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Diese Frau wurde aus den Trümmern eines Wohnkomplexes in Mandalay gezogen.

© AFP/SAI AUNG MAIN

Bürgerkrieg, Armut, Sanktionen: Warum das Erdbeben Myanmar besonders hart trifft

Hilfe von außen ist schwierig in dem international isolierten Land. Die Welthungerhilfe arbeitet vor Ort – ihr Landesdirektor berichtet, politische Experten ordnen ein.

Stand:

Wie groß das Ausmaß der Erdbeben-Katastrophe in Myanmar ist, wird durch die ungewöhnliche Bitte des Chefs der herrschenden Militärjunta, Min Aung Hlaing, um internationale Unterstützung deutlich. „Jedes Land, jede Organisation“ wurde zu Hilfe aufgerufen.

Frühere Militärregime hatten selbst nach schweren Naturkatastrophen ausländische Hilfe abgelehnt. So 2008 nach dem Zyklon Narges, bei dem schätzungsweise 80.000 bis 100.000 Menschen getötet wurden.

Die Naturkatastrophe trifft zudem ein Land im Bürgerkrieg. Hier stehen sich die Militärjunta, die sich 2021 an die Macht geputscht und damit den demokratischen Prozess beendet hatte, und zahlreiche Widerstandsgruppen gegenüber. Wenige Stunden nach dem Beben führte die Junta zwei Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ortschaft Chaung-U in Sagaing durch.

Katastrophenhilfe mitten im Bürgerkrieg

Die Menschenrechtsorganisation „Burma Campaign UK“ betonte auf X, Regierungen und Organisationen, die der Bevölkerung Myanmars nach dem Erdbeben helfen wollten, müssten sich darüber im Klaren sein, dass es im Land mehrere Regierungen gibt.

„Die Hilfe sollte sich nicht nur auf die vom burmesischen Militär besetzten Gebiete beschränken“, forderte sie. Burma ist der frühere Name Myanmars.

Doch obwohl die Junta diesmal um internationale Hilfe gebeten hat, ist die relative Isolation des asiatischen Landes ein großes Problem für potenzielle Helfer.

Wir haben nur spärliche Informationen von vor Ort, das ist wie eine Black-Box.

Stefan Heine, Sprecher der deutschen Organisation ISAR

Die Junta ist von den Vereinten Nationen nicht als Regierung anerkannt, das Land ist mit Sanktionen belegt. China und Russland gelten als Freunde.

Deutsche Helfer bekommen keinen Kontakt

Die deutsche Organisation ISAR (Internationale Search and Rescue) ist eigentlich spezialisiert auf die Bergung von Erdbebenopfern. „Aber wir haben nur spärliche Informationen von vor Ort, das ist wie eine Black Box“, sagt Pressesprecher Stefan Heine dem Tagesspiegel.

Es bräuchte Vorbereitung und Koordination, um das 15 Tonnen schwere Bergungsmaterial vor Ort zu bringen. „Aber wir bekommen keinen Kontakt.“ Zudem sei der Flughafen der Hauptstadt derzeit nicht funktionsfähig.

Mit bloßen Händen in den Trümmern von Hochhäusern

Dabei würde Bergungsgerät gerade in der 1,7 Millionen Einwohner zählenden Stadt Mandalay dringend gebraucht. Dort versuchen die Menschen per Hand, Trümmer von bis zu 12-stöckigen Wohnanlagen zu entfernen. Teilweise in Flip-Flops und mit minimaler Schützausrüstung.

Dass das Erdbeben in Myanmars kultureller Hauptstadt derart verheerend wirkte, ist laut Ian Watkinson, Experte für Plattentektonik an der Londoner Holloway University, auch auf den dortigen Hochhaus-„Boom“ der vergangenen Jahre zurückzuführen. Trotz der riskanten Lage des Landes auf der Sagaing-Verwerfung, wurden nicht erdbebensichere Hochhäuser gebaut.

