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„Die Wahrheit wird ans Licht kommen“: Virginias Giuffres Familie über das Epstein-Netzwerk und Ghislaine Maxwell
Virginia Giuffre wurde bedroht und als Lügnerin bezeichnet. Nach ihrem Suizid sprechen Bruder und Schwägerin über die Epstein-Akten – und warum Ghislaine Maxwell nicht begnadigt werden darf.
Stand:
Für immer wird man Virginia Giuffre mit diesem Foto verbinden: Es zeigt sie als 17-Jährige im Arm von Andrew Mountbatten-Windsor, dem ehemaligen Duke of York, der sie dreimal missbraucht haben soll. Im Hintergrund lächelt Ghislaine Maxwell.
Als eine der Ersten wehrte sich Giuffre öffentlich gegen Jeffrey Epstein und sein Netzwerk, sie nannte ab 2011 die Namen prominenter Täter.
Im Frühjahr 2025 nahm sich die Mutter von drei Kindern im Alter von 41 Jahren das Leben. Vor Kurzem erschienen postum ihre Memoiren „Nobody’s Girl. Meine Geschichte von Missbrauch und dem Kampf um Gerechtigkeit“.
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In ihrem Namen haben in den vergangenen Wochen Sky und Amanda Roberts, ihr Bruder und ihre Schwägerin, dafür gekämpft, dass die Epstein-Akten endlich herausgegeben werden. Seit Freitag nun liegen die Dokumente – zumindest in Teilen – vor.
Nun äußern sich die beiden dazu. Im Videogespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ sitzen sie in ihrem Haus in Colorado, er in einem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck „Power to the survivors“ („Kraft den Überlebenden“), sie in einem weißen Pullover. Beide kämpfen dem Bericht zufolge während des Gesprächs immer wieder mit den Tränen.
Plötzlich ging es schnell mit den Akten
„Es ist jetzt am Ende auf eine fast surreale Weise schnell gegangen“, sagt Sky Roberts. „Vor wenigen Wochen erst standen wir mit anderen Opfern von Epstein vor dem Kapitol in Washington und forderten, dass die Akten endlich veröffentlicht werden. Kurz danach unterzeichnete Trump das Gesetz dazu, unglaublich.“
Jeder will die Namen wissen, natürlich. Aber sie wären nur der erste Schritt.
Sky Roberts, Bruder des Epstein-Opfers Virginia Giuffre, zur Veröffentlichung der Akten
Für seine Frau Amanda ist die Veröffentlichung ein zweischneidiges Schwert: „Wir wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt und die Beteiligten endlich genannt werden. Und gleichzeitig war es sehr belastend, einige der Bilder zu sehen, die aus dem Nachlass von Epstein veröffentlicht wurden“ – darunter Aufnahmen von Bill Clinton, Steve Bannon und Bill Gates mit Epstein.

© Imago/Miami Herold/Emily Michot
Virginia Giuffre arbeitete in Trumps Anwesen Mar-a-Lago an der Rezeption, als sie dort als 16-Jährige von Ghislaine Maxwell angesprochen wurde, ob sie nicht Masseurin für Jeffrey Epstein werden wollte. Virginia hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein unstetes Leben hinter sich, war missbraucht worden, hatte auf der Straße gelebt. Gleich bei dem ersten Treffen wurde sie von Epstein vergewaltigt. Erst mit 19 Jahren schaffte sie es, sich aus diesem System zu lösen.
„Jeder will die Namen wissen, natürlich“, sagt Sky Roberts. „Aber sie wären nur der erste Schritt. Darüber hinaus müsste endlich angemessen anerkannt werden, was den Missbrauchsopfern zugefügt worden ist. Und echte Gerechtigkeit bedeutet auch, dass Leute zur Rechenschaft gezogen werden.“
Seine Frau Amanda ergänzt: „Nur weil Jeffrey Epstein nicht mehr hier und Ghislaine Maxwell im Gefängnis ist, heißt das ja nicht, dass es keine Täter mehr gäbe.“
Virginia Giuffre war die Wegbereiterin für viele andere Opfer, die sich später trauten, an die Öffentlichkeit zu gehen. „Sie musste so viel Widerstand ertragen, so viel Victim-Blaming, die Leute nannten sie eine Lügnerin“, sagt Amanda Roberts. „Als sie starb, wussten wir, dass wir ihr Vermächtnis weiterführen müssen.“ Das Paar will die Organisation „SOAR“ weiterführen, die Virginia für Opfer sexuellen Missbrauchs gegründet hatte.
