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„Brauchen mindestens acht weitere Brigaden“: Kiew mobilisiert Rekruten – auch mit Blick auf Atomwaffen in Belarus
Das ukrainische Militär mobilisiert und sucht Männer für die Armee. Gleichzeitig wächst die Zahl jener, die das Land verlassen wollen.
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Der Kreml versucht derzeit seine Armee aufzustocken und ist auf der Suche nach Soldaten. So verspricht zum Beispiel die Stadtverwaltung im russischen Jaroslawl eine Prämie von 3.800 Dollar für die Registrierung. Sollten die Männer dann auch in die Ukraine gehen, kommen ein monatliches Gehalt von bis zu 2.500 Dollar hinzu. 100 Dollar erhalten sie außerdem pro Tag für die „Teilnahme an aktiven Offensivoperationen“.
Aber auch Kiew braucht dringend personellen Nachschub. Vor kurzem hat das ukrainische Parlament beschlossen, das Kriegsrecht bis zum 20. Mai 2023 zu verlängern. Infolgedessen werden mehr Rekruten mobilisiert. Soldaten verteilen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen Vorladungen an männliche Bürger zwischen 18 und 60 Jahren.
Nach Angaben von Roman Yaremenko, einem Mitarbeiter der Registrierungsabteilung des Rekrutierungszentrums, werden sie nicht sofort nach Zustellung der Vorladung an die Front geschickt. Zunächst werden die Daten und der Gesundheitszustand überprüft. Je nach den Ergebnissen der medizinischen Kommission werden sie einer militärischen Einheit zugeordnet oder bleiben in der Reserve.
Laut Valery Zaluzhny, Oberbefehlshaber der Armee, haben die Ukrainer keinen so hohen Personalmangel wie die russischen Streitkräfte. Nach Schätzungen amerikanischer und europäischer Beamter sind seit Beginn der russischen Invasion 120.000 ukrainische Soldaten getötet oder verwundet worden.
„Die neuen Rekruten werden durch Einheiten ergänzt, die Kampfverluste erlitten haben“, so Zaluzhny. Alle Mobilisierten werden in der Armee bleiben, bis der Krieg vorbei ist.
Wir brauchen mindestens acht weitere Brigaden, um diese Frontlinie zu kontrollieren. Sie ist mehr als tausend Kilometer lang.
David Arahamia, Abgeordneter des ukrainischen Parlaments
Nach Ansicht des Abgeordneten des ukrainischen Parlaments, David Arahamia, könnte die Mobilisierung als Reaktion auf die Stationierung von Atomwaffen durch Russland in Belarus verstärkt werden. Dann wird die Ukraine mehr Männer brauchen, um die Nordgrenze zu kontrollieren. „Wir brauchen mindestens acht weitere Brigaden, um diese Frontlinie zu kontrollieren. Sie ist mehr als tausend Kilometer lang“, sagte der Abgeordnete.
Vor Beginn des Angriffskrieges zählten die ukrainischen Streitkräfte rund 261.000 Mann, einschließlich Freiwilligen-Bataillone. Heute sind nach Angaben von Verteidigungsminister Oleksiy Reznikov allein in den Reihen der Streitkräfte etwa 700.000 Ukrainer. Der gesamte Sicherheits- und Verteidigungssektor umfasst bis zu eine Million Menschen.
Strafen für Kriegsdienstverweigerer
Wer sich weigert einzuziehen, muss in beiden Ländern mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen. In Russland droht eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren. Die ukrainischen Behörden verhängen zunächst eine Geldstrafe, wenn ein Wehrpflichtiger, Reservist oder Wehrdienstleistender die ersten beiden Male nicht in einem Rekrutierungszentrum erscheint, sofern er keinen triftigen Grund nennen kann. Sollte er auch ein drittes Mal nicht erscheinen, wird dies mit einer Freiheitsstrafe von drei bis fünf Jahren geahndet.
Seit Beginn der militärischen Invasion in der Ukraine dürfen zudem männliche ukrainische Staatsbürger im Alter von 18 bis 60 Jahren während der Dauer des Kriegsrechts das Land nicht verlassen. Ausgenommen sind Erwerbsunfähige, Männer mit großer Familie oder alleinerziehende Väter, Vormünder und enge Verwandte von gefallenen Soldaten. Genauso wie Bürger mit offiziellem Wohnsitz in anderen Ländern. Männer im wehrpflichtigen Alter haben das Recht auf kurzfristige Reisen zu geschäftlichen, humanitären und kulturellen Zwecken.
Nach offiziellen Angaben wurden Anfang März 2023 mehr als 1,27 Millionen Genehmigungen für solche Auslandsreisen ausgestellt. Die meisten von ihnen wurden aus geschäftlichen Gründen genehmigt – und zwar mehr als 1,1 Millionen. Außerdem wurden 170.000 Genehmigungen für humanitäre Einsätze und Reisen ins Ausland ausgestellt. Etwa 100.000 männliche Freiwillige überquerten die Grenze, von denen 11,1 Prozent nicht in die Ukraine zurückkehrten.
Zahl der Ausreiseanträge von Männern nimmt zu
Infolge der Verlängerung des Kriegsrechts hat die Zahl der Ausreiseanträge von Männern zugenommen. Ebenso die Straftaten im Zusammenhang mit dem Versuch des illegalen Grenzübertritts. Manche sollen versucht haben, sich das Ausreiserecht zu erkaufen und zwischen 500 und 2500 Euro gezahlt haben. Andere wiederum sollen sich als Frauen und deren Dokumente verwendet haben. Viele dieser Geflüchteten haben in EU-Ländern Asyl beantragt.
Ende März verschärften die ukrainischen Behörden die Maßnahmen gegenüber Geflüchteten und ergänzten die Ausreisebestimmungen. Der staatliche Grenzschutzdienst wiederum kündigte an, sie vor Gericht zu stellen. Laut einer Erklärung von Andriy Demchenko, Sprecher des staatlichen Grenzschutzdienstes, haben Ukrainer, die die EU-Grenzen illegal überquert haben, keinen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus – und werden in Zusammenarbeit mit anderen Ländern zurückgebracht.
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