Wir zahlen kleine Geldsummen an Familien.

Henry Braun, Landesdirektor Welthungerhilfe in Myanmar

Erste Hilfe dagegen leistet bereits die Welthungerhilfe, die als eine von wenigen internationalen Organisationen kontinuierlich seit 2003 in Myanmar arbeitet.

„Wir haben damit begonnen, Familien in der Region Mandalay, die ihre Wohnungen verloren haben, kleine Geldsummen auszuhändigen“, sagt Henry Braun, der das Landesbüro in Myanmar leitet, im Videocall mit dem Tagesspiegel.

Die Menschen sollten selbst entscheiden, ob sie davon Lebensmittel oder eine Plane zum Bau einer Notunterkunft kaufen wollten.

Die Organisation hat gute Verbindungen in die schwer betroffene Stadt und die Region, weil sie dort seit Jahren mit Ernährungsprogrammen und bei der Entwicklung von nachhaltigen Reissorten gemeinsam mit lokalen Kooperativen tätig ist.

Seit dem vergangenen Jahr, als man bei einer Flut zu Hilfe kam, hat die Organisation noch ein größeres Büro vor Ort. 35 Mitarbeiter sind derzeit dort im Einsatz, sagt Braun, weitere würden aus anderen Landesteilen versuchen, anzureisen.

Das ist ein Jahrhunderterdbeben.

Henry Braun, Landesdirektor Welthungerhilfe in Myanmar

Die Kommunikation sei allerdings sehr schwierig, weil in den Dörfern höchstens eine Stunde Strom am Tag gebe. „In den Städten sind es vier Stunden täglich.“ Spezielles Bergungsgerät gebe es nicht. Es würden die vorhandenen Bagger für die Bergungsarbeiten eingesetzt.

Suche nach Überlebenden in Mandalay.

© AFP/SAI AUNG MAIN

Braun spricht von einem „Jahrhunderterdbeben“ und sagt, dass Schätzungen von mehr als 10.000 Toten ausgehen. Er weist darauf hin, dass bereits vor dem Erdbeben ein Drittel der Bevölkerung des Landes auf humanitäre Hilfe angewiesen war. Nach Angaben der herrschenden Militärjunta und staatlicher Medien (Samstag) wurden bisher mehr als 1.000 Tote und über 2.000 Verletzte geborgen. 

Auch Braun sieht ein Problem darin, dass das Land relativ isoliert ist und es wenig internationale Kontakte gibt. „Das macht Hilfe von außen sehr schwierig.“

Bürgerkrieg auch in Erdbebenregionen

Doch auch die Auswirkungen des landesweiten Bürgerkriegs behindern die Hilfe. „In der vom Erdbeben am stärksten betroffenen Sagaing-Region finden regelmäßig bewaffnete Auseinandersetzungen statt“, erklärt Felix Heiduk, Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP).

Die staatliche Verwaltung und das Gesundheitssystem sei in vielen Teilen des Landes „nur noch rudimentär, wenn überhaupt vorhanden“. Hunderttausende Menschen seien Binnenflüchtlinge.

EU-Hilfe darf nicht selektiv von der Junta kontrolliert werden.

Felix Heiduk, Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). 

Dafür könnten sich internationale Helfer auch in der Region Sagaing auf lokale humanitäre Netzwerke stützen, die in den letzten Jahren „quasi aus der Not heraus geboren wurden“.

Diese lokalen Akteure seien für die Versorgung von großen Teilen der Bevölkerung mittlerweile sehr wichtig, würden von der Junta aber als „Terroristenunterstützer“ eingeordnet.

Vor diesem Hintergrund rät Heiduk der EU, darauf zu drängen, dass die von ihr angebotene Katastrophenhilfe von zunächst 2,5 Millionen Euro „auch in die von den bewaffneten Oppositionsgruppen kontrollierte Gebieten kommt und nicht selektiv von der Junta kontrolliert oder sogar von ihr als politisches Druckmittel eingesetzt werden kann“.

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