zum Hauptinhalt
APapst Leo XIV. kommt zu einer Messe in der Kathedrale St. Pankratius in Albano Laziale, etwa 30 Kilometer südöstlich von Rom.

© dpa/Gregorio Borgia

Papst Leo, der Langweiler: Eine erste Bilanz zu seinem 70. Geburtstag

Seit der Wahl des US-Amerikaners ist es im Vatikan ruhiger geworden. Dass es der neue Papst gemächlich angehen lässt, hat auch damit zu tun, dass er wohl ein langes Pontifikat vor sich hat. Eine Analyse.

Stand:

Ein auf den ersten Blick banaler, aber vielleicht wesentlicher Unterschied zwischen Leo XIV. und seinem am Ostermontag verstorbenen Vorgänger Franziskus besteht darin, dass man dank ihm wieder einmal einem Papst zu seinem 70. Geburtstag gratulieren kann, genau gesagt am 14. September. Das war zuletzt vor 35 Jahren möglich gewesen: Am 18. Mai 1990 feierte Papst Johannes Paul II. im Vatikan den runden Geburtstag.

Jung für vatikanische Verhältnisse

Zehn Jahre zuvor hatte Karol Wojtyla, der im Alter von 58 Jahren auf den Papstthron gewählt worden war, schon seinen 60. Geburtstag im apostolischen Palast gefeiert. Seine beiden Nachfolger, Benedikt XVI. und Franziskus, waren bei ihrer Wahl zum Papst bereits 78 respektive 76 Jahre alt gewesen. Joseph Ratzinger leitete die katholische Kirche acht Jahre lang, Jorge Maria Bergoglio zwölf Jahre.

Das für vatikanische Verhältnisse junge Alter des „Neuen“ verändert die Perspektive für sein Pontifikat: Leo XIV. hat Zeit. Wenn er gesund und von Attentaten verschont bleibt, hat er gute Aussichten, auch in zwanzig Jahren noch Papst zu sein.

Und so hat es Robert Francis Prevost, der am 8. Mai zum 267. Papst der katholischen Kirche gewählt worden ist, erst einmal gemächlich angehen lassen: Vier Monate nach seiner Wahl im Konklave wartet man immer noch auf ein erstes Lehrschreiben oder eine programmatische Rede, und von konkreten Reiseplänen ist auch nichts bekannt, außer dass er, wie es im Vatikan heißt, gegen Ende des Jahres die Türkei besuchen könnte.

Und relativ bald möchte Leo XVI. offenbar auch nach Peru reisen, wo er viele Jahre eine Diözese geleitet hatte und wo er – neben der US-amerikanischen und der vatikanischen – auch die Staatsbürgerschaft besitzt.

Vorgänger sorgte von Beginn an für Durchzug

Der Amtsantritt von Franziskus war weitaus furioser gewesen: Der „Papst vom Ende der Welt“, wie sich der Argentinier selber bezeichnete, hatte im Kirchenstaat mit diversen Extratouren abseits des Protokolls und symbolträchtigen Entscheiden – etwa mit dem Beschluss, im vatikanischen Pilgerheim statt im pompösen apostolischen Palast zu wohnen – schon in den ersten Amtstagen ordentlich für Durchzug gesorgt.

Mit seinem Bekenntnis zu „einer armen Kirche für die Armen“ deutete er sofort und unmissverständlich an, auf welchen Stil und auf welche Inhalte man sich im neuen Pontifikats einstellen konnte. Und als Bergoglio drei Monate nach seiner Wahl seine erste Reise außerhalb Roms unternahm, wusste die Welt definitiv, aus welchem Holz der neue Papst geschnitzt war: Er besuchte die Flüchtlingsinsel Lampedusa, wo er einen Blumenstrauß für die ertrunkenen Migranten ins Meer warf und in einer denkwürdigen Brandrede die „globalisierte Gleichgültigkeit“ anprangerte.

Bezüglich Temperament und der Stil unterscheiden die beiden Päpste erheblich: Leo XIV. vermeidet jedes Spektakel, agiert zurückhaltend und sucht das Gespräch innerhalb der Kurie. Aber: Er hat im Konklave von den Kardinälen auch einen ganz anderen „Auftrag“ erhalten als sein Vorgänger. Der Argentinier war gewählt worden, um die Kurie nach den Skandalen unter Benedikt XVI. (flächendeckender sexueller Missbrauch in den Bistümern, gezielte Indiskretionen an die Medien durch Papstvertraute) auszumisten.

Die Lateinische Messe darf wieder im Vatikan gelesen werden

Prevost dagegen wurde nach den Abräumarbeiten Bergoglios von den Kardinälen beauftragt, um die Wogen wieder zu glätten und den während des Pontifikats von Franziskus tiefer gewordenen Graben zwischen Progressiven und Konservativen zuzuschütten – oder dies zumindest zu versuchen. Leo XIV. soll wieder ein „Pontifex Maximus“ werden, ein oberster Brückenbauer.

