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Seit Monaten gibt es in Israel Demonstrationen für die Freilassung der Geiseln, die sich immer noch in den Händen der Hamas befinden.

© IMAGO/SOPA Images/Eyal Warshavsky

Annäherung beim Geiseldeal?: So könnten sich Israel und die Hamas einigen

Die Verhandlungen schienen lange festgefahren. Nun legt die Hamas erstmals eine Liste mit 34 Namen israelischer Geiseln vor. Auch Donald Trump macht Druck auf die Verhandler.

Stand:

Liri Albag sitzt in einem dunklen Raum vor einer Kamera. Blass, verängstigt, gekleidet in einen grünen Overall. Etwa dreieinhalb Minuten redet die 19-Jährige. Immer wieder muss die junge Frau unterbrechen, weil sie weinen muss.

Seit 450 Tagen befinde sie sich in der Hand der Hamas, sagt Liri Albag und erwähnt den Jahreswechsel von 2024 auf 2025. Doch dass die israelische Soldatin am Leben ist, lässt sich nicht zweifelsfrei belegen. Sie ist eine der Geiseln, die sich immer noch in der Hand der Islamisten befinden.

Am Samstag veröffentlichte die Terrororganisation das Video mit Albag – und schockierte damit einmal mehr die israelische Öffentlichkeit. Es ist die schreckliche Erinnerung daran, dass sich noch etwa 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen befinden.

Wie viele von ihnen noch am Leben sind, ist ungewiss. Nach Annahme vieler Beobachter könnte ein Teil der Geiseln bereits verstorben sein – eine Annahme, die am Mittwoch durch eine traurige Nachricht untermauert wurde. Nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers Israel Katz vom Mittwoch bargen die Streitkräfte des jüdischen Staates in den vergangenen Tagen die Leichen eines Vaters und seines Sohnes.

Dabei soll es sich um Yosef AlZaydani und seinen Sohn Hamzah handeln, die am 7. Oktober 2023 entführt worden waren, zusammen mit zwei weiteren Kindern Yosefs. Diese wurden bei einem Austausch am Ende November 2023 nach mehr als 50 Tagen aus der Hamas-Gefangenschaft freigelassen.

Albags Familie fordert Fortschritte beim Geiseldeal

Als Reaktion auf das Video forderte Liri Albags Familie die Regierung von Israels Premier Benjamin Netanjahu dazu auf, die Geiseln zurückzuholen – und die günstig erscheinende Situation dafür zu nutzen.

Denn die derzeitige Runde der Verhandlungen in Katar verbreitet ein wenig Hoffnung, dass sich der jüdische Staat und die Hamas zumindest auf eine teilweise Freilassung der Verschleppten einigen könnten.

Ende November gab es einen ersten Austausch

Seit Monaten verhandeln die Terroristen und Israel unter Vermittlung Katars und der USA über eine Freilassung der verbliebenen Gefangenen. Ende November 2023 kam es zu einem ersten Austausch, bei dem 50 israelische Geiseln gegen 150 palästinensische Gefangene ausgetauscht wurden. Doch seitdem sind die Verhandlungen festgefahren.

Der Abschluss einer Einigung hängt nach wie vor an der Frage, wie viele palästinensische Gefangene Israel freilässt im Austausch für die Geiseln – und ob und in welchem Umfang sich die israelischen Truppen aus dem Gazastreifen zurückziehen.

Israel will sich nicht komplett aus Gaza zurückziehen

Genau daran scheitern die Verhandlungen: Israel ist nicht bereit, sich komplett aus dem Gazastreifen zurückzuziehen, da es ein Wiedererstarken der Hamas befürchtet. Die Islamisten wiederum wollen ihr Druckmittel – die Geiseln – nicht komplett aus der Hand geben.

Dass sich die Hamas in einer solch sensiblen Situation dafür entschieden hat, das Video von Liri Albag zu veröffentlichen, ist aus Sicht von Hans-Jakob Schindler vor allem mit verhandlungstaktischen Gründen zu erklären.

„Mit solchen Videos der Geiseln verfolgt die Hamas immer den Zweck, über deren Familien und die Öffentlichkeit Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um diese zu Zugeständnissen bei den Verhandlungen zu bewegen“, sagt der Senior Director des internationalen Counter Extremism Project.

Zudem seien schon lange keine bestätigten Nachrichten der noch lebenden Geiseln veröffentlicht worden. „In diesem Zusammenhang dient das Video auch dazu, zu beweisen, dass überhaupt noch Geiseln im Gazastreifen am Leben sind.“

Zuletzt schien es positive Signale seitens der Hamas zu geben. In den vergangenen Tagen kursierte eine Liste von 34 Geiseln, die freikommen könnten.

