
© REUTERS/KEVIN LAMARQUE
Anschluss Kanadas an die USA?: Trump erwägt „ökonomischen Zwang“, Musk bezeichnet Trudeau als „Mädchen“
Während in Ottawa nach dem angekündigten Rücktritt des Premiers eine Regierung auf Abruf amtiert, verschärft der künftige US-Präsident seine Attacken auf das Nachbarland. Und Elon Musk verunglimpft Trudeau.
Stand:
Zunächst schien es ein Witz von Donald Trump zu sein: Kanada soll 51. Bundesstaat der USA werden. Aber wenige Tage vor seinem Amtsantritt spricht Trump nun von „wirtschaftlicher Macht“, die er anwenden könnte, um einen Zusammenschluss der beiden Länder zu erreichen.
Der künftige US-Präsident verschärft seine verbalen Attacken auf das nördliche Nachbarland, während in Kanada unklar ist, wer das Land künftig führen wird. Unterstützung bekommt Trump dabei auch von Elon Musk, der neben der Leitung seiner Unternehmen wie Tesla und X auch als Berater Trumps fungiert.
Den angekündigten Rücktritt von Premierminister Justin Trudeau hatte Trump am Montag auf seiner Truth-Social-Plattform kommentiert. Trudeau sei zurückgetreten, weil er, Trump, Strafzölle angekündigt habe, um das Ungleichgewicht im Handel zwischen den beiden Ländern auszugleichen. Ein Beitritt Kanadas zu den USA würde dessen ökonomische und Sicherheitssorgen lösen. Viele Menschen in Kanada würden es lieben, der 51. Staat zu sein.
Eine künstlich gezogene Linie.
Donald Trump über die Grenze zwischen den USA und Kanada
Am Dienstag sprach er in Florida erneut von einem Zusammenschluss beider Länder. Er würde nicht militärischen, aber „ökonomischen Zwang“ anwenden. Die Grenze zwischen beiden Ländern ist für ihn eine „künstlich gezogene Linie“. Die USA bräuchten keine Produkte aus Kanada. Ein Anschluss Kanadas an die USA „wäre auch besser für die nationale Sicherheit. Im Grunde genommen schützen wir Kanada.“
Nach der Wiederholung der Bemerkungen über Kanada als US-Bundesstaat meldete sich am Dienstag Trudeau auf X zu Wort. Es gebe „not a snowball´s chance in hell“, schrieb Trudeau, „nicht den Hauch einer Chance“, dass Kanada der 51. US-Staat werde.
Ontarios Premier Doug Ford konterte scherzhaft mit einer Gegenofferte: Kanada könnte Alaska und Minnesota kaufen. Er ergänzte später: „Wir sind ein souveränes Land.“
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In einer Umfrage des Instituts Leger vom Dezember 2024 befürworteten nur 13 Prozent der befragten Kanadier einen Beitritt ihres Landes zu den USA, 82 Prozent lehnten die Idee ab.
Als Reaktion auf Trudeaus Statement auf X schrieb dessen Eigentümer Musk am Mittwochmorgen auf derselben Plattform einen Satz, der den kanadischen Regierungschef gleich mehrfach beleidigte: „Mädchen, du bist nicht mehr die Gouverneurin von Kanada, also ist es egal, was du sagst.“
Neben der Bezeichnung „Mädchen“ für einen 53-jährigen Mann dürfte aus kanadischer Sicht die von Musk gewählte Amtsbezeichnung „Gouverneur“ mindestens eine ebenso große Verunglimpfung darstellen: Der Titel wird für die jeweiligen politischen Führer der 50 US-Bundesstaaten und fünf US-Territorien benutzt. Den Premierminister des nördlichen Nachbarlandes so zu bezeichnen, spricht Kanada ab, ein souveränes Land zu sein.
Die Tatsache, dass sie nicht wollen, dass wir sie übernehmen, macht mir Lust, einzumarschieren.