Einen ersten Schritt dazu hat er bereits unternommen: Er lässt wieder zu, dass im Vatikan auch die Lateinische Messe gelesen werden kann, die unter Franziskus weitgehend verboten worden war. Der lateinische und gregorianische Ritus ist besonders bei den katholischen Traditionalisten beliebt – auch Joseph Ratzinger war ein großer Fan davon.

Für den 25. Oktober ist im Petersdom bereits eine sogenannte „Pontifikalmesse“ geplant, die vom ultrakonservativen US-Kardinal Raymond Leo Burke zelebriert werden soll. Burke, der der MAGA-Bewegung von US-Präsident Donald Trump nahesteht, war einer der erbittertsten Gegner von Franziskus gewesen, hatte ihn öffentlich zu Korrekturen aufgefordert und ihn in die Nähe der Häresie gerückt.

Eine grundsätzliche Abkehr oder gar Desavouierung des Kurses des Vorgängers bedeutet die Lockerung bei der Lateinischen Messe freilich nicht. Leo XVI. hat den Konservativen und Traditionalisten die Hand bei einem Punkt ausgestreckt, der wahrscheinlich 99,9 Prozent der katholischen Gläubigen vollkommen gleichgültig ist und wo ein Zeichen des Entgegenkommens niemandem weh tut. Die katholische Kirche und die Welt haben derzeit wahrlich andere Probleme als die Lateinische Messe.

Der Priestermangel wirft Fragen auf

Sehr viel interessanter wird es sein zu erfahren, wie sich Leo XIV. bei den wirklich brennenden Fragen in der katholischen Kirche, etwa in der Frage der Frauenordination oder bei der im Zusammenhang mit dem Priestermangel von vielen geforderten Lockerung des Zölibats, positionieren wird. Bei diesen beiden Reizthemen hatte sich unter Franziskus wenig bewegt – und wie es unter Leo XIV. diesbezüglich weitergehen wird, ist derzeit unbekannt.

Im Konklave haben wir auf Kontinuität gesetzt. Leo XIV. hat einen anderen Stil und wird Neues einbringen wie jeder neue Papst, aber er wird die gleichen Dinge tun wie Franziskus.

Kardinal Matteo Zuppi, Präsident der italienischen Bischofskonferenz

Bei vielen anderen Themen, die Franziskus am Herzen gelegen sind – beim Einsatz für den Frieden, für den Erhalt und Schutz der Schöpfung, für die Migranten und nicht zuletzt auch für den von Franziskus eingeleiteten „synodalen Prozess“, der auf mehr Mitsprache und Kollegialität innerhalb der Kirche abzielt, wird der Nachfolger den eingeschlagenen Weg ganz oder nur mit geringfügigen Korrekturen weiter gehen.

Kardinal Matteo Zuppi, Präsident der italienischen Bischofskonferenz, sagt es ganz klar: „Im Konklave haben wir auf Kontinuität gesetzt. Leo XIV. hat einen anderen Stil und wird Neues einbringen wie jeder neue Papst, aber er wird die gleichen Dinge tun wie Franziskus. Insbesondere wird er weiterhin die Migranten verteidigen – ganz einfach deshalb, weil es so im Evangelium steht“, betonte der 69-jährige Italiener, der im Blitzkonklave von Anfang Mai ebenfalls als Papstanwärter, gehandelt worden ist, gegenüber dem „Corriere della Sera“.

Das Pontifikat des impulsiven, unberechenbaren und charismatischen Papstes aus Argentinien ist von nicht wenigen Kardinälen und anderen hohen Würdenträgern innerhalb und außerhalb des Vatikans als permanenter Ausnahmezustand empfunden worden – meist im positiven Sinn, gelegentlich aber auch im negativen.

Seit der Wahl des unaufgeregten Papstes aus Chicago hat der Vatikan damit begonnen, schrittweise zur Normalität zurückzukehren.

Gläubige stehen unter dem geschlossenen Fenster des Apostolischen Palastes im Vatikan. Der neue Papst hat ihn, anders als sein Vorgänger, zu seinem Zuhause gewählt.

© dpa/Gregorio Borgia

Robert Francis Prevost hat durchblicken lassen, dass er – wie es die Päpste vor Franziskus jahrhundertelang getan hatten – wieder im apostolischen Palast wohnen will. Er macht wieder Urlaub in der päpstlichen Sommerresidenz von Castelgandolfo, trägt mehr Ornat, und er fährt wieder stattlichere (aber elektrisch angetriebene) Autos.

Nach Meinung der Kardinäle im Konklave sollte nach Franziskus wieder etwas Ruhe einkehren im Vatikan. Der Wunsch ging in Erfüllung, vielleicht fast ein wenig zu sehr. Früher oder später wird sich aber auch Leo XIV. aus der Deckung wagen und bei den strittigen Fragen Farbe bekennen müssen. Besser früher als später – auch wenn er, wie eingangs erwähnt, wohl noch viel Zeit vor sich hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })