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Regieren, „keinen Zirkus leiten“: So will Labour-Chef Keir Starmer die Großbritannien-Wahl gewinnen
Trotz Vorsprung wirkt Großbritanniens Labour-Partei nicht allzu siegessicher. Parteichef Keir Starmer setzt auf fünf große Themen, ein bisschen Bescheidenheit und unscharfe Versprechen.
Stand:
Für Keir Starmer könnte eigentlich alles bestens laufen. Seit Monaten führt seine oppositionelle Labour-Partei die Umfragewerte in Großbritannien mit etwa 20 Prozentpunkten Vorsprung an. Sein Konkurrent, Premierminister Rishi Sunak, leistet sich im Kampf um Downing Street 10 einen Patzer nach dem nächsten.
Und drei Wochen vor der Parlamentswahl am 4. Juli geben dem Labour-Parteichef neue Wirtschaftsdaten zusätzlichen Rückenwind: Am Mittwoch wurde bekannt, dass die britische Wirtschaft stärker stagniert als bisher angenommen. Premier Sunak kann dadurch wenig glaubhaft seine Wirtschaftspolitik verkaufen.
Und doch kann Keir Starmer mögliche Wähler und Wählerinnen nicht so richtig mitreißen. Als er am Donnerstag im englischen Manchester sein Regierungsprogramm vorstellte, sagte er nüchtern, dass auch Labour „keinen Zauberstab“ habe, um die großen Probleme im Königreich lösen zu können. Ob sich die Massen von so viel Bescheidenheit mitreißen lassen?
130 Seiten Wahlprogramm
Das mehr als 130 Seiten starke Labour-Programm konzentriert sich vor allem auf die fünf großen Missionen der Partei: Wirtschaftswachstum, saubere Energie, Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie mehr Sicherheit. Dazu zwei große Versprechen: Wohlstand und Wandel fürs Land, um das „konservative Chaos“ zu beenden.
Mit dem Wahlprogramm legt Labour erstmals umfassend die Pläne der Partei vor. Konkret will die Partei Steuererleichterungen für Privatschulen beenden und Steuerschlupflöcher für wohlhabende Ausländer schließen. Damit sollen sieben Milliarden Pfund (8,3 Milliarden Euro) zusammenkommen, um 6500 neue Lehrkräfte einzustellen.
Ich kandidiere, um Premierminister zu werden, nicht, um den Zirkus zu leiten.
Keir Starmer, Labour Parteichef
Große politische Überraschungen enthält das Programm nicht – dagegen mehr als zwei Dutzend Bilder vom Parteichef.
„Labour stellt Keir Starmer als Kandidaten stärker in den Fokus als die Konservativen Rishi Sunak, der in deren Parteiprogramm kein einziges Mal zu sehen ist“, sagt der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza dem Tagesspiegel.
Das habe vor allem mit den jeweiligen Beliebtheitswerten der beiden Kandidaten zu tun. Seit Dezember steigen die Zustimmungswerte bei Starmer, zwei Drittel der Britinnen und Briten sind mit der Arbeit Sunaks als Premier dagegen unzufrieden.
Vielleicht versucht es Starmer auch deshalb mit Nüchternheit und weniger mit großen Ankündigungen. Es gehe in seinem Programm „nicht darum, Kaninchen aus dem Hut zu zaubern“, sagte er der britischen Tageszeitung „Guardian“ zufolge in Manchester: „Ich kandidiere, um Premierminister zu werden, nicht, um den Zirkus zu leiten.“

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Dass Labour die linken Visionen der vergangenen Jahre unter Starmer nun endgültig hinter sich lassen will, wurde am Donnerstag besonders deutlich. „Keir Starmer hat Labour nach dem Vorbild von Tony Blair in vielen Fragen wieder in die politische Mitte bewegt, wirtschaftspolitisch ist es in weiten Teilen ein liberales Programm“, sagt von Ondarza.
Überzeugen wollen sie heute vor allem mit solider Wirtschaftspolitik, zudem verspricht Starmer immer wieder einen „unternehmerischen Ansatz“ für den Aufbau des Landes. Steuererhöhungen beim Einkommen oder der Mehrwertsteuer schließt er aus.
Für die Partei könnte dieses Versprechen zu einer möglichen Angriffsfläche im Wahlkampf werden. „Labour wehrt außer in gezielten Ausnahmen Steuererhöhungen ab und verspricht, alle Mehrausgaben durch erzieltes Wirtschaftswachstum und dadurch steigende Steuereinnahmen zu erreichen“, sagt der Politikwissenschaftler. Unter britischen Ökonomen sei dieser Finanzierungsplan dagegen hochumstritten. Die Tories um Sunak haben Labours Politik bereits als unfinanzierbar gescholten.

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Doch nach 14 Jahren Tory-Regierung funktioniert im Königreich ohnehin nur noch wenig: Das nationale Gesundheitssystem NHS ist völlig marode, im April warteten der Statistikbehörde ONS zufolge fast zehn Millionen Menschen auf eine Behandlung. Die Einkommensverteilung ist deutlich ungerechter als im europäischen Durchschnitt, etwa vier Millionen Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze.
Unter Keir Starmer soll sich das ändern, mit einem allzu wirtschaftsfreundlichen Programm könnte er aber zugleich sozialdemokratische Kernwähler und Wählerinnen verschrecken. „Er propagiert Unternehmerfreundlichkeit, versucht aber die Balance zur arbeitenden Bevölkerung zu bewahren“, sagt Matthias Barner von der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Das scheint aber nur zu gelingen, weil Starmer dabei zunehmend vage bleibt. „Ob er damit in Regierungsverantwortung bei seiner Partei und auch den Gewerkschaften langfristig durchkommt, steht auf einem anderen Papier“, so Barner.
Labour bleibt nervös
Zumindest aktuell scheint Labour mit programmatischer Unschärfe beim Wahlvolk punkten zu können. Aktuellen Umfragen zufolge haben die Oppositionellen ihren Vorsprung ausgebaut. Sie liegen derzeit 23 Prozentpunkte vor den Konservativen.
Diese Überlegenheit rührt aber vor allem von der Schwäche der Tories, sagt Barner: „Falls Labour tatsächlich mit einer großen Mehrheit gewinnt, dann nicht als Folge ihrer personellen und programmatischen Aufstellung, sondern es wäre vor allem die Abwahl einer erschöpften und mit Skandalen verbundenen Regierungspartei.“
Keir Starmer und seine Partei wirken dennoch nervös. Vielleicht auch, weil sie bei den Wahlen 1992 und 2015 in den Umfragen ebenfalls deutlich vor den damals regierenden Konservativen lagen – und am Ende verloren.
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