
© AFP/ATTA KENARE
Debatte im Expertentalk „High Noon“: Droht jetzt ein großer Krieg im Nahen Osten?
Nach dem Angriff Israel auf das Atomprogramm des Iran scheint die Region an der Schwelle eines Flächenbrands zu stehen. Lässt sich dieser noch aufhalten – und was wären die Folgen? Drei Experten diskutierten.
Stand:
In einem sind sich alle Experten einig: Die Lage ist höchst gefährlich. Nach dem groß angelegten Angriff Israels auf iranische Atomanlagen und militärische Ziele antwortet Teheran sei Freitag mit massiven Drohnen- und Raketenangriffen auf Israel. Beide Staaten drohen offen mit weiterer Vergeltung.
Ist die Schwelle zu einem Flächenbrand im Nahen Osten unausweichlich überschritten? Oder könnten die Parteien doch noch einen diplomatischen Ausweg aus dem Konflikt finden?
Über diese Fragen diskutierten Experten am Montag im Rahmen des Tagesspiegel-Formats „High Noon“ – und kamen dabei überein, dass die wohl größte Gefahr darin besteht, dass Israel keinen hinreichenden Plan haben könnte, wie ein Ausweg aus dem Konflikt aussehen könnte.
„Es ist nicht ganz klar, was die Regierung Netanjahu im Iran erreichen will“, sagt etwa Hans-Jakob Schindler, Senior Direktor des Thinktanks Counter Extremism Project. „Geht es um die Zurücksetzung des iranischen Nuklearprogramms, kann man sich ungefähr ausrechnen, wie lange Israel dafür brauchen wird.“
Das sei anders, wenn das Land auf einen Sturz des Mullah-Regimes dränge, fügt Schindler hinzu. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte sich am Freitag in einer Ansprache direkt an das iranische olk gewandt und es dazu aufgefordert, sich gegen das Regime zu erheben. Dies könne zu einem langen und unkalkulierbaren Konflikt führen, warnt Schindler.
Riskantes Kalkül
Diesen Eindruck teilt die Journalistin Mareike Enghusen, die für den Tagesspiegel aus Tel Aviv berichtet. Derzeit, so Enghusen, stehe die Mehrheit der israelischen Bevölkerung hinter dem Vorgehen. „Doch es besteht die Gefahr, dass diese anfängliche Euphorie sich wendet, weil sich Israel in einen Abnutzungskrieg hineinziehen lässt und keinen Ausweg findet.“
Der Politikberater und Analyst Cornelius Adebahr hält den Wunsch eines militärisch herbeigeführten Regimewechsels ohnehin für wenig aussichtsreich: „Dass viele Iraner gegen das Regime sind, heißt nicht, dass sie mit Israel und den USA übereinstimmen“, sagt er. Israel sei aller Unzufriedenheit im Iran zum Trotz der falsche Absender, wenn es um den Aufruf zum Widerstand gehe.
Die USA warnen aktuell vor allem davor, dass keine US-Interessen und -Personen geschädigt werden dürfen. Von Angriffen auf Israel ist keine Rede.
Hans-Jakob Schindler, Senior Direktor des Counter Extremism Project
Wie sich der Konflikt entwickelt, hängt jedoch auch maßgeblich von der Position der USA ab. Netanjahu könnte darauf spekulieren, mit seinem Vorgehen die USA in den Krieg hineinzuziehen, hatten Beobachter zuletzt vermutet – und damit deren militärische Unterstützung zu erhalten.
Doch bislang zeigt US-Präsident Donald Trump wenig Interesse, wie Adebahr hervorhebt: „Er scheint hin- und hergerissen zu sein“, sagt er. Und Schindler ergänzt: „Die USA warnen aktuell vor allem davor, dass keine US-Interessen und -Personen geschädigt werden dürfen“, sagt er. „Auffällig ist dabei: Von Angriffen auf Israel ist keine Rede.“
Aber kann Israel überhaupt das Minimalziel seiner Operation erreichen, nämlich das iranische Atomprogramm zu zerstören? Experte Schindler ist skeptisch: „Man kann kein Wissen bombardieren“, sagt er. Es sei zwar ein schwerer Schlag, wenn Anlagen zerstört und prominente Wissenschaftler getötet würden, fügt er hinzu. „Aber es ist davon auszugehen, dass man das Programm damit um drei bis fünf Jahre zurückwirft – mit der Gefahr, dass der Wiederaufbau dann ohne internationale Inspektoren stattfinden wird.“
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