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Mohammed Baschir führte bisher die Regierung in der von den Rebellen kontrollierten Region und Stadt Idlib.

© AFP/OMAR HAJ KADOUR

Erst Rebellen-Minister, jetzt Interimspremier: Das ist von Syriens Übergangsregierungschef al-Baschir zu erwarten

Mohammed al-Baschir soll in den nächsten Monaten die Regierung in Syrien führen. Bisher leitete er die „Syrische Heilsregierung“ im von Rebellen kontrollierten Idlib. Das ist von ihm zu erwarten.

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Den Mann, der Syrien politisch in ein neues Zeitalter führen soll, kannten vor zwei Wochen im Westen wohl nur eine handvoll Experten. Nun ist sein Name in den Medien weltweit zu lesen: Mohammed al-Baschir. Bislang war er der Chef der sogenannten „Syrischen Heilsregierung“ im von den Rebellen kontrollierten Idlib im Nordwesten Syriens.

Nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad ernannte die islamistische Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) den Diplomingenieur am Dienstag zum Chef einer nationalen Übergangsregierung, die bis 1. März im Amt sein soll. Damit leitet er vorübergehend die Geschicke eines nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg extrem gespaltenen und zerrütteten Landes. Die ersten Wochen werden entscheidend dafür sein, welchen Weg Syrien jetzt nimmt.

Am Sonntag hatte es ein Treffen zwischen dem Anführer der Rebellengruppen, Abu Muhammad al-Dschaulani, Baschir und dem Premierminister der Regierung des ehemaligen Regimes, Mohammad Ghazi al-Jalali, gegeben. Ein am Montag veröffentlichtes Video zeigte diesen ersten Auftritt Baschirs, ganz rechts im Bild zu sehen, außerhalb von Idlib.

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Der bärtige Mann trägt darin einen eleganten grauen Anzug und eine goldene Uhr. Das Ziel des Gesprächs: Den Übergang so zu organisieren, dass Syrien nach dem erfolgreichen und vergleichsweise unblutigen Umsturz nicht in Anarchie verfällt.

Genau auf diese Befürchtungen spielte Baschir in seinem ersten Interview in seiner neuen Funktion im Sender Al-Dschasira auch an, als er erklärte, es sei an der Zeit, dass das syrische Volk „Stabilität und Ruhe genießt, versorgt wird und weiß, dass seine Regierung da ist, um ihm die benötigten Dienste zur Verfügung zu stellen.“

Baschir will Kritiker im Westen beruhigen

Baschir rief außerdem syrische Flüchtlinge in aller Welt auf, in ihre Heimat zurückzukehren. „Mein Appell richtet sich an alle Syrer im Ausland: Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde wiedererlangt hat. Kommen Sie zurück!“, sagte er in einem Interview der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“.

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Er versuchte auch Befürchtungen von Kritikern, die HTS könne einen zu starken islamistischen Einfluss auf das restliche Syrien haben, auszuräumen. „Das falsche Verhalten einiger islamistischer Gruppen hat dazu geführt, dass viele Menschen, vor allem im Westen, Muslime mit Terrorismus und den Islam mit Extremismus verbinden“, sagte er. Dies sei jedoch eine falsche Darstellung. Er beteuerte, die Rechte aller religiösen Gruppen zu sichern. „Gerade weil wir islamisch sind, werden wir die Rechte aller Menschen und aller Glaubensrichtungen in Syrien garantieren“, sagte al-Baschir

Dafür bindet er auch Mitglieder der alten Assad-Regierung ein. Am Dienstag „fand eine Kabinettssitzung statt, zu der wir Mitglieder der alten Regierung und einige Direktoren der Verwaltung in Idlib und den umliegenden Gebieten eingeladen haben, um alle notwendigen Arbeiten für die nächsten zwei Monate zu erleichtern, bis wir ein verfassungsmäßiges System haben, um dem syrischen Volk dienen zu können“, erklärte er. Offiziell soll es sich um eine Regierung der Technokraten handeln, wie auch in der Provinz Idlib, die er führte.

Baschar will laut eigener Aussage mit jedem zusammenzuarbeiten, solange dieser auf Distanz zum gestürzten Machthaber Baschar al-Assad gehe. Auf die Frage, ob die neue Verfassung Syriens islamischer Natur sein werde, antwortete er: „Wir werden alle diese Details während des Verfassungsprozesses klären.“ In Syrien leben zahlreiche ethnische und religiöse Minderheiten, darunter Kurden, Alawiten, Drusen und Christen.

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In Fotos aus der Sitzung sieht man hinter Baschir zwei Flaggen – die grün-schwarz-weiße Flagge, die während des Bürgerkriegs von Assad-Gegnern gehisst wurde, und eine weiße Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis in schwarzer Schrift, die in Syrien typischerweise von sunnitischen islamistischen Kämpfern verwendet wird.

Auf die Außenpolitik angesprochen sagte Baschir, er und seine Übergangsregierung hätten „keine Probleme mit Staaten, Parteien oder Sekten, die sich von Assads blutrünstigem Regime distanziert haben“. Die Frage, ob dies bedeute, dass er sich vom Iran, Russland und der Hisbollah distanzieren und mit Israel Frieden schließen wolle, beantwortete Baschir nicht.

Soviel zu seinen ersten Aussagen in seiner neuen Rolle. Aber wer ist der Mann überhaupt, der jetzt so viel Verantwortung trägt?

