
© AFP/MARTIN LELIEVRE
Jahrestag des Anschlags auf „Charlie Hebdo“: „Ich sah Täter rückwärts aus dem Gebäude kommen“
Zehn Jahre nach dem Terror-Attentat auf das Satiremagazin erscheint es weiterhin jede Woche. Der Karikaturist Rénald Luzier überlebte durch einen Zufall.
Stand:
„Wir haben den Propheten gerächt“, brüllten die Täter an jenem Mittwochvormittag im Januar 2015, als sie nach nur zwei Minuten das Gebäude wieder verließen, in dem die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ saß.
Sie flohen, zwei Tage später wurden sie in einer Druckerei rund 40 Kilometer nordöstlich von Paris von der Polizei erschossen. Später ließ sich nachkonstruieren, wie sich die beiden radikalisiert hatten.
Am schwierigsten war für mich, meine Trauer von der ganzen Welt in Beschlag nehmen zu lassen.
Rénald Luzier, ehemaliger Karikaturist von „Charlie Hebdo“
Zwölf Menschen hatten sie ermordet, darunter acht Mitglieder der Redaktion, auch deren Herausgeber Stéphane Charbonnier, genannt Charb, die Zeichner Cabu (Jean Cabut), Tignous (Bernard Verlac) und Georges Wolinski, die in Frankreich als wichtige Figuren der satirischen Presse galten.
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„Je suis Charlie“ ging als Ausdruck der Solidarität um die Welt
Getötet wurden zudem unter anderem Charbs Personenschützer Franck Brinsolaro und der Polizist Ahmed Merabet. Als sich der damalige Webmaster des Magazins, Simon Fieschi, der schwer verletzt wurde, im Oktober 2024 das Leben nahm, war das für viele wie ein furchtbares Echo des Attentats.
Dieses galt als grausiger Auftakt einer ganzen Serie von Anschlägen, die folgten, in Frankreich und in Europa. Am 8. Januar 2015 tötete Amedy Coulibaly in Montrouge südlich von Paris die Polizistin Clarissa Jean-Philippe.
Am Folgetag ermordete er vier Menschen bei einer Geiselnahme im koscheren Pariser Supermarkt Hyper Casher, bevor ihn die Polizei erschoss.
Coulibaly bekannte sich zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Zehn Monate später starben bei Attentaten auf Pariser Bars, die Konzerthalle Bataclan und das Fußballstadion Stade de France insgesamt 130 Menschen.
An 2015 erinnert Frankreich sich als das Jahr, in dem es so schwer wie nie vom Terrorismus getroffen wurde. Viele standen dagegen auf: Am 11. Januar beteiligten sich landesweit 3,7 Millionen Menschen an Trauermärschen, unter ihnen rund 50 Staats- und Regierungschefs.
Das Schlagwort „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) als Ausdruck der Solidarität ging um die Welt. Nur eine Woche nach dem Anschlag erschien eine „Ausgabe der Überlebenden“. „Alles ist verziehen!“, stand auf der Titelseite neben einem weinenden Propheten – eine furchtlose Botschaft an jene, die das Magazin auslöschen wollten.
Gezeichnet hat die Karikatur Rénald Luzier, genannt Luz, dem, wie er sagt, die Liebe das Leben rettete. Um seinen 43. Geburtstag zu feiern, verbrachten er und seine Freundin den Morgen des 7. Januar 2015 im Bett.
Als er mit großer Verspätung bei „Charlie Hebdo“ ankam, erblickte er noch die Mörder: „Ich sah sie rückwärts aus dem Gebäude gehen, mit tänzelnden Schritten, wie in einer Art Choreografie.“ Wenige Monate später verließ er Paris und das Magazin, für das er 23 Jahre gearbeitet hatte.

© picture alliance / dpa/Yoan Valat
„Am schwierigsten war für mich, meine Trauer von der ganzen Welt in Beschlag nehmen zu lassen“, sagte Luz im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Innerhalb von einer Woche trug er neun ihm nahestehende Menschen zu Grabe, sollte zugleich Karikaturen zeichnen, Interviews geben.
„Manche machten mich zu einem Symbol, das ich nie sein wollte“, sagte der 52-Jährige. Um die Trauer zu verarbeiten, schrieb er Bücher: In „Katharsis“, das im September 2015 erschien, ging es um „diese absolute Fassungslosigkeit nach dem Tod einer geliebten Person“, sagte er. In „Wir waren Charlie“ erzählte er Anekdoten: „Ich wollte allen, die ,Ich bin Charlie’ sagten, zeigen, wer Charlie eigentlich war.“
Das Magazin erscheint weiterhin jede Woche, unter der Ägide des Chefredakteurs Riss (Laurent Sourisseau), der den Anschlag verletzt überlebt hatte. Mohammed-Karikaturen veröffentlichte es kaum mehr. Streitbar ist es geblieben.
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