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„Es ist ein bittersüßer Sieg“: Støres Sozialdemokraten gewinnen, doch Norwegen rückt nach rechts
Lange sah es so aus, als würden Norwegens Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl krachend scheitern – nun kann Premier Jonas Gahr Støre doch im Amt bleiben. Doch ungetrübte Freude sieht anders aus.
Stand:
Etwas müde, aber sichtbar zufrieden tritt Jonas Gahr Støre am Dienstagmorgen vor die Presse in Oslo.
„Ja, die vier Jahre haben mit wenig Schlaf begonnen“, sagt der Sozialdemokrat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NRK mit Blick auf die bevorstehende Legislaturperiode. „Es fühlt sich aber gut an. Ich denke in erste Linie an meine eigene Partei, die einen guten Wahlkampf geführt hat.“
Seit wenigen Stunden ist zu diesem Zeitpunkt klar: Støres sozialdemokratische Arbeiderpartiet (Ap) hat Norwegens Parlamentswahl mit 28,2 Prozent gewonnen, der 65 Jahre alte amtierende wird auch der neue Regierungschef des nordischen Landes sein.
Stoltenberg-Effekt in Norwegen
Dabei sah es Anfang des Jahres lange nach einem Regierungswechsel aus.
Der Rechtspopulismus wird sich in der norwegischen Politik bemerkbar machen.
Saghaug Broderstad, Politologe
Ende Januar ist Støres Bündnis aus Ap und Zentrumspartei zerbrochen, die Genossinnen und Genossen um Støre kamen Ende 2024 nur auf Zustimmungswerte um die 17 Prozent. „Im Dezember wagte niemand, davon zu träumen, und Støres Job stand auf dem Spiel“, sagt der Politikwissenschaftler Troy Saghaug Broderstad dem Tagesspiegel.
In diesem Februar dann die Kehrtwende: Die Rückkehr des ehemaligen Ministerpräsidenten und Ex-Nato-Chefs Jens Stoltenberg als Finanzminister gab den Sozialdemokraten den dringend benötigten Rückenwind – und mit ihm als beliebtem Zugpferd konnten sie sich bei der Abstimmung um knapp zwei Prozentpunkte im Vergleich zu 2021 verbessern.
Doch ein Wermutstropfen bleibt: Obwohl die Sozis stärkste Kraft im Storting in Oslo wurden, am Montag fuhren sie das viertschlechteste Ergebnis der vergangenen 100 Jahre ein. „Für Støre und die Sozialdemokraten ist es ein bittersüßer Sieg“, sagt Saghaug Broderstad.
Befreit jubeln können dagegen andere: Die rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP) feierte mit 23,9 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte, in den vergangenen vier Jahren konnte sie sich mehr als verdoppeln.

© AFP/Cornelius Poppe
Parteichefin Sylvi Listhaug konnte ihr Glück am Wahlabend dann auch kaum fassen: „Es ist fantastisch. Absolut fantastisch. Wir schneiden besser ab, als die Umfragen gezeigt haben“, sagte sie dem Sender NRK.
Damit hat sich Norwegen dem Rechtsruck im restlichen Europa angeschlossen, sagt Politologe Saghaug Broderstad aus Tromsø. „Der Rechtspopulismus wird sich in der norwegischen Politik bemerkbar machen.“ Listhaug selbst warnt dagegen vor vier harten Jahren, die Norwegen nun bevorstünden, und spricht von einem „historischen Linksruck“.
Insbesondere in ländlichen Gebieten – und bei Männern – konnte ihre Partei punkten. Saghaug Broderstad sieht darin sowohl einen „Protest gegen die Regierungsparteien als auch eine Stimme gegen den Wind der Globalisierung“.
Mitte-links-Block verliert 13 Sitze
Erste Nachwahlumfragen deuten zudem darauf hin, dass die Fortschrittspartei viele Nichtwähler mobilisieren konnte, seit 1989 gab es im nordischen Land keine höhere Wahlbeteiligung.
Das Regieren dürfte für Ministerpräsident Jonas Gahr Støre in den kommenden vier Jahren kaum einfacher werden. Das Mitte-links-Bündnis aus seinen Sozialdemokraten, Grünen, Linken, sozialistischen Linken sowie der Zentrumspartei verlor insgesamt 13 Sitze im Parlament und hat damit nur zwei Mandate mehr, als es für die absolute Mehrheit von 85 Sitzen braucht.
Bereits vor der Wahl hat Støre verkündet, weiter in einer Minderheitsregierung arbeiten zu wollen – dafür braucht er nun umso mehr die Unterstützung aller Abgeordneten des Mitte-links-Blocks.
Seine Minderheitskoalition mit den vier Juniorpartnern unter einen Hut zu bringen, wird eine schwierige Aufgabe, sagt der Politikwissenschaftler Saghaug Broderstad. „Es wird sehr interessant sein, zu sehen, wie sie sich in den nächsten vier Jahren bei den Wählern schlagen werden.“
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