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Das „Schlachthaus“ von Assad: Ein Ort des Grauens – aber auch der Hoffnung für Angehörige
Nach dem Sturz von Machthaber Assad strömen Tausende in das berüchtigte Gefängnis Saidnaja. Sie hoffen, Angehörige zu finden – und Beweise für das Martyrium.
Stand:
„Oh Gott, bitte … wenn Sie den Körper meines Vaters finden, der brutal gefoltert wurde, oder wenn er lebt und sich in einem schrecklichen und beängstigenden Zustand befindet, dann bitte ich Sie, ihn mir privat zu schicken.“ Maryam Kamalmaz heißt jene Frau, die diesen Aufruf auf dem Nachrichtendienst X teilt. Sie ist nicht die einzige.
Nach dem Sturz der syrischen Regierung strömen zig Menschen auch in das berüchtigte Gefängnis Saidnaja, 30 Kilometer nördlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. Ihre Hoffnung: noch lebende Angehörige zu finden. Der Verkehr drumherum kommt zum Erliegen, berichtet ein Reporter der britischen Zeitung „Guardian“.
Etwa 150.000 Menschen sollen in der Anstalt inhaftiert gewesen sein, berichtet die syrische Hilfsorganisation Weißhelme. Nun wurden offenbar zwischen 20.000 bis 50.000 Häftlinge an nur einem Tag aus dem labyrinthartigen Gebäudekomplex gerettet.
Saidnaja ist als „Schlachthaus“ bekannt – wegen der brutalen Foltermethoden und Hinrichtungen. Todesurteile wurden teils ohne Prozess vollstreckt oder so, dass die Gefangenen zunächst nichts davon ahnten und von einem Transfer in eine andere Haftanstalt ausgingen. Amnesty International lieferte 2017 bereits Hinweise auf Massenexekutionen. Leichen von Gefangenen wurden nach Angaben der US-Regierung in einem Krematorium neben dem Hauptgebäude verbrannt.
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Bis heute gelten Tausende Inhaftierte als verschwunden. Einige von ihnen wurden zunächst auch in unterirdischen Kellern und Verstecken vermutet.

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Unter den Menschen, die in Saidnaja nach Angehörigen suchen, ist Ahmad al-Shnein. Dem Reporter des „Guardian“ erzählt er, dass in seiner Familie drei Personen vermisst werden. „Sie haben uns gesagt, dass es vier Stockwerke unter der Erde gibt und dass die Menschen dort ersticken – aber wir wissen nicht, wo das ist.“

© https://saydnaya.amnesty.org I Tagesspiegel/Rita Boettcher
Er habe schon mehrere Menschen nach draußen laufen gesehen. „Diejenigen, die hier herauskamen, sahen wie Skelette aus. Stellen Sie sich also vor, wie die unter der Erde aussehen werden“, sagte Shnein.
Für Retter und Angehörige wird die Suche durch die Bauweise des Gefängnisses erschwert. Es scheint so konzipiert zu sein, dass es ein Gefühl der Ortlosigkeit hervorruft. In der Mitte befindet sich eine Wendeltreppe, die vom Erdgeschoss aus endlos wirkt, heißt es in dem Bericht des Guardians. Die Treppe sei von Metallgittern umgeben, hinter denen sich große, identische Gewölbetüren verbergen würden. Sie ermöglichten den Zugang zu den drei Flügeln der Anlage.

