicht notwendig. Laut Europäischer Energieagentur verursacht der Gebäudesektor (privat und gewerblich) mit mehr als 30 Prozent einen großen Teil der europaweiten CO₂-Emissionen. Und EU-weit sind laut EU-Kommission nur 25 Prozent aller Gebäude energieeffizient. Der Hauptgrund: Europas Gebäudebestand ist alt.
Hierzulande wurden zwei Drittel der Gebäude vor 1979 gebaut, und damit zu Zeiten, in denen es energetische Mindeststandards nicht gab. Undichte Fenster, ungedämmte Dächer, Außenwände dünn wie Pappe. Vor allem in solchen Gebäuden wird es bald teurer, auch an jenen Orten, wo viele ohnehin kaum über die Runden kommen.
Denn alte Gebäude benötigen bis zu viermal mehr Energie pro Quadratmeter als neue oder energetisch sanierte.
Energetische Sanierungen senken die Heizkosten zwar – aber sie sind teuer. Eigentümer müssen investieren, die Mieten steigen. Denn Vermieter dürfen ihre Mieter über die sogenannte „Modernisierungsumlage“ an den Kosten beteiligen.
Teurer wird es also so oder so. Aber wie stark fällt der neue CO₂-Preis ab 2027 ins Gewicht – und wer trägt die Kosten?
Was genau plant die EU?
„ETS 2“, kurz für „Europäisches Emissionshandelssystem 2“, ist Teil des Green Deals, der die EU bis 2050 klimaneutral machen will. Das System regelt auf europäischer Ebene den Handel mit CO₂-Zertifikaten für Gebäude und Straßenverkehr.
Zwar hat Deutschland bereits seit 2021 ein solches System. Aber ab 2027 wird das System in das europäische System überführt. Dann ist der CO₂-Preis nicht mehr festgelegt, sondern soll sich nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage auf dem freien Markt bilden. Experten erwarten, dass sich der aktuelle Preis von 55 Euro pro Tonne CO₂ dadurch innerhalb kurzer Zeit verdreifachen wird.
Unternehmen, die fossile Brennstoffe wie Heizöl oder Gas in Umlauf bringen, müssen künftig teurere Emissionsrechte kaufen – und werden den Preis mindestens teilweise an die Verbraucher durchreichen. Am Ende, schätzen Fachleute, landen die höheren Kosten in den Heizkostenabrechnungen. Dasselbe gilt für Benzin: Der Autofahrerclub ADAC warnt bereits vor teurerem Sprit.
Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) rechnet bis 2030 mit einem einem CO₂-Preis von 160 Euro pro Tonne. Ähnlich erwartet es der Datenanbieter BloombergNEF mit bis zu 149 Euro pro Tonne – eine Verdreifachung also. 2040 könnte die Tonne CO₂ bereits 400 Euro kosten, prognostiziert das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Heizen wird zur Kostenfalle
Für Eigentümer und Mieter bedeutet das: Es wird teuer. Dabei steigen die Mieten in Deutschland sowieso stark, im vierten Quartal 2024 um durchschnittlich 4,7 Prozent, in Berlin laut dem Institut für Deutsche Wirtschaft (IW Köln) sogar um 8,5 Prozent.
Die Analysten von BloombergNEF rechnen damit, dass Heizen mit Gas oder Öl in Europa aufgrund von ETS 2 um 31 bis 41 Prozent teurer werden könnte, sollten Verbraucher nicht entlastet werden.
Bereits bei einem CO₂-Preis von 100 Euro je Tonne könnte ein deutscher Haushalt mit 230 Quadratmeter Wohnfläche allein für den CO₂-Anteil der Heizkosten statt 417 Euro im Jahr künftig 759 Euro im Jahr bezahlen müssen. Das hat das Energie-Beratungsunternehmen Purpose Green berechnet. Das wären rund 350 Euro mehr im Jahr nur für CO₂. Bei einem Preis von 250 Euro pro Tonne wären es sogar über 1500 Euro zusätzlich. Der Brüsseler Thinktank Bruegel veranschlagt für einen durchschnittlichen europäischen Haushalt jährliche Zusatzkosten von bis zu 800 Euro.
Immerhin: Für Mieter hat die Politik in Deutschland bereits 2023 ein Entlastungsmodell entwickelt. Schon jetzt gilt: Je ineffizienter das Gebäude ist, umso größer ist der Anteil, den Vermieter an den CO₂-Kosten selbst tragen müssen. Ist ein Gebäude sehr effizient, zahlen Mieter die vollen CO₂-Kosten.
Allerdings gibt es einen Haken: Das Modell sieht keine Obergrenze vor. Deshalb schlüge sich etwa eine Verdreifachung des Preises trotz Stufenmodell deutlich in den Heizkosten für Mieter nieder.
