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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde nach dem Erdbeben stark von der Opposition kritisiert.

© AFP/YASIN AKGUL

Er will Tatkraft demonstrieren: Erdogan hält an Neuwahlen im Mai trotz Erdbeben fest

Nach Kritik an seinem Krisenmanagement hält der türkische Präsident an seiner Wiederwahl im Mai fest. Doch ist die Bevölkerung von seinen Plänen überzeugt?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will trotz der Kritik an seiner Regierung nach der Erdbebenkatastrophe am 14. Mai wählen lassen. Erdogan werde den Tag für die Präsidenten- und Parlamentswahl an diesem Mittwoch offiziell verkünden, meldeten regierungsnahe Medien übereinstimmend.

Obwohl einige seiner Berater für eine Verschiebung der Wahlen plädiert hatten, will Erdogan die Türken davon überzeugen, dass er allein die Erdbebenregion rasch wieder aufbauen kann. Dagegen macht die Opposition den Präsidenten politisch für den Tod von mehr als 44.000 Menschen verantwortlich.

Erdogan besuchte am Montag zusammen mit seinem rechtsnationalen Bündnispartner Devlet Bahceli ein Container-Dorf für obdachlose Erdbebenopfer in der verwüsteten Provinz Adiyaman.

Geologen warnen vor übereiltem Wideraufbau

Ein schweres Nachbeben in der Nachbarprovinz Malatya während des Besuchs erinnerte daran, wie gefährlich die Lage immer noch ist. Bei dem Erdstoß der Stärke 5,6 stürzten Gebäude ein, die den Beben am 6. Februar standgehalten hatten. Ein Mensch starb, Dutzende weitere wurden verletzt.

230.000
Wohnungen will die türkische Regierung ab März bauen.

Geologen sagen monatelange Nachbeben voraus und warnen deshalb vor einem übereilten Wiederaufbau, doch Erdogan will sich davon nicht aufhalten lassen. Mit dem Bau der ersten neuen Häuser im Bebengebiet sei bereits begonnen worden, sagte er am Montag. Im März und April werde die Arbeit an mehr als 230.000 weiteren Wohnungen beginnen.

Damit will der Präsident Tatkraft demonstrieren – das Leitmotiv seines Wahlkampfs. Kritik an der Regierung weist er zurück: Eine Katastrophe solchen Ausmaßes habe die Welt noch nie gesehen, sagte Erdogan in Adiyaman. Nach den Beben vom 6. Februar habe es in Adiyaman nur an den schlechten Straßen- und Wetterverhältnissen gelegen, dass sich die Ankunft der Helfer verspätete, sagte er.

Im Wahlkampf wird das möglicherweise nicht reichen, um die Türken zu überzeugen. Laut einer Umfrage des Ipsos-Instituts unter Wählern außerhalb des Erdbebengebietes bewerten nur 30 Prozent der Türken die Erdbebenhilfe der Regierung als erfolgreich.

Die Arbeit staatlicher und privater Hilfsorganisationen wird dagegen mehrheitlich positiv gesehen. Inzwischen kommen jedoch immer mehr Missstände und Fehlentscheidungen ans Tageslicht. So soll der Rote Halbmond tausende Zelte an private Helfer verkauft haben, statt sie kostenlos zu verteilen.

Unterstützung für Erdogan geht zurück

Die Unterstützung für Erdogans Partei AKP sei nach dem Beben deutlich zurückgegangen, schrieb der Meinungsforscher Can Selcuki auf Twitter. Erste lokale Befragungen bestätigen diesen Trend.

Dem Institut ORC zufolge hat das Regierungsbündnis aus Erdogans AKP und Bahcelis Partei MHP in der nordwesttürkischen Industriestadt Bursa – weitab vom Erdbebengebiet – rund 15 Prozentpunkte eingebüßt. Die Opposition liege dort nun vorn. In den kommenden Tagen sollen mehrere landesweite Umfragen veröffentlicht werden.

Die Opposition führt die hohe Zahl der Opfer bei den Erdbeben als Beleg dafür an, dass Erdogans Präsidialsystem in Krisenzeiten versagt, weil staatliche Institutionen auf Befehle von oben warten, statt schnell zu handeln.

Die Wut ist groß

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, ein möglicher Herausforderer Erdogans bei der Präsidentenwahl, verspricht eine Rückkehr zum parlamentarischen System und die Bestrafung aller Schuldigen. Bisher haben die Behörden zwar knapp 200 Bauunternehmer und Lokalpolitiker als mutmaßliche Schuldige für Pfusch am Bau ermittelt. Die für die Branche zuständigen Bau- und Verkehrsminister sind aber weiter im Amt.

44.000
Tote hat es aufgrund des Erdbebens gegeben.

In Teilen der türkischen Gesellschaft ist die Wut groß. Zehntausende Fußballfans der Istanbuler Spitzenclubs Fenerbahce und Besiktas forderten am Wochenende in Sprechchören in den Stadien den Rücktritt der Regierung.

Besiktas-Fans warfen als Erinnerung an die vielen Kinder unter den Opfern tausende Plüschtiere auf den Rasen. Nationalistenchef Bahceli drohte daraufhin damit, keine Zuschauer mehr in die Stadien zu lassen.

Schon vor dem Erdbeben waren Erdogan und Bahceli wegen der hohen Inflation in der Türkei in der Defensive. Erdogans Berater Bülent Arinc schlug deshalb nach dem Erdbeben eine Verschiebung der Wahl vor, doch Erdogan bleibt offenbar bei seinem Vorhaben, den Wahltag vom Juni auf den Mai vorzuziehen.

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