Bedrohungen und Einbrüche
„Wenn man gegen diese reichen und sehr mächtigen Männer vorgeht, muss man damit rechnen, ihren Einfluss zu spüren“, sagt Sky Roberts. „Virginia wurde immer wieder bedroht. Einmal, als sie noch in Florida lebte, wurde ihr Zuhause völlig verwüstet, 2015 war das. Jemand war eingebrochen, aber er hatte nichts gestohlen, offenbar nur nach etwas Bestimmtem gesucht.“
Prinz Andrew, der alle Titel verloren hat und nun Andrew Mountbatten-Windsor heißt, wird nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Londoner Polizei hat kürzlich bekannt gegeben, nicht strafrechtlich gegen ihn zu ermitteln. „Es ist schockierend für uns zu sehen, dass er gewissermaßen freigesprochen wird, nur wenige Tage, bevor die Akten veröffentlicht werden“, sagt Sky Roberts. „Es könnte neue Beweise in diesen Akten geben. Warum haben sie die Untersuchung eingestellt? Vielleicht, weil er immer noch eine Vorzugsbehandlung bekommt?“
Es ist das schrecklichste Foto, das je veröffentlicht wurde. Ich schaue darauf und empfinde große Trauer.
Amanda Roberts, Schwägerin des Epstein-Opfers Virginia Giuffre
Das bekannteste Bild von Virginia Giuffre zeigt sie im Arm des damaligen Prinzen, im Hintergrund lächelt Ghislaine Maxwell. Jeffrey Epstein hat es gemacht. Danach wurde Virginia nach eigenem Bekunden missbraucht.
„Sie ist so jung. Ein Mädchen“, sagt Amanda Roberts. „Dann sehe ich den Raum, in dem sie sich befindet, diese mächtigen Menschen um sie herum und mittendrin sie, allein. Es ist das schrecklichste Foto, das je veröffentlicht wurde. Ich schaue darauf und empfinde große Trauer.“

© dpa/PA Media/US Department Of Justice
Virginia Giuffre wollte dieses Erinnerungsbild, weil sie ihrer Mutter zeigen wollte, einen echten Prinzen getroffen zu haben. In ihren Memoiren schreibt sie, nach dem Missbrauch durch Prinz Andrew habe er ihr das Gefühl vermittelt, als sei es „sein Geburtsrecht“, Sex mit ihr zu haben.
„Darin zeigt sich das Anspruchsdenken dieser Männer – wegen meiner Position, Macht und Geld kann ich tun, was ich will“, sagt Amanda Roberts. „Viele kommen immer noch damit davon. Sie sind an der Macht, sie sind reich und mächtig. Das Epstein-Netzwerk begann vor drei Jahrzehnten, erst jetzt stehen wir da, wo wir nun sind.“
Für mich ist sie das wahre Böse, eine Meisterin der Manipulation. Es macht mich wütend, dass allein nur darüber nachgedacht wird, sie zu begnadigen.
Amanda Roberts, Schwägerin des Epstein-Opfers Virginia Giuffre, über Ghislaine Maxwell
Ghislaine Maxwell, Epsteins frühere Partnerin und spätere Gehilfin, warb Mädchen an und missbrauchte sie. Sie ist zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. „Sie ist nicht reumütig“, sagt Amanda Roberts. „Für mich ist sie das wahre Böse, eine Meisterin der Manipulation. Es macht mich wütend, dass allein nur darüber nachgedacht wird, sie zu begnadigen. Meine Botschaft an sie wäre: Die Wahrheit wird ans Licht kommen.“
Sky Roberts würde Maxwell sagen: „Wir werden nicht nachgeben, nur weil Virginia nicht mehr hier ist. Die Überlebenden werden nicht verschwinden, und wir werden nicht verschwinden. 20 Jahre Haft sind nicht genug für das, was sie meiner Schwester und all den anderen angetan hat.“
Sie war jeden einzelnen Tag ihres Lebens im Überlebensmodus.
Amanda Roberts, Schwägerin des Epstein-Opfers Virginia Giuffre
Die postum erschienenen Memoiren beschreiben auch Virginias Missbrauch als kleines Mädchen – durch ihren Vater, der die Vorwürfe bis heute abstreitet. „Wir wussten einige Jahre vor der Buchveröffentlichung von unserem Vater, aber hatten nie vor, ihn öffentlich damit zu konfrontieren“, sagt Sky Roberts. „Es ist schwierig für mich, weil wir ja auch gute Momente in unserer Kindheit hatten.“
In der Vorbemerkung des Buches ist von jahrelanger häuslicher Gewalt durch Virginias Ehemann Robbie die Rede. „Der Letzte, der sie missbraucht hat, war ihr Ehemann“, sagt Sky Roberts. „Sie hat einmal gesagt: Ich konnte Ghislaine Maxwell, Epstein und Prinz Andrew zu Fall bringen. Aber diese Person in meinem Leben, mit der ich Kinder habe, die nicht.“
„Die Menschen vergessen, dass, nur weil man mutig und stark ist, das nicht bedeutet, dass man nicht unter einem Trauma leidet“, sagt Amanda Roberts. „Sie war jeden einzelnen Tag ihres Lebens im Überlebensmodus.“
Was sie sich für das nächste Jahr wünschen? „Das Größte wäre, wenn wir durch die Veröffentlichung dieser Akten eine Veränderung sehen würden“, sagt Sky Roberts. „Und die Wahrheit endlich ans Licht kommt. Auf sehr persönlicher Ebene hoffe ich, dass wir Heilung finden können.“
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