Und: Wenn Eigentümer energetisch aufrüsten – wozu das Stufenmodell und der neue CO₂-Preis anregen sollen –, steigen die Mieten, denn die Sanierungs-Kosten können auf Mieter umgelegt werden. Wer nicht saniert, zahlt hohe CO₂-Kosten. Für Eigentümer kann es ein Dilemma sein – für Mieter eine Kostenfalle.
Gleichzeitig wird in Deutschland und Europa nicht schnell genug saniert, um wie angestrebt bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Vergangenes Jahr wurden nur 0,7 Prozent der Dächer, Fenster oder Fassaden erneuert, wie eine Studie im Auftrag des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG) zeigte. In der ganzen EU wird mit jährlich ein Prozent etwas mehr renoviert, schätzt die Europäische Kommission.
Hinzu kommt, dass in Deutschland deutlich mehr Geld in Neubauten als in Sanierungen fließt. Diese Gebäude sind dann zwar energieeffizient. Aber der Bau selbst verursacht hohe Emissionen – nach Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen bis zu 2,4-mal so viel wie bei einer energetischen Sanierung. Investitionen in energetische Sanierungen stagnieren zudem seit Jahren.
„Die energieeffiziente Gebäudesanierung hat in den letzten zehn Jahren keine Fortschritte gemacht“, schlussfolgert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Bericht. Zuletzt lag das an hohen Zinsen und hohen Preisen für Baumaterialien. Das trägt dazu bei, dass ab 2027 umso mehr Menschen, Mieter wie Eigentümer, von den steigenden CO₂-Preisen betroffen sein werden.
Und: Je weniger saniert wird, desto höher Nachfrage nach den CO₂-Zertifikaten – und desto stärker steigt ihr Preis ab 2027. Der CO₂-Preis hängt also künftig davon ab, wie sich der Verbrauch fossiler Energien entwickelt. Je mehr für Heizen und Verkehr gebraucht wird, desto teurer wird es. Und je mehr Klimaschutzmaßnahmen in dem Sektor es gibt, desto weniger steigen die CO₂-Preise.
Wird Klimaschutz zum sozialen Risiko?
Ohne sozialen Ausgleich könnte der steigende CO₂-Preis für die Politik zu einem riesigen Problem werden. Sie braucht die Bevölkerung für den Kampf gegen den Klimawandel. Eine hohe finanzielle Belastung könnte jedoch zum Gegenteil führen. Es droht also nicht nur eine soziale Krise, sondern eine politische.
„Was die soziale Komponente angeht, ist Deutschland auf die Einführung des ETS 2 nicht angemessen vorbereitet“, sagt Swantje Fiedler, Expertin für das Thema beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft.
Zwar sollen Einnahmen aus den höheren CO₂-Preisen teilweise in einen Fonds fließen, der soziale Härten abfedert. Aber wie genau das passieren soll, ist bislang unklar. Für die Jahre 2026 bis 2032 liegen bei der EU 5,3 Milliarden Euro für Deutschland bereit – aber die Bundesregierung hat noch keinen Plan eingereicht.
Im Koalitionsvertrag bleiben Union und SPD vage. Sie wollen Haushalte unterstützen, sagen aber nicht wie. Sie versprechen zudem, dass der Strompreis sinken soll, finanziert durch „die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung“. Auch auf Anfrage wird das zuständige Bundesumweltministerium nicht konkreter: Die Bundesregierung werde „unbürokratische und sozial gestaffelte Entlastungen und Förderungen beim Wohnen und bei der Mobilität auf den Weg bringen“.
Denkbar wäre auch eine Ausweitung des deutschen „Klima- und Transformationsfonds“, mit dem etwa der Kauf von Wärmepumpen oder Klimaschutz-Maßnahmen der Industrie gefördert werden. Für die kommenden vier Jahre stehen darin derzeit mindestens 59,4 Milliarden Euro bereit. Im Wahlkampf hatten die heutigen Regierungsparteien noch mit einem Klimageld für Bürger (SPD) geworben sowie mit niedrigeren Stromsteuern.
Letztere sollen nun kommen – trotz heftiger Debatte auch in der schwarz-roten Regierung allerdings nur für die Industrie und nicht für Verbraucher. Trotz gegenteiliger Ankündigung im Koalitionsvertrag.
Dieser Artikel wurde im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts „Energy Trap“ des Urban Journalism Network erstellt. Mehr Informationen finden Sie auf der Website des Projekts.
Das Team
Recherche & Text Deutschland: Nina Breher (Tagesspiegel), Katja Demirci (Tagesspiegel)
Redigatur: Simon Frost (Tagesspiegel)
Datenvisualisierung & Entwicklung: David Meidinger (UJN, Tagesspiegel)
Recherche, Daten, Koordination international: Gaby Khazalová (UJN)
Recherche international: Emmanuelle Picaud (UJN)
Design international: Benedikt Brandhofer (UJN)
Koordination Visualisierung & Daten international: Hendrik Lehmann (UJN)
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