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Der Westen und die Fußball-WM in Saudi-Arabien: Eine gute Gelegenheit für ehrlichen Dialog
Die Fußball-WM 2034 wird so gut wie sicher in Saudi-Arabien stattfinden. Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber der Golfmonarchie: Das Sport-Großereignis bietet eine Chance, mehr Kooperation zu wagen.
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Auf der einen Seite: Freude, Stolz und Jubel. Auf der anderen Seite: Unverständnis, Frustration und Ablehnung. Ähnlich wie die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar polarisiert auch die fast feststehende Wahl Saudi-Arabiens als Gastgeber für die WM in zehn Jahren.
Während die Befürworter das Königreich als neuen Markt mit finanziellem Potenzial und breiter Fußballbegeisterung betrachten, bleiben andere sehr skeptisch – aufgrund der politischen und menschenrechtlichen Lage: Die Zahl der Todesurteile ist in den vergangenen Jahren gestiegen, die Unterdrückung hat zugenommen.
Für das Königreich ist die WM-Ausrichtung nicht nur ein symbolischer Erfolg und Ausdruck des eigenen Anspruchsdenkens, sondern auch ein wichtiger Schritt beim Umbau der vom Öl abhängigen Wirtschaft.
Unabhängigkeit vom Öl
Der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman (kurz MbS genannt) versucht seit 2016, das Land wirtschaftlich zu diversifizieren. Milliarden werden in Gigaprojekte, Sportveranstaltungen und die Infrastruktur investiert – die WM soll diesen Boom noch beschleunigen.
Ziel ist es, das Turnier als Fixpunkt zu nutzen, um Saudi-Arabien zu einem attraktiven Markt zu entwickeln. Bis 2030 sollen ausländische Firmen mehr als 100 Milliarden US-Dollar im Land investieren – ein ambitioniertes Ziel, waren es laut Weltbank 2022 nur 28 Milliarden und im vergangenen Jahr lediglich 12,3 Milliarden.
Die WM soll das ändern. Man will der Welt zeigen, was Saudi-Arabien zu leisten imstande ist. Katar dient dabei als leuchtendes Vorbild: Der kleine Nachbar hat bereits erfolgreich eine Fußball-WM organisiert.
Der Jugend muss etwas geboten werden
Saudi-Arabien will diesem Erfolgsmodell nacheifern. Dafür wird geklotzt. 15 neue Stadien sollen renoviert werden oder neu entstehen, darunter das Mohammed-bin-Salman-Stadion in Riad, das mit seinem futuristischen Design dem Kronprinzen ein weiteres Denkmal setzen soll: Fußball als Instrument des Personenkults.
Doch dahinter steckt nicht nur Großmannssucht oder die Absicht, von der problematischen Menschenrechtssituation abzulenken – Stichwort Sportwashing. Die saudische Führung muss ihren Menschen vielmehr eine Zukunft bieten.
Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre; sie suchen Jobs auf einem umkämpften Arbeitsmarkt. Längst können sie nicht mehr im öffentlichen Dienst untergebracht werden; der früher allumfassende Wohlfahrtsstaat wurde gestutzt.
Die Mieten in den Städten steigen rasant, eine Mehrwertsteuer von 15 Prozent wurde eingeführt, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei etwas mehr als 16 Prozent. Immer mehr Arbeitskräfte müssen mehrere Jobs ausüben, um ihre Existenz zu sichern.

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So ist es mittlerweile normal, dass saudische Männer und Frauen Taxi fahren oder in Hotels arbeiten. Im Zuge dieser Herausforderungen soll mithilfe der WM auch eine landesweite Sportindustrie aufgebaut werden, um dringend notwendige Jobs zu schaffen.
Sport als Identitätspolitik
Sport dient zudem als Element der Identitätspolitik. Der Kronprinz richtet sich an die jungen Menschen – die „Generation MbS“. Er braucht ihre Loyalität, um seine Macht zu sichern.
Deshalb werden internationale Fußballstars, Formel-1-Rennen und eSports-Veranstaltungen nicht nur als Marketingprojekte betrachtet, sondern sollen junge Menschen begeistern und einen saudischen Patriotismus schaffen.

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Zugleich sollen die Saudis motiviert werden, selbst Sport zu treiben. Immer noch leidet mehr als jeder Dritte unter Diabetes; fast 70 Prozent der Bevölkerung ist übergewichtig.
Deswegen wird nicht nur in Stadien und Stars investiert, sondern auch in Schulen und Sportplätze. Breitensport ist zu einem wichtigen Pfeiler der Transformation geworden.
Mithilfe der WM soll auch eine landesweite Sportindustrie aufgebaut werden, um dringend notwendige Jobs zu schaffen.
Sebastian Sons, Experte für die Golfmonarchien
Sportfestivals wie die Saudi Games sorgen für breite Begeisterung. In der Hauptstadt wird der Riad Sport Boulevard errichtet, der mit seinen Open-Air-Fitnessparcours und Joggingstrecken Sport in den städtischen Alltag integrieren soll.
Blick für die Grautöne
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sollte Deutschland erkennen, dass die Fußball-WM auch Chancen bietet. Saudi-Arabien bleibt noch immer vielen fremd, wird als verschlossen und widersprüchlich empfunden. Häufig fehlt der Blick für die Grautöne. Die anstehende WM könnte das ändern.
Deutsche Akteure aus Sport, Wirtschaft und Kultur hätten die Chance, enger mit Saudi-Arabien zusammenzuarbeiten. Denn auch politisch ist das Königreich ein Partner der Notwendigkeit, da es in der Region, beispielsweise im Gaza-Krieg als pragmatischer Vermittler auftritt.
Das Königreich seinerseits benötigt stabile Verhältnisse in seiner Nachbarschaft, um seine wirtschaftliche Transformation und die WM erfolgreich durchzuführen. Für eine intensivere Zusammenarbeit braucht es echten Dialog auf beiden Seiten. Die WM bietet dafür eine Gelegenheit.
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