Baschir wurde 1983 in Dschabal Al-Sawija in der Provinz Idlib geboren. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Universität Aleppo und des islamischen und zivilen Rechts an der Universität Idlib arbeitete Baschir zunächst für die staatliche Gasgesellschaft Syriens und war lange Zeit gänzlich unbekannt.

Erst Ingenieur, dann Entwicklungsminister

Nach Jahren des Bürgerkriegs, der 2011 begann, wurde seine Heimatregion zur letzten Bastion der bewaffneten Regierungsgegner. In den vergangenen Jahren kontrollierten die HTS-Miliz und mit ihr verbündete Gruppen das Gebiet, 2017 riefen die Islamisten ihre „Heilsregierung“ aus. Baschir begann seine politische Laufbahn dort 2022 als Entwicklungsminister, im Januar dieses Jahres wurde er dann Regierungschef.

Syrische Rebellen, die von Idlib aus am 28. November in Richtung Aleppo vorstoßen.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Rami Alsayed

Zuvor hatte er noch einmal die Lehrbank gedrückt. Er studierte in Idlib und machte einen juristischen Abschluss in Scharia und Recht, belegte aber auch Kurse in Verwaltungsmanagement. Anschließend ging er in die Verwaltung und war für die Scharia-Ausbildung in einem Ministerium in Idlib zuständig.

In seiner Zeit als Minister für Entwicklung und humanitäre Angelegenheiten lobten Hilfsorganisationen die Professionalität der Behörden von Idlib, die Flüchtlinge mit Ausweisen ausstatteten und sich um die technische Entwicklung des Landes kümmerten, wie die „FAZ“ schreibt.

Seine Regierungszeit in Idlib ist von einem ambitionierten Programm geprägt. Er setzte stark auf junge Mitglieder der Regierung, wollte das Thema E-Government stärken. Außerdem versprach er, für wirtschaftliches Wachstum zu sorgen und sich um die vielen Vertriebenen des syrischen Bürgerkriegs zu kümmern, die in Idlib Zuflucht gefunden hatten. Gleichzeitig betonte er die Stärkung islamischer Werte, wie die „FAZ“ berichtet.

Die Regierung in Idlib hat eigene Ministerien sowie Justiz- und Sicherheitsbehörden und versorgt die von der staatlichen Infrastruktur abgeschnittene Bevölkerung in den oppositionellen Gebieten mit Dienstleistungen.

Proteste gegen willkürliche Verhaftungen der Baschar-Regierung

Als sich in Teilen der Bevölkerung in Idlib Unmut über willkürliche Verhaftungen und gegen die Rebellenregierung breit machte, kündigte Baschir Reformen des Geheimdienstes an. Immer wieder sollen Regierungskritiker verhaftet worden sein und auch Frauen, die sich nicht an islamische Kleidervorschriften hielten. Baschir verfügte eine Amnestie und setzte eine Härtefallkommission ein.

Dennoch wird das Vorgehen der Rebellen und ihrer Regierung gegen Kritiker von zahlreichen Beobachtern als brutal beschrieben. Sicherheitskräfte sollen zum Beispiel auf Demonstranten geschossen haben. Das Vorgehen soll sich auch gegen radikal-islamische Kritiker der Regierung gerichtet haben (unter diesem Link finden Sie einen ausführlichen Report zu den Protesten in Idlib).

Syrien, Milizenführer al-Dscholani in Damaskus.

© IMAGO/ABACAPRESS/IMAGO/Balkis Press/ABACA

Dem HTS-Anführer Abu Mohammed al-Dscholani zufolge verfügen die Behörden in Idlib - auch wenn die Stadt klein ist und es ihr an Ressourcen mangelt - „über ein hohes Maß an Erfahrung“ und sind in mancher Hinsicht „sehr erfolgreich“ gewesen. Die neue Regierung müsse allerdings auch auf erfahrene Vertreter der bisherigen Verwaltung Syriens zurückgreifen, sagte al-Dscholani.

Tatsächlich scheint der Übergang in den vergangenen Tagen in den syrischen Großstädten einigermaßen reibungslos geklappt zu haben. Die nötigste Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Nahrungsmitteln und Strom ist sichergestellt. Die Verantwortung für die Sicherheit soll nach und nach von den Rebellen auf Polizeieinheiten übergehen.

Während in der Hauptstadt Damaskus der neue Alltag unter den Assad-Gegnern gerade erst beginnt, ist Aleppo schon etwas weiter. Dort ist die Arbeit der neuen Verwaltung bereits konkret sichtbar.

Sie hat nach dem Abzug von Assads Armee Arbeitertrupps damit begonnen, die Straßen zu reinigen, die durch die Kämpfe entstandenen Trümmer zu beseitigen und die Strom- und Wasserversorgung sowie das Mobilfunknetz wiederherzustellen. Wachleute patrouillieren nachts in den Straßen, um die öffentliche Ordnung zu sichern. Freiwillige verteilen Brot. Das ist es auch, was Baschar meint, wenn er sagt, dass die Syrer jetzt „Stabilität und Ruhe“ bräuchten. Wenn seine Regierung die sichern kann, wäre das schon viel.

Denn Baschir hat an seinem ersten Tag im Amt gleich Erwartungsmanagement betrieben. Er warnte vor übergroßen Hoffnungen auf eine rasche Besserung der allgemeinen Lage im Land. „In den Kassen gibt es nur syrische Pfund, die wenig oder nichts wert sind“, sagte er. „Wir haben keine Devisen, und was Kredite und Anleihen angeht, so sammeln wir immer noch Daten. Also ja, finanziell geht es uns sehr schlecht.“ (mit AFP)

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