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20 Jahre nach Hurrikan „Katrina“: Wie der Monstersturm New Orleans schrumpfte
Vor der Katastrophe hatte die Stadt 500.000 Einwohner, heute 362.000. Ganze Stadtviertel wurden nicht wieder aufgebaut. Aber das Motto „Let the good times roll“ zieht Touristen an wie eh und je.
Stand:
Hurrikan „Katrina“ war bereits wieder abgezogen, da fing die Katastrophe erst so richtig an. Sie wurde zu einem der größten Versagen in der Präsidentschaft von George W. Bush und beschleunigte den Niedergang seines Ansehens kurz nach der Wiederwahl wohl noch stärker als der Krieg im Irak. Dort versanken die US-Soldaten nach dem leichten militärischen Sieg über Saddam Husseins Truppen in frustrierenden Kämpfen gegen Widerstandsgruppen und Selbstmordattentäter.

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Zwanzig Jahre ist das jetzt her: Die Stadt New Orleans, deren Jazz-Tradition und Mardi-Gras-Bräuche ein verlässlicher Tourismusmagnet waren, deren French Quarter als Kulisse unzähliger Hollywood-Blockbuster diente, erlitt eine doppelte Zerstörung: erst durch die Wirbelwinde mit Geschwindigkeiten bis zu 250 Stundenkilometer.
Und dann, als die Dämme brachen und die Pumpensysteme ausfielen, durch die Überflutung ganzer Stadtquartiere. Sie begrub die kleinen Häuser der Armen wie die Villen der Reichen vorübergehend unter sich. Menschen, die den Evakuierungsbefehl ignoriert hatten, ertranken, als sie sich in die Dachgeschosse und auf die Dachfirste ihrer Eigenheime zu retten versuchten.

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Viele Viertel liegen unterhalb des Wasserspiegels der Gewässer, die New Orleans umschließen: der im Mündungsgebiet mäandernde Mississippi, der Lake Pontchartrain im Norden und der Golf von Mexiko im Süden. Wenige Höhenmeter machten einen schicksalshaften Unterschied aus. Nur die ältesten, höher gelegenen Siedlungskerne blieben von der Überflutung verschont. Der Großteil des Stadtgebiets lief voll wie eine Suppenschüssel, die in ein Abwaschbecken getaucht wird.
Mehrere Tage im Voraus hatten die Metereologen und der Katastrophenschutz vor dem „Monstersturm“ gewarnt. Der schwarze Bürgermeister Ray Nagin flehte die 500.000 Stadtbewohner und die 1,5 Millionen im Großraum an, sich ins Landesinnere zu retten: „Katrina ist kein Hurrikan wie andere, die wir überlebt haben. Dies hier ist todernst.“ Andere wurden noch deutlicher: „Es geht nicht darum, ob die nächsten Tage ungemütlich werden. Es geht darum, wie viele von uns nächste Woche noch leben.“
89 Tote, mehr als 100 Milliarden Dollar Schäden
Allen modernen Vorhersage-, Vorbeugungs- und Schutzmechanismen zum Trotz bleibt „Katrina“ eine Mahnung, wie begrenzt die menschlichen Einflussmöglichkeiten darauf sind, ob aus einem potenziellen Jahrhundertereignis ein historischer Wendepunkt wird oder nicht. Situationsanalysen hatten keinen langen Bestand. Informationslagen drehen sich binnen weniger Stunden.
Es sollte Monate dauern, in denen Totenzahlen und Schadenshöhen mehrfach um Dimensionen hin und her korrigiert wurden, bis zu einer einigermaßen beständigen Bilanz: 89 Tote, mehr als hundert Milliarden Dollar Sachschäden.

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Zunächst sah es aus, als habe New Orleans noch einmal Glück gehabt. Das Sturmzentrum zog 50 Meilen östlich vorbei und verwüstete Küstenstädtchen wie Biloxi und Gulfport im Nachbarstaat Mississippi. In den ersten Berichten über Louisiana und New Orleans mischte sich Erleichterung in das allgemeine Entsetzen. „Ein einziger glücklicher Schlamassel“, intonierte die „New York Times“.
Doch nach mehreren Tagen drangen Reporter und Kamerateams in die tiefer liegenden Viertel vor. Die Flutpegel sanken allmählich, aber an der Höhe der Verschmutzung der Fassaden ließ sich ablesen, wie hoch die kontaminierte Brühe aus Flutwasser, Kanalisation und teils giftigen Industrieabfällen gestanden hatte.
Über Wochen durchsuchten Rettungsteams alle Gebäude. Sie markierten mit rotem x und schwarzen Sonderzeichen, ob sie Leichen gefunden hatten und wie viele, welche Häuser als betretbar, renovierbar oder abrissreif eingestuft wurden. Viele Bezirke waren tagelang von der National Guard abgeriegelt worden, in manche wurden die vormaligen Bewohner erst nach Wochen vorgelassen, um zu sehen, was aus ihrem Besitz geworden war.
Alles weg. Wir waren vielleicht arm, aber wir waren Hausbesitzer.
Geschockte Ex-Einwohnerin beim ersten Besuch in ihrem Viertel, der verwüsteten Lower Ninth Ward, nach der Katastrophe.
Die Mitfahrt in den Bussen, die sie dorthin brachten, zum Beispiel in die völlig zerstörte Lower Ninth Ward, war herzzerreißend. „Alles weg“, stammelte eine schwarze Frau unter Tränen. Aus ihren Worten war herauszuhören, wie der Verlust ihr Selbstwertgefühl schmerzte. „Wir waren vielleicht arm, aber wir waren Hausbesitzer.“
Helden und Gescheiterte
„Katrina“ beschleunigte und ruinierte Karrieren. Anderson Cooper, der heute als Starreporter von CNN gilt, hatte aus dem Stadion „Super Dome“ berichtet. Dort suchten Zehntausende, die obdachlos geworden waren, Zuflucht. Einige seiner „Breaking News“ stellten sich als falsch heraus: die angeblichen Schüsse auf Rettungskräfte nach Plünderungen von Waffenläden, die angeblich massenhaften Vergewaltigungen im Stadion. Cooper wurde dennoch zum Helden, weil er das Versagen der Regierung anklagte.
George W. Bush reiste nach New Orleans, ging aber nicht in die Stadt, sondern verschaffte sich mit Experten aus der Luft ein Bild von der Lage. Wenn er mit großem Tross am Boden auftauche, werde das die Arbeit des Katastrophenschutzes behindern, begründete er die Entscheidung. Es wurde ihm als Herzlosigkeit ausgelegt.
Bis heute hat New Orleans die 500.000 Einwohner vor „Katrina“ nicht wieder erreicht. 360.000 leben dort aktuell. Stadtviertel wie die „Lower Ninth Ward“ wurden zum Teil nicht wieder aufgebaut. Die Touristen kommen wie eh und je in das French Quarter – getreu dem Mardi-Gras-Motto: „Let the good times roll!“
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