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Die Pädokriminellen-Gruppe „764“: Wer hinter dem weltweiten Online-Netz steckt
Ein am Dienstag festgenommener Hamburger soll als „White Tiger“ Kinder virtuell sexuell missbraucht und zu der Gruppe 764 gehört haben. Die Gruppe zieht Pädophile und Sadisten weltweit an. Wer sie aufgebaut hat.
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Was sich wie ein Psychothriller liest, ist unfassbare Realität. Ein 15-jähriger Jugendlicher aus dem US-amerikanischen Bundesstaat Texas gründet aus seinem Zimmer heraus die pädokriminelle Onlinegruppe „764“, die sich zu einem Netzwerk mit sektenähnlichen Strukturen entwickelt, in denen Minderjährige missbraucht und zu sexuellen Aktivitäten gezwungen werden.
Der heute 19-jährige B. Cadenhead steht für einen der verstörendsten Fälle digitaler Jugendkriminalität in den USA, inzwischen wurde er verurteilt und sitzt er in seinem zweiten Jahr eine Haftstrafe von 80 Jahren ab.
Auch nach Deutschland hat das Online-Netzwerk Verbindungen. Am Dienstag wurde in Hamburg ein 20-Jähriger festgenommen, der unter dem Akronym „White Tiger“ mutmaßlich Teil der Gruppe war. Im Alter von 16 bis 19 Jahren soll er laut Ermittlungen des Landeskriminalamtes (LKA) in mehr als 120 Straftaten unter anderem Kinder virtuell sexuell missbraucht haben und einen 13-jährigen US-Amerikaner in den Suizid getrieben haben. „Das sind Abgründe, die nur schwer auszuhalten sind“, sagte Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel dazu. Die Taten zeigten ein unvorstellbares Maß an Verrohung und Unmenschlichkeit.
Ein hochgradig manipulatives System
Bei der Onlinegruppe „764“ handelt es sich nicht einfach um ein Chatforum, sondern um ein hochgradig manipulatives System, das gezielt psychisch labile Jugendliche ins Visier nimmt, insbesondere solche mit Depressionen, suizidalen Gedanken oder familiären Problemen. Und das weltweit.
Begonnen hat es damit, dass Cadenhead sich auf der Plattform „Discord“ zu einer dominanten Online-Persönlichkeit kultivierte, berichtete die Washington Post. Schon bald habe er weltweit eine Anhängerschaft unter Sadisten gefunden, die die Plattform nutzten, um sich an Kindern zu vergehen.
Die Behörden sagten der Washington Post, dass Anhänger – wie auch „White Tiger“ und der Gründer Cadenhead selbst – ihre Opfer überzeugten, explizite Bilder zu teilen, sie erpressten, sich selbst zu verletzen oder erniedrigende Handlungen vor der Kamera zu vollziehen. Oder sogar Suizid zu begehen. Die Taten der Gruppe erfülle laut FBI die Kriterien für die Definition von inländischem Terrorismus.
Die Ärzte an jedem Ort änderten seine Medikamente und schickten ihn nach Hause.
Jeff Cadenhead, Vater
Isolation und Rückzug nach der Trennung seiner Eltern
Nach Recherchen der „Washington Post“ wuchs der schmächtige Junge mit den roten Haaren in der Kleinstadt Stephenville, im Bundesstaat Texas auf. Als er zehn Jahre alt war, trennten sich seine Eltern, die regelmäßige Kirchgänger waren. Danach habe er sich immer mehr isoliert, er habe Zusammenbrüche erlitten, sich selbst verletzt und eine Faszination für Foltervideos entwickelt.
Vater Jeff Cadenhead habe mehrfach versucht, seinen Sohn in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. „Die Ärzte an jedem Ort änderten seine Medikamente und schickten ihn nach Hause“, sagte er der Washington Post.
Laut Medienberichten habe er im Juni 2021 die Schule abgebrochen und noch im selben Monat seinen ersten 764-Chatroom gestartet. Unter verschiedenen Varianten des Benutzernamens „Felix“ tauchte er regelmäßig in verschiedenen Discord-Chatrooms auf, postete schockierende Bilder, forderte interessierte Nutzer auf, sich ihm in anderen Bereichen der Plattform anzuschließen, und schikanierte diejenigen, die mit Abscheu reagierten.
Eine 14-jährige Jugendliche aus Oklahoma sei etwa dazu überredet wurden, ihm ein Nacktfoto zu schicken, und anschließend erpresst worden, sich selbst zu verletzen und ihren Hamster vor der Kamera zu verstümmeln, wie die Mutter des Mädchens zuvor gegenüber der Zeitung „The Post“ berichtete. In einem anderen Fall postete er ein Video in einem Chatroom, das laut Washington Post einen Sexakt mit einem Baby zeigte.
Die Washington Post fand heraus, dass Menschen aus Cadenheads Umfeld, obwohl sie versuchten, ihm zu helfen, keine Ahnung von der dunklen virtuellen Welt hatten, die er sich aufgebaut hatte.
Cadenhead habe die Sicherheitsvorkehrungen von Discord zum Schutz vor virtuellem, sexuellem Missbrauch mühelos umgehen können. Jedes Mal, wenn er von der Plattform ausgeschlossen wurde, habe er neue Konten erstellt und seine Aktivitäten fortgeführt.
Im Juni 2023 habe die Polizei von Stephenville Meldungen erhalten, aus denen hervorgegangen sei, dass Kinderpornografie von einem Discord-Nutzer hochgeladen worden war, der in der Stadt auf das Internet zugegriffen hatte. Bei einer Durchsuchung am Nachmittag des 25. August 2021 fand die Polizei in dem Zimmer des Jugendlichen einen Laptop, auf dem die Polizei später 20 Bilder von vorpubertären Mädchen bei sexuellen Handlungen fand.
Sowohl das FBI letztes Jahr, als auch das Bundeskriminalamt nach der Verhaftung von „White Tiger“ warnten die Öffentlichkeit vor etwaigen Gruppen, die Tausende Mitglieder haben und sich immer wieder weiterentwickeln. Für Social-Media-Unternehmen, aber auch die Strafverfolgungsbehörden seien sie eine große Herausforderung. (mit dpa)
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