Fox-Moderator Jesse Watters
Verbale Unterstützung bekam Trump auch von Jesse Watters, einem Moderator und Kommentator des rechten Fernsehsenders Fox News. „Trump ist Amerikas Immobilien-Tycoon“, sagte Watters in der Talkshow „The Five“. Der designierte US-Präsident „sondiert das Terrain, lässt seine Muskeln spielen.“
Trump, der zuvor auch über eine Annexion Grönlands und des Panamakanals schwadroniert hatte, schaue sich an, „was da draußen möglich ist, und versucht, die neuen Konturen der neuen Weltordnung zu erkennen.“
Bezüglich Kanada sagte Watters: „Die Tatsache, dass sie nicht wollen, dass wir sie übernehmen, macht mir Lust, einzumarschieren. Ich möchte meinen imperialistischen Durst stillen.“
Mit Strafzöllen gegen Einwanderer und Drogen
Wesentlich bedrohlicher als die Annexionsphantasien und die rhetorischen Ausfälle sind für Kanada vorerst die Trump-Pläne, 25-prozentige Zölle auf Importe aus Kanada zu erheben. Trump begründet das mit dem Handelsbilanzdefizit zwischen beiden Ländern und behauptet, dass die USA Kanada subventionierten. Der Import-Überschuss lag nach kanadischen Angaben im November bei zehn Milliarden kanadischen Dollar, rund 6,7 Milliarden Euro.
Kanada verweist darauf, dass das Defizit vor allem auf Öl- und Erdgasexporte in die USA beruht und keine „Subvention“ sei. Trump begründet die Strafzölle ferner mit „illegaler“ Immigration und Drogenschmuggel von Kanada in die USA. Dass Ottawa umgerechnet rund eine Milliarde Euro in die Grenzsicherung investieren will, genügt ihm nicht.
Kanada erwägt ebenfalls höhere Zölle
Wie die kanadische Regierung auf die drohenden Strafzölle reagieren wird, ist noch nicht klar. Sie erwägt, frühzeitig eine Liste von Gütern zu veröffentlichen, die aus den USA bezogen werden und die Kanada mit Zöllen belegen könnte.
Diesen Weg war Kanada gegangen, als 2018 die Trump-Regierung Zölle auf Stahl und Aluminium aus Kanada verhängt hatte. Nach einjährigen Verhandlungen hoben damals beide Seiten ihre jeweiligen Strafzölle auf. Die Veröffentlichung dieser Liste soll der US-Wirtschaft signalisieren, welche Kosten auf sie zukommen würde, sollte Trump seine Pläne umsetzen.
In der kommenden Woche wollen die Regierungschefs der Provinzen mit Trudeau zusammentreffen. Ontarios Doug Ford hatte als mögliche Vergeltung bereits einen Stopp des Exports von Elektrizität in die USA ins Gespräch gebracht.
Einfuhrzölle würden immense negative Auswirkungen für Kanada, aber auch die USA haben.
Gaphel Kongsta, Direktor für Internationale Politik bei der kanadischen Handelskammer
„Einfuhrzölle würden immense negative Auswirkungen für Kanada, aber auch die USA haben“, sagt Gaphel Kongsta, Direktor für Internationale Politik bei der kanadischen Handelskammer. Für Kanada und die USA könnte dies zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 2,6 Prozent beziehungsweise 1,6 Prozent führen.
„Die Volkswirtschaften beider Länder sind auf den grenzüberschreitenden Handel angewiesen.“ Sie seien zutiefst integriert. Trump setze offenbar darauf, dass teurere Importe eine stärkere Produktion im Inland anregen könnte.
Fen Osler Hampson, Professor für Internationale Angelegenheiten der Carleton University in Ottawa, glaubt, dass die durch Zölle ausgelösten Preissteigerungen die US-Amerikaner zunächst stärker treffen würden als die Kanadier, vor allem im Bereich der Energie.
