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Der Verehrte. Erdoğans Anhänger feiern den Sieg ihres Präsidenten.

© AFP/YASIN AKGUL

Erdoğans Triumph: Es werden schwierige Jahre für die Türkei und den Westen

Als Wahlsieger verspricht Recep Tayyip Erdoğan seinen Anhängern ein Jahrhundert der Türkei. Es bedeutet nichts anderes als eine Kampfansage an den Westen und seine Werte.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Es ist sein Sieg. Das weiß Recep Tayyip Erdoğan. Und lässt es schon am Wahlabend alle wissen. Für seine Anhänger ruft er ein „Jahrhundert der Türkei“ aus. Seinen Gegnern – Bürgerrechtler, Kurden, politische Gefangene – droht der 69-Jährige ganz unverhohlen mit Gefängnis. Es ist nicht zuletzt auch eine Kampfansage an den Westen und dessen Werte wie Pluralismus und Demokratie.

Dabei verdankt der wiedergewählte Präsident den Erfolg nicht zuletzt unlauteren Mitteln. Die Abstimmung kann beim besten Willen weder als frei noch als fair bezeichnet werden. Der Amtsinhaber und Autokrat hatte alle Macht- und Manipulationsmittel in der Hand.

Fünf weitere Jahre wird der von seinen Gefolgsleuten als „Rais“, als Oberhaupt und Anführer, geradezu kultisch Verehrte die Geschicke des Landes lenken. Es werden sehr schwierige Jahre – für die Türkei und jene Staaten, die mit Erdoğans ebenso autoritärem wie nationalistischem Politikstil zurechtkommen müssen.

Auch sein Rivale Kilicdaroglu ruft „Türkiye First“

Das wäre vermutlich mit seinem Rivalen nicht anders gewesen. Der so freundlich wirkende Kemal Kiliçdaroglu ist ebenfalls einer, der ruft: Türkiye First! Seine unsäglichen rechtspopulistischen Parolen, er werde Millionen Flüchtlinge aus dem Land werfen, haben nicht nur die kurdische Minderheit abgeschreckt, sondern auch Europa aufgeschreckt.

Der Verlierer: Kemal Kilicdaroglu
Der Verlierer: Kemal Kilicdaroglu

© REUTERS/YVES HERMAN

Gebracht hat es ihm nichts. Wenn es darum geht, an türkischen Stolz und Identität zu appellieren, macht niemand Erdoğan etwas vor. Die Ergebnisse in Berlin, München oder Duisburg sprechen eine deutliche Sprache. Zwei Drittel der Deutsch-Türken halten zu Erdoğan. Er beherrscht das Spiel mit den Gefühlen und kann die wertkonservative Klientel jederzeit in Stellung bringen.

52
Prozent der wahlberechtigten Türkinnen und Türken votierten für Erdoğan.

Dabei fällt offenbar kaum ins Gewicht, dass Erdoğan die Türkei an den Rand einer wirtschaftlichen Katastrophe geführt hat. Dass nach der Erdbebenkatastrophe die Behörden unfähig waren, schnell zu reagieren. Dass Korruption das Land lähmt. Dass Rechtsstaatlichkeit ein Fremdwort ist. Dass jede Form von Opposition mundtot gemacht wird.

Doch seine Fans haben mit einer Ein-Mann-Herrschaft kein Problem. Für sie zählt allein: Nur Erdoğan kann es richten. Wenn der Boss als stark wahrgenommen wird, kommt das auch dem Volk zugute.

Die Hoffnung auf Reformen? Nicht realistisch

Aber es gibt auch eine andere Türkei. Das sind die 48 Prozent, die für Kiliçdaroglu gestimmt haben. Für sie war er die Verheißung auf eine neue Ära nach 20 Jahren mit Erdogan an der Macht. Der Wunsch nach Reformen ist bei ihnen jedoch größer, als die Wahlrealitäten es hergeben.

Auch in Berlin kann Erdogan mit viel Rückhalt rechnen.
Auch in Berlin kann Erdogan mit viel Rückhalt rechnen.

© IMAGO/Christian Ender/IMAGO/Christian Ender

Nun werden sie sich fragen, ob dieses Land noch ihr Land ist. Ob die vertane Chance auf einen Wechsel nicht Grund genug ist, woanders ein neues, selbstbestimmtes Leben in Freiheit zu führen. Denn eines scheint sicher: Erdoğan wird jetzt nicht über Nacht ein anderer.

Das werden auch Deutschland, Europa und der Westen zu spüren bekommen. Schon in wenigen Tagen beim Gipfeltreffen der EU mit europäischen Nachbarstaaten wird ein selbstbewusster Erdoğan mit am Tisch sitzen. Wie mit ihm umgehen?

Die Türkei komplett zu isolieren, ist wenig hilfreich. Zu wichtig ist das Land als islamisches Nato-Mitglied, als Bindeglied zwischen Europa, Nahost und Asien. Mit China und Russland stehen schon zwei Großmächte bereit, die liebend gerne Erdoğan komplett auf ihre Seite ziehen möchten.

Nachgiebigkeit versteht Erdogan als Schwäche

Dennoch ist Nachgiebigkeit keine Lösung. So etwas versteht der türkische Staatschef wie alle Autokraten allein als Schwäche. Es wird also etwas zwischen Prinzipientreue, Stärke-Zeigen und Realitätssinn benötigt.

Dazu gehört, Erdoğan an seine Pflichten als Nato-Mitglied zu erinnern, damit er endlich den Weg für Schwedens Beitritt frei macht. Ebenfalls steht er in der Pflicht, wenn es um die Einhaltung des Flüchtlingsdeals mit der EU geht. Auf die Milliarden wird der türkische Staatschef kaum verzichten wollen und können.

Der Westen wiederum muss sich ehrlich machen: Mit dem 28. Mai sind die Möglichkeiten nochmals deutlich geringer geworden, auf das Land am Bosporus und dessen Herrscher Einfluss zu nehmen. Die Türkei unter Erdoğan wird kein verlässlicher Verbündeter sein. Es ist Zeit, sich darauf einzustellen.

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