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Friedrich Merz und Mark Carney am Dienstag nach ihrem Treffen im Bundeskanzleramt in Berlin.

© IMAGO//Florian Gaertner

Deutsch-kanadisches Regierungstreffen: Nur beim Thema Nahost sind sich Merz und Carney uneinig

Kanada hat als Verbündeter für Deutschland stark an Bedeutung gewonnen. Wieso, machten die Regierungschefs beider Länder jetzt in Berlin deutlich. Ein Grund dafür: US-Präsident Trump.

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Seinen Namen erwähnten sie nur am Rande. Dabei spielt bei vielem, was Bundeskanzler Friedrich Merz und Kanadas Premierminister Mark Carney am Dienstag im Bundeskanzleramt verkündeten, die erratische Politik von US-Präsident Donald Trump eine wichtige Rolle.

„Wir wollen unsere Zusammenarbeit weiter intensivieren“, sagte Merz nach einem morgendlichen, knapp zwei Stunden dauernden Treffen mit Carney, der im März die Nachfolge von Justin Trudeau angetreten hat und sich derzeit auf Europareise befindet. An erster Stelle stünden dabei die Sicherheitspolitik und die Verteidigungsindustrie, die Deutschland „bewusst über den Atlantik hinaus ausbauen“ wolle. Außerdem wolle man den bilateralen Handel stärken.

Viele gemeinsame Interessen

Es gebe zwischen Deutschland und Kanada eine „große Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte“. So setzten beide Staaten auf den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen. Seitdem das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen CETA vor knapp acht Jahren vorläufig in Kraft getreten sei, habe der Handel zwischen Kanada und der EU um ein Drittel zugenommen, diesen „Wachstumsmotor“ wolle man weiter nutzen.

Friedrich Merz begrüßt seinen Gast Mark Carney (links) am Dienstag zu ihrem Treffen im Bundeskanzleramt in Berlin.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Ähnlich äußerte sich Carney, der betonte, dass eine „verlässliche Partnerschaft“ Kanadas mit Deutschland und der Europäischen Union für sein Land „zentral“ sei.

Wieso Kanada für Deutschland als Verbündeter wichtiger wird, machten die beiden Regierungschefs dann an mehreren konkreten Projekten deutlich. So haben die Wirtschaftsminister beider Länder am Dienstag eine Erklärung unterzeichnet, die die deutsch-kanadische Zusammenarbeit beim Abbau und der Verarbeitung von kritischen Rohstoffen wie Lithium und seltene Erden ausbauen soll, sagte Merz. „Das stärkt unsere Volkswirtschaft und macht sie sicherer.“

Kanada baute seine Häfen in Richtung Europa aus

Um künftig Rohstoffe in noch größerem Umfang nach Europa liefern zu können, baue Kanada derzeit seine Häfen im westlichen und nördlichen Teil des Landes aus, sagte Carney. So würden die Hafenanlagen in Montréal massiv erweitert, außerdem sei ein neuer Hafen in Churchill in der Provinz Manitoba geplant, der über die Hudson Bay mit dem Nordatlantik verbunden ist.

Wir wollen die euro-atlantische Sicherheitsordnung stärken.

Friedrich Merz, Bundeskanzler

Auch in Bezug auf die Ukraine, die Carney zu Beginn seiner aktuellen Europareise besucht hatte, stehe man eng zusammen, sagte Merz. „Wir wollen die euro-atlantische Sicherheitsordnung stärken.“ So hätten Carney und er unter anderem über „verlässliche Sicherheitsgarantien“ gesprochen, die man der Ukraine geben wolle. Auch sei es darum gegangen, wie man der Armee des von Russland angegriffenen Landes weiterhin dabei helfen könne, sich zu verteidigen.

Kanada sei aus deutscher Sicht auch bezüglich der Sicherung der Nato-Ostflanke ein wichtiger Partner, sagte Merz. So führe Kanada die multinationalen Brigaden des Militärbündnisses in Lettland und leiste damit einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit Europas: „Unsere Allianz ist und bleibt transatlantisch.“

Drohungen in Richtung Putin

Merz und Carney forderten Russlands Präsident Wladimir Putin zu Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf. „Jetzt ist Moskau am Zug“, sagte Merz. Wenn Putin das Töten beenden wolle, nehme er das Gesprächsangebot an. Andernfalls drohten weitere Sanktionen der EU und der nordamerikanischen Partner.

Frieden sei in diesen Zeiten „nur durch Stärke gegenüber Russland“ zu erreichen, ergänzte Carney. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch, dass Kanada den Kauf neuer U-Boote plant, die sowohl in der Atlantik- wie der Pazifik-Region eingesetzt werden sollen.