Die israelische Regierung dementierte zwar zunächst, diese Liste bekommen zu haben. Doch dass die Hamas überhaupt die Namen von Geiseln lancierte, stimmte Entscheidungsträger in Jerusalem nach Angaben der Tageszeitung „Haaretz“ vorsichtig optimistisch. Ob die namentlich benannten Geiseln überhaupt noch am Leben sind, teilte die Hamas nicht mit.

Ranghohe Vertreter auf dem Weg zu den Verhandlungen

Dafür, dass es zumindest zu einer teilweisen Einigung kommt, spricht zudem, dass sich am Montag ranghohe Vertreter Israels und der Vereinigten Staaten auf den Weg nach Doha machten, darunter der Chef des Geheimdienstes Mossad, David Barnea.

Ein erster Schritt könnten sein, dass die Hamas Frauen, ältere Menschen, Kinder und Kranke an Israel übergibt. Im Gegenzug könnte Israel einige palästinensische Gefangene freilassen, eine temporäre Waffenruhe ausrufen und sich zumindest in Teilen aus dem Gazastreifen zurückziehen.

Doch auch wenn eine Einigung in der Vergangenheit immer wieder gescheitert ist, könnten nun sowohl Israel als auch die Hamas Interesse daran haben, dass es nun endlich zu einem Durchbruch kommt.

Das liegt wohl nicht zuletzt am Druck der Vereinigten Staaten. Der scheidende Außenminister Antony Blinken machte am Montag erneut deutlich, dass die US-Regierung erwarte, dass endlich ein Abkommen zustande kommt. „Wir wollen das unbedingt in den nächsten zwei Wochen, die uns noch bleiben, über die Ziellinie bringen“, sagte Blinken.

Die Annahme der Hamas ist, dass die Biden-Verhandler möglicherweise ,fairer’ sein werden als Verhandler der neuen Trump Regierung.

Hans-Jakob Schindler, Senior Direktor des internationalen Counter Extremism Project

Dass die Regierung von US-Präsident Joe Biden überhaupt noch Einfluss auf die Verhandlungen nehmen kann, liegt nach Einschätzung von Hans-Jakob Schindler daran, dass sowohl die Hamas als auch Israel ein Interesse daran haben, ein Teilabkommen noch vor der Amtseinführung Donald Trumps zustande zu bringen. „Die Annahme der Hamas ist, dass die Biden-Verhandler möglicherweise ,fairer’ sein werden als Verhandler der neuen Trump Regierung“, sagte Schindler dem Tagesspiegel.

Trump hatte zudem zuletzt seine Warnung an die Hamas wiederholt, dass „die Hölle los“ sein werde, sollten die Geiseln nicht vor seinem Amtsantritt freigelassen sein.

Die Hamas ist massiv geschwächt

Zudem ist die Hamas durch den andauernden Krieg in Gaza massiv geschwächt – und die Islamisten können nicht mehr auf die Hilfe der libanesischen Hisbollah zählen. Israels Angriffe haben die militärischen Kapazitäten der Miliz weitgehend zerstört.

Trotzdem ist auch Netanjahu unter Zugzwang. Das liegt nicht allein am immensen Druck aus der israelischen Zivilgesellschaft.

Denn auch der Amtsantritt des sonst so israelfreundlichen Donald Trump ist für Netanjahu nicht komplett ohne Risiko. Ende Oktober berichtete die „Times of Israel“, dass der designierte US-Präsident vom israelischen Premier verlangt habe, den Gazakrieg bis zu seinem Amtsantritt zu beenden. Dazu kommt noch ein finanzieller Aspekt, sagt Hans-Jakob Schindler.

„Trump geht es wohl weniger um die humanitäre Lage in Gaza oder um das Schicksal der Geiseln, sondern darum, dass er Staatsausgaben reduzieren und Steuern maßgeblich senken will und daher ‚teure‘ Militärhilfen für Alliierte eher störend sind“, sagt Schindler.

Unter Biden sei Israel massiv militärisch unterstützt worden, hier sei kaum noch eine Steigerung möglich – und eher eine Reduzierung der Ausgaben gewünscht. „Daher kann es durchaus sein, dass der US-Druck auf die israelische Regierung bezüglich eines Deals unter der neuen Trump Administration eher wächst als sinkt.“

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