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Nach Angaben der Rebellen sei jeder Flügel auf eine spezifische Form der Folter spezialisiert, Fenster zur Außenwelt sucht man vergebens.
In Syrien werden seit Jahrzehnten politische Dissidenten oder andere unliebsame Kritiker inhaftiert. Ein Apparat von Gefängnissen und Haftanstalten wurde ausgebaut, die Baschar al-Assad von seinem Vater übernommen hat.
Hafis al-Assad, ein ehemaliger Luftwaffenoffizier und Politiker, der sich 1970 an die Macht putschte, ließ 1981 Saidnaja bauen. Es sollte ein modernes Gefängnis werden – unter seinem Sohn wurde es das politisch wichtigste. Nach den Protesten 2011 ließ er dort all jene inhaftieren, die sein Regime als „oppositionell“ empfand.
In Saidnaja sollten die Menschen gebrochen werden
Unmittelbar nach Beginn der Aufstände und in den Jahren danach wurden Menschen dort hingebracht, um „gebrochen“ zu werden, berichtet die in Berlin gegründete Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).
Unter den Gefangenen seien vor allem Zivilisten, Demonstranten, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, aber auch Angehörige der Armee, die sich geweigert hätten, gegen die Protestierenden vorzugehen. Wie viele von ihnen in dem Gefängnis ums Leben kamen, lässt sich nur teilweise sagen.
Amnesty International berichtet 2016 von etwa 17.723 Menschen, die seit 2011 durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen gestorben sind.
Der in Berlin gegründete Verein ECCHR unterstützte bisher mehrere Syrer, die beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eine Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Syrien eingereicht haben. Die Taten wurden im Militärkrankenhaus Tishreen, im militärischen Feldgericht – und in Saidnaja begangen.
„Welcome Party“ mit Schlägen
Das Leid der Menschen dort ist durch zahlreiche Aussagen ehemaliger Gefangener dokumentiert. Strenge Verhaltensregeln und drakonische Strafen prägen den Alltag. So müssen Insassen nach dem Wecken zwischen 3 und 5 Uhr im hinteren Teil der Zelle stehen. Sprechen, flüstern, räuspern oder jegliche anderen Geräusche sollen verboten gewesen sein, ebenso das Schreien oder Stöhnen nach Folterungen, da diese Laute als „Schmerzbefreiung“ angesehen werden. Todesfälle in der Zelle durften nicht gemeldet werden.
Der sogenannte „Shawish“ (Zellenleiter) sorgte für Ordnung und bei Regel-Verstößen dafür, dass einen die Wärter mit Folter bestrafen. Schläge mit Gürteln, Stöcken, Kabeln oder Knüppeln waren die gängigen Methoden – und diese gab es auch gleich zu Beginn, wenn neue Gefangene nach Saidnaja kamen. Die Wächter nannten es „Welcome Party“.
Eine weitere Folterpraxis war „Shabeh“, bei der die Menschen an den Handgelenken aufgehängt wurden, die an einem Haken, über einer Tür oder einem Rohr in der Decke befestigt waren.

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Ein ehemaliger Gefangener schilderte dies gegenüber Amnesty International: „Sie ließen mich auf dem Fass stehen und banden das Seil um meine Handgelenke. Dann haben sie das Fass weggenommen. Da war nichts unter meinen Füßen. Sie baumelten in der Luft. Sie brachten drei Stöcke … (Sie, Anm.) schlugen mich. Nachdem sie mich mit den Holzstöcken geschlagen hatten, nahmen sie mir die Zigaretten weg. Sie drückten sie überall an meinem Körper aus. Es fühlte sich an wie ein Messer, das meinen Körper ausgräbt und mich zerschneidet.“
Bilder von Schlingen mit getrocknetem Blut, verdreckten Zellen, dunklen Gängen gehen auch an jenem Tag durchs Netz, an dem das Militärgefängnis gestürmt wird. Auf Videos sind Frauen zu sehen, die in ihren Zellen erst beruhigt und dann aufgefordert werden müssen, sie zu verlassen, da sie es nicht glauben können.
Für viele andere Menschen geht das Hoffen und Bangen an anderen Orten weiter. Die Suche nach weiteren Häftlingen „in möglicherweise unentdeckten geheimen Zellen und Kellern“ sei ergebnislos abgeschlossen worden, erklärten die Weißhelme am Dienstag. Es seien keine unterirdischen Verliese entdeckt worden. Zudem wurde vor Gerüchten und Spekulationen gewarnt.
Was jedoch entdeckt wurde, sind „Räume mit Unmengen von Papier“, sagte der kanadische Staatsanwalt und Leiter des UN-Gremiums zu Syrien, Robert Petit, der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag. Damit sei nun eine große Menge an Informationen verfügbar, die weitere Verbrechen des syrischen Regimes beweisen könnten.
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