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Nach vier Jahren wieder vereint: Nahid Taghavi und ihre Tochter Mariam Claren.

© dpa/--

1500 Tage im Gefängnis: Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi in Freiheit

Vier Jahre lang hielt das iranische Regime die politische Aktivistin in der berüchtigten Haftanstalt Evin gefangen. Jetzt ist Nahid Taghavi frei. War sie ein Opfer von Teherans „Geiseldiplomatie“?

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Ihre Selbstbeschreibung hat sie in den sozialen Medien zumindest bis Montagnachmittag noch nicht aktualisieren können – dafür ist zu viel passiert.

Auf Englisch bezeichnet sich Mariam Claren auf dem Kurznachrichtendienst X immer noch als „Tochter der politischen Gefangenen Nahid Taghavi“.

Der neueste Beitrag vom Montagmorgen aber zeigt, dass das zum Glück nicht mehr zutrifft. „Es ist vorbei. Nahid ist frei!“, steht über einem Foto, das Claren und ihre Mutter in der Ankunftshalle des Flughafens Köln/Bonn zeigt.

Mehr als vier Jahre lang gehörte die inzwischen 70 Jahre alte Aktivistin Nahid Taghavi zur kleinen Zahl deutscher Staatsangehöriger in iranischer Haft.

Wie so viele Doppelstaatler war sie in der Vergangenheit regelmäßig zwischen ihrem Herkunftsland und dem neuen Wohnsitz ihrer Familie hin und her gereist.

Isolationshaft und Folter

Im Oktober 2020 kommt sie in Haft, wird in mehrmonatige Isolationshaft gesteckt und schließlich ohne Rechtsbeistand zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Das Regime in Teheran erkennt nur die eigene Staatsangehörigkeit an, weshalb das Auswärtige Amt vor allem Personen mit zwei Pässen dringend vor Reisen in die Islamische Republik warnt.

Gefahr für Doppelstaatler

Neben dem möglichen persönlichen Leid geht es auch darum, dass den Mullahs nicht weitere Menschen für ihre „Geiseldiplomatie“ in die Hände fallen sollen.

Mariam Claren sagt im Gespräch mit dem Tagesspiegel 2023: „Der Iran nimmt Doppelstaatlerinnen und Doppelstaatler in Haft, um sie als Verhandlungsmasse gegenüber den entsprechenden Ländern zu missbrauchen.“

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Im politischen Berlin ist die Erleichterung groß, dass es mit vereinten konsularischen und diplomatischen Kräften gelungen ist, Taghavi nach Deutschland zurückzuholen.

Das politische Berlin ist erleichtert

„Ein großer Moment der Freude“, schreibt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Vormittag zu dem Bild von Mutter und Tochter am Flughafen auf X, „dass Nahid Taghavi endlich wieder ihre Familie in die Arme schließen kann.“

Nahid Taghavi war neben Jamshid Sharmahd die bekannteste Deutsche, die im Iran festgehalten wurde. Er hat die Haft nicht überlebt.

Der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd hat die Haft im Iran nicht überlebt.

© dpa/Mizan/Koosha Falahi

Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt, zuvor ist er wegen „Terrorismus“ verurteilt worden und sollte hingerichtet werden. Zwei weitere deutsche Staatsbürger befinden sich dem Vernehmen nach noch in den Händen des iranischen Regimes.

Nach der Schließung dreier iranischer Konsulate in Deutschland als Reaktion auf die mutmaßliche Ermordung Sharmahds hatte es Befürchtungen gegeben, dass sich dies negativ auf die verbliebenen deutsch-iranischen Gefangenen auswirken könne.

Gab es ein Entgegenkommen?

Es gab aber dennoch weiter Kontakte auf vielen Ebenen – unter anderem sprach Baerbock mehrfach mit ihrem iranischen Amtskollegen.

Zu den genauen Hintergründen der Freilassung oder gar einem möglichen politischen Entgegenkommen von deutscher Seite auf anderem Gebiet ist nur wenig bekannt.

„Die Bundesregierung hat sich intensiv für die überfällige Freilassung von Frau Taghavi eingesetzt“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Man freue sich, „dass die Leidenszeit von Frau Taghavi zu Ende ist“, sie und ihre Familie hätten „Unerträgliches durchgemacht“.

Auch Amnesty International machte immer wieder auf das Schicksal von Nahid Taghavi aufmerksam.

© Amnesty International/Jarek Godlewski

Die Kölner Architektin und Aktivistin Nahid Taghavi war am 16. Oktober 2020 zu Besuch in Teheran, als sie von Geheimdienstmitarbeitern der Revolutionsgarde festgenommen wurde. Der Vorwurf lautete: Gefährdung der Sicherheit.

„Propaganda gegen den Staat“

Zum Verhängnis wurde Taghavi wohl ihr Engagement für Freiheits-, Frauen- und Arbeitsrechte. Im August 2021 verurteilte sie ein Gericht wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Gruppe“ und „Propaganda gegen den Staat“ zu mehr als zehn Jahren Haft.

Mit rechtsstaatlichen Prinzipien hatte der zweitägige Prozess nichts zu tun. Nach Angaben ihrer Tochter verbrachte ihre Mutter die ersten sieben Monate in Isolationshaft, 80 Tage lang sei sie zwölf Stunden am Tag verhört worden.

Amnesty International zufolge ließ das Regime die politische Gefangene foltern, zum Beispiel mithilfe von Psychoterror. Mehrfach erkrankte Taghavi und litt unter starken Schmerzen.

Nur drei Mal konnte sie aus medizinischen Gründen das Gefängnis verlassen – und das nur mit elektronischer Fußfessel. Mehr als 1500 Tage dauerte Taghavis Leid, das am Montag ein Ende fand.

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