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Ein Beamter der Bundespolizei hat den Fahrer eines Kleintransporters bei der Einreise am deutsch-polnischen Grenzübergang von Küstrin-Kietz gestoppt.

© dpa/Patrick Pleul

Lasst endlich die Zuspitzungen!: Stattdessen brauchen wir eine Migrationspolitik, die eint

In der Debatte um Einwanderung werden Gräben gezogen, die es laut einer neuen Umfrage so nicht gibt. Die Migrationspolitik der Großen Koalition geht an den Wünschen der Bevölkerung vorbei.

Ein Gastbeitrag von Hannes Einsporn

Stand:

Politischer Wettbewerb lebt von der Zuspitzung. Das Problem: Wo zugespitzt wird, entstehen Gräben. Nirgends wird dies derzeit so deutlich wie beim Thema Migration. Doch wer Gräben verstärkt, der untergräbt Vertrauen in Zusammenhalt und Demokratie und öffnet rechtsextremen Parteien Tür und Tor.

Dabei ginge es anders. Eine neue repräsentative Umfrage des Think Tanks More in Common legt offen, welche Werte Menschen in Deutschland in der Migrationspolitik wichtig sind. Die Studie liefert ein Bild, das deutlich differenzierter ist, als es die aktuelle politische Debatte suggeriert. Wo ist das Gemeinsame, das Gräben vermeiden kann?

Eine Mehrheit – 45 Prozent – befürwortet sichere und legale Migrationswege für Flüchtlinge in Kombination mit Grenzsicherung. Lediglich 27 Prozent wünschen sich verstärkte Grenzkontrollen, während 19 Prozent sich dafür aussprechen, dass Flüchtlingen verbesserte sichere und reguläre Wege offenstehen sollten, um in Deutschland Schutz zu suchen.

Kontrolle statt Begrenzung von Einwanderung

Laut Umfrage ist von den extremen Rändern quer durch die Mitte der Gesellschaft den Menschen „Kontrolle“ in der Migrationspolitik wichtiger als eine Begrenzung der Einwanderung. Die überwiegende Mehrheit – auch eine Mehrheit der Befragten weit rechts der Mitte – ist prinzipiell dafür, dass Menschen in anderen Ländern Schutz vor Krieg und Verfolgung bekommen sollten.

Es sind gerade die Aufnahmeprogramme, über die die Bundesregierung Einfluss darauf nehmen könnte, wer wie nach Deutschland kommt.

Hannes Einsporn

Und schließlich überzeugen die wirtschaftlichen Vorteile der Zuwanderung auch die, die der Migration sonst skeptisch gegenüberstehen. Anstatt in eine Ja-Nein Logik zu rutschen, wägen die Befragten ab.

Eine Migrationspolitik, die Gräben überwindet, müsste also mehr Kontrolle, Mitgefühl mit Notleidenden und Anerkennung der positiven Beiträge von Migration beinhalten. Notwendig wäre ein neues Verhältnis von Restriktion und Öffnung.

Die neue Bundesregierung setzt allein auf Restriktion und spaltet damit

Blickt man jedoch auf die jüngsten Abstimmungen zur Migrationspolitik im Bundestag und die Haltung der Großen Koalition, dann ergibt sich ein anderes Bild. Die verkündete „Wende“ spaltet, vor allem beim Thema Asyl. Die Bundesregierung setzt allein auf Restriktion und gefährdet so nicht nur die Rechte von Schutzsuchenden, sondern regiert auch an den mehrheitlichen Interessen der Bevölkerung vorbei.

So setzt die Bundesregierung alle freiwilligen Aufnahmeprogramme und den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte aus und verstärkt Grenzkontrollen. Zum einen ist dies fatal für Asylsuchende, wie das Beispiel Afghanistan zeigt: Das Land bleibt aktuell eines der relevantesten Herkunftsländer für Asylsuchende.

Gerade nach der Pandemie waren es Flüchtlinge, die den Bedarf an Arbeitskräften in Gastronomie oder Transport deckten.

Hannes Einsporn

Nach dem Ende des Bundesaufnahmeprogrammes für Afghanistan gibt es jedoch (wieder) nur noch die gefährliche, irreguläre Migration, um in Deutschland Schutz zu suchen. Zum anderen verspielt Deutschland damit die Chance der gewünschten Kontrolle: Es sind gerade die Aufnahmeprogramme, über die die Bundesregierung Einfluss darauf nehmen könnte, wer wie nach Deutschland kommt.

Beiträge Zugewanderter sichtbar machen

Laut der Studie von More in Common prägt auch Deutschlands Selbstbild als „Leistungsnation“ die Einstellungen zur Migrationspolitik: Eine Mehrheit der Bevölkerung bewertet Zuwanderung vorwiegend nach dem wirtschaftlichen Beitrag, den Migrant:innen leisten oder potenziell leisten werden.

Fragt man die Menschen nach spezifischen Berufsgruppen, wünschen sie sich eine verstärkte Zuwanderung von Personen, deren Beiträge unmittelbar und alltagsnah spürbar sind, wie etwa Pflege, aber auch Servicekräfte. Gerade nach der Pandemie waren es Flüchtlinge, die den Bedarf an Arbeitskräften in Gastronomie oder Transport deckten.

Verbesserte Möglichkeiten der Arbeitsmigration für Flüchtlinge, die sich ohne Perspektive in Ländern außerhalb Europas befinden, könnten eine geordnete Alternative zur irregulären Migration eröffnen. Ein wichtiger Weg des Zuzugs zur Aufnahme einfacher Tätigkeiten in Deutschland war bisher die Regelung für die sechs Westbalkanstaaten, die die Erwerbsmigration vereinfachte.

Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag nun verabredet, das Kontingent der Arbeitsvisa auf 25.000 zu reduzieren, das heißt um die Hälfte – trotz einer weiterhin hohen Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.

100 Tage nach ihrer Konstituierung bilanziert die Bundesregierung die „Wende“ in der Migrationspolitik hin zu „Ordnung und Steuerung“. Maßnahmen allerdings, die das Mitgefühl mit von Krieg und Verfolgung bedrohter Menschen kanalisieren, sucht man in dieser Wende vergebens.

Auch eine Anerkennung der wirtschaftlichen Beiträge von Migrant:innen zum Gemeinwohl findet man nicht. Die Bundesregierung verpasst hier eine wichtige Möglichkeit, die Interessen ihrer Bürger:innen mit denen zusammenzubringen, die Schutz oder Chancen suchen. Noch ist es nicht zu spät.

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