Die Erhebung der Zölle würde aber das Ende des zwischen den USA, Kanada und Mexiko in der ersten Trump-Regierungszeit neue ausgehandelte Handelsabkommen CUSMA, der Neufassung von NAFTA, bedeuten. „Auf längere Sicht haben wir bei einem Zollkrieg Verlierer auf beiden Seiten“, meint Hampson.
Die Turbulenzen in Ottawa mit dem Rücktritt der früheren Finanzministerin Chrystia Freeland und dem angekündigten Rücktritt von Premierminister Trudeau erschweren eine geschlossene Reaktion Kanadas auf Herausforderungen durch die künftige Trump-Administration.
Trudeau als „Lahme Ente“?
In Kommentaren war dieser Tage mehrfach von einer „Lame Duck“-Regierung die Rede, einer „lahmen Ente“. Das kanadische Parlament ist bis Ende März suspendiert. Ob es den Liberalen bis dahin gelingt, eine neue Führungsperson zu installieren, ist fraglich.
Nach Rückkehr des Parlaments aus der Zwangspause droht der Regierung ohnehin der Sturz durch ein Misstrauensvotum, was zu vorgezogenen Wahlen im Frühsommer führen würde. Reguläre Wahlen wären erst im Oktober.
Die Liberalen müssen daher eine neue Führung bestimmen, mit der sie in den Wahlkampf ziehen. Chrystia Freeland wird als potenzielle Parteichefin und Premierministerin gehandelt. Sie hat Erfahrungen mit Trump, weil sie die kanadischen Verhandlungen zur Erneuerung des Handelsabkommens mit den USA und Mexiko leitete.
Die einstige US-Korrespondentin für die Nachrichtenagentur Thomson-Reuters wurde nach Trudeaus Wahlsieg Handelsministerin. Später stieg sie zur Außenministerin und dann Finanzministerin auf und war bis zuletzt mit den Beziehungen zu den USA betraut. Lange Zeit war sie Trudeaus wichtigste Kraft im Kabinett, bis Kontroversen über die Finanz- und Wirtschaftspolitik vor drei Wochen zu ihrem Rücktritt führten.
Auch der jetzige Finanzminister Dominic LeBlanc wird als mögliche neue Spitzenkraft der Liberalen gehandelt. Er ist ein langjähriger Freund von Trudeau. Weitere Kabinettsmitglieder wie Außenministerin Mélanie Joly und Anita Anand, Ministerin für Transport und internen Handel, sind ebenfalls im Gespräch.
Ein möglicher Bewerber von außen ist der frühere Governeur der Bank of Canada und der Bank of England, Mark Carney. Er hat sein Interesse artikuliert, aber noch keine Entscheidung getroffen. Carney, ein früherer Goldman Sachs-Banker, führte Kanadas Notenbank von 2007 bis 2013 und von 2013 bis 2020 die Bank of England. Er hat somit Erfahrungen im Krisenmanagement: Er steuerte Kanada durch die Finanzkrise 2008 und Großbritannien durch den Brexit.
Carney ist engagiert im Umbau der Volkswirtschaften zu CO₂-Neutralität und wurde 2019 zum Sonderbotschafter des UN-Generalsekretärs für Klimaaktion und Finanzen ernannt. Carney hat sich grundsätzlich zustimmend zu der von den Liberalen eingeführten CO₂-Steuer geäußert. Wer die Steuer abschaffen wolle, müsse eine glaubwürdige Alternative präsentieren.
In Kanada ist die „Carbon Tax“ sehr umstritten und der konservative Parteichef Pierre Poilievre hat Carney bereits zum „Carbon Tax Carney“ abgestempelt und hofft ihn damit zu diskreditieren. Poilievre will mit dem populistischen Slogan „Axe the Tax“ (Schafft die Steuer ab) in den Wahlkampf ziehen – um sie nach einem Wahlsieg, für den derzeit alle Umfragen sprechen, zu beseitigen. (mit lvt)
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