Begrüßungszeremonie im Innenhof des Kanzleramts: Das Treffen der beiden Regierungschefs verlief harmonisch.

© AFP/ANNEGRET HILSE

Eines von zwei Unternehmen, die es in die Endauswahl geschafft hätten, sei die Marinesparte von Thyssenkrupp. Am Nachmittag wollte Carney das Unternehmen Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) in Kiel besuchen, im Oktober dann einen konkurrierenden Anbieter in Südkorea.

Der einzige sichtbare Dissenz zwischen den beiden Regierungschefs wurde beim Thema Israel und Gaza deutlich. Deutschland werde sich weiterhin nicht der von Kanada, Frankreich und anderen Staaten getragenen Initiative anschließen, einen eigenen Staat Palästina anzuerkennen, sagte Merz. Die Voraussetzungen für eine solche Anerkennung seien nicht erfüllt.

Kanada wandelt sich von einem komplementären zu einem unverzichtbaren Verbündeten für Deutschland.

Martin Thunert, Politikwissenschaftler

„Kanada entwickelt sich für Deutschland zu einem unverzichtbaren Partner in den beiden Bereichen Energie und Sicherheit“, analysiert der Nordamerika-Experte Martin Thunert. Er ist Politikwissenschaftler am Heidelberg Center for American Studies der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie assoziiertes Mitglied des Zentrums für Nordamerikastudien der Universität Frankfurt für Kanadastudien.

„Die Stärkung dieser Partnerschaft erhöht die Widerstandsfähigkeit Deutschlands in einer Zeit der geopolitischen Unsicherheit“, sagt Thunert im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Kanada entwickele sich für Deutschland zu einem wichtigen Partner bei der Diversifizierung der Energieversorgung, dem ökologischen Wandel und der Versorgung mit wichtigen Rohstoffen.

Beide Länder verstärkten zudem „die Abschreckungsposition der Nato an der Ostflanke – Kanada in Lettland, Deutschland in Litauen – wodurch sich ihre Sicherheitsaufgaben ergänzen.“ Kanada biete Stabilität als transatlantischer Verbündeter „inmitten der politischen Unsicherheit in den USA.“

Da die Politik der USA immer unberechenbarer werde, „bietet Kanada Deutschland auch einen stabilen transatlantischen Anker“, sagt Thunert: „Kanada wandelt sich von einem komplementären zu einem unverzichtbaren Verbündeten für Deutschland.“

Allerdings seien sowohl Merz als auch Carney „nüchterne, analytische Politikertypen“, das habe auch die Pressekonferenz am Dienstag gezeigt, sagt Thunert. Beide Regierungschefs setzten beim Ausbau der bilateralen Beziehungen nicht auf große Visionen, sondern gingen „projektbezogen und Stück-für-Stück vor“.

Aus Carneys Bestrebungen eröffnen sich große Potenziale für die deutsche Wirtschaft und deutsch-kanadische Zusammenarbeit.

Yvonne Denz, Geschäftsführerin der Deutsch-Kanadischen Industrie- und Handelskammer in Toronto

„Die neue kanadische Regierung unter Mark Carney verfolgt eine ambitionierte Diversifizierung der internationalen Handelsbeziehungen sowie den zügigen Abbau innerkanadischer Handelshemmnisse“, analysiert Yvonne Denz, Geschäftsführerin der Deutsch-Kanadischen Industrie- und Handelskammer in Toronto. Darüber hinaus wolle die Carney-Regierung die negativen Auswirkungen der US-Zollpolitik abfedern und Kanada als „Energiesupermacht“ und Lieferant von raffinierten kritischen Rohstoffen etablieren. 

„Aus diesen Bestrebungen eröffnen sich auch große Potenziale für die deutsche Wirtschaft und deutsch-kanadische Zusammenarbeit“, sagt Denz. Von Carneys Reise, bei der ihn unter anderem der kanadische Energieminister und die frühere Außenministerin und jetzige Industrieministerin begleiten, „soll eine Signalwirkung an die deutsche Wirtschaft ausgehen: Kanada als verlässlicher Partner in einer Welt großer Unsicherheiten.“

Gerade bei dem besonders konkret im Fokus der Reise stehenden Wirtschaftsthema kritische Mineralien gebe es jedoch in der Zusammenarbeit noch „Luft nach oben“, sagt Denz: „Ankündigungen im Zuge des Carney-Besuchs sind ein erster Schritt in die richtige Richtung auf einem Weg, welcher mit konkreten Projekten und stetigem, langfristigem Engagement beider Länder beschritten werden sollte.“

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