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Patzer und Kritik aus dem eigenen Lager: Giorgia Melonis heißer Sommer
Zur Halbzeit ihrer Amtszeit hat Italiens Premierministerin wenig Grund zum Feiern: Ihr wichtigstes Projekt wird in ihrer Partei kritisiert – und sie verprellt Teile der Kernklientel.
Stand:
Bis zum Halbzeitende ist es strenggenommen noch etwas hin: Am 22. Oktober 2022 leistete Giorgia Meloni ihren Eid als Ministerpräsidentin, die erste Frau in diesem Amt in Italien.
Aber traditionell endet alles politische Leben mit Ferragosto, der Woche um den 15. August, Mariä Himmelfahrt, Italiens inoffiziellem höchsten Feiertag. Die Regierung Meloni packt nach diesem Mittwoch zusammen, wenn man sich zur letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause trifft.
Danach gilt für sie wie für alle Landeskinder, die es sich irgendwie leisten können: „tutti al mare“, alle ans Meer. Wo die Regierenden dann gern den Regierten begegnen und deren Stimmung sondieren. Sowohl Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) wie auch ihre Koalitionspartner werden durch die Sonnenschirmreihen touren.
Streik mit Sonnenschirmen und Liegen
Doch ausgerechnet den Strand müssen Melonis Leute diesmal fürchten. Die balneari, die – meist – Familienunternehmen, die seit Generationen die Strände mit Sonnenschirmen und Liegen möblieren, sind wütend auf „ihre“ Regierung, die ihnen doch hoch und heilig versprochen hatte, ihre hergebrachten Privilegien vor der EU-Wettbewerbsrichtlinie zu bewahren.
Daraus wurde nichts, und schlimmer noch: Meloni duckte sich weg, statt den Fehlschlag und mögliche Konsequenzen zu kommunizieren. Am Donnerstag streiken die balneari symbolisch zwei Stunden lang. Die FdI haben für den Tag – Zufall? – keine Stände am Meer organisiert.
Auch sonst startet die Regierung Meloni nicht in ihren glücklichsten Sommer. Dabei schien sie seit Amtsantritt fast unverletzbar, es gab praktisch keine Kräche in ihrer Dreierkoalition, und die Partei der Chefin selbst kletterte verlässlich in den Umfragen.
Doch seit den Wahlen zum Europaparlament Anfang Juni wirkt Meloni nervös und hat real an politischem Gewicht in Europa verloren.

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Mit ihrem überraschenden Votum gegen die alte und neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen, mit der sie bis dahin innig verbunden schien, habe Meloni gleich mehrfach verloren, analysiert Nicoletta Pirozzi, Leiterin der Europa-Abteilung des Instituts für Auslandsangelegenheiten (IAI) in Rom.
„Sie hat ihre Partei auf eine Oppositionsrolle in Europa beschränkt. Dafür hat sie ihren pragmatischen europäischen Ansatz aufgegeben und ihre Rolle als Brücke zwischen den Konservativen und dem radikaleren Flügel der europäischen Rechten.“ Daneben habe Meloni erleben müssen, dass „ihr Wunsch, die extreme Rechte im Europäischen Parlament zu einen, in die Brüche gegangen ist“.
Schließlich haben sich ihre angeblichen Verbündeten, Frankreichs Marine Le Pen, der ungarische Freund Viktor Orbán und ihr eigener römischer Juniorpartner Matteo Salvini, in Orbáns neuer „Patrioten“-Fraktion zusammengeschlossen.
Zu Hause steht es ebenfalls nicht zum besten. Selbst in der eigenen Partei gibt es inzwischen offenen Unmut über das Autonomie-Gesetz, das die Regierung vor wenigen Wochen durch die beiden Parlamentskammern brachte, ein Lieblingsprojekt der rechtsextremen Lega. Seine Gegner und Gegnerinnen sprechen vom Gesetz zur Spaltung Italiens.
Es übergibt zentrale Politikfelder in die Zuständigkeit der Regionen, die den deutschen Ländern entsprechen. Roberto Occhiuto, Ministerpräsident von Kalabrien, ein Politiker der in Rom mitregierenden Forza Italia, rief die Koalition zu einer Denkpause auf.
Die Reform sei „schnell und bei Nacht und Nebel beschlossen“ worden. Solange man überhaupt nicht wisse, was das landesweite Minimum staatlicher Leistungen sei und wie es im reichen Norden wie im armen Süden finanziert werde, hätte man sich das Gesetz lieber sparen sollen.
Es könnte ohnehin ein Fehlschlag von der Sorte werden, wie sie Italien seinen Regierenden öfter in Volksabstimmungen bereitet. Die halbe Million Unterschriften, die für ein Referendum gegen die autonomia differenziata nötig waren, kamen in nur zehn Tagen zusammen.
Melonis Wut über Gedenkrede für neofaschistischen Anschlag
Meloni nahm in diesen für sie schwierigen Tagen wieder Zuflucht zur Identitätspolitik. Den Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags von Bologna wollte sie offensichtlich der Pflege der starken neofaschistischen Nostalgie-Fraktion ihrer Partei widmen.
Während der offiziellen Gedenkstunde für die 85 Toten des Massakers auf dem Bahnhof von Bologna am 2. August 1980 hatte der Präsident der Opfervereinigung erklärt: „Die Wurzeln dieses Angriffs liegen vollständig im Feld jener Rechten, die heute regiert.“
Meloni reagierte wütend, indem sie sich selbst zum Opfer dieser Worte erklärte. Ein Klima des Hasses entstehe und bedrohe die Mitglieder der demokratisch gewählten Regierung.
Nicht wirklich gelungen war auch ihre Parteinahme im genderpolitischen Shitstorm gegen die algerische Boxerin Imame Khelif. Meloni zeigte sich den Fotografen demonstrativ mit deren italienischer Gegnerin Angela Carini.
Die hatte beim olympischen Wettbewerb den Ring vorzeitig verlassen, um gegen das angeblich unfaire Match „gegen einen Mann“ zu protestieren. Doch anders als Meloni wechselte Carini später ihre Meinung: Khelif sei „genau wie ich in einem Medienkrieg gelandet, an dem sie keine Schuld trug“, sagte sie und wünschte ihr den Olympiasieg. Wenig später holte Khelif Gold.
Für die Opposition sind Melonis Minuspunkte ein willkommenes Plus auf dem eigenen Konto. Nachdem die sozialdemokratische Basis so rasch die halbe Million Unterschriften gegen das Autonomiegesetz zusammen bekommen hat, träumt Parteichefin Elly Schlein nun von einer weiteren Abstimmung gegen die galoppierende Privatisierung des italienischen Gesundheitssystems.
Meloni am Ende? Das allerdings sehen selbst die Spitzen der Oppositionsparteien noch nicht. „Ich empfehle, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben“, sagte dieser Tage Stefano Bonaccini, neugewählter Europaabgeordneter des sozialdemokratischen Partito democratico (PD) und bisher Ministerpräsident der Emilia-Romagna, dem „Corriere della Sera“. Die Regierung werde nicht sehr bald stürzen: „Die Rechte ist weiter stark im Land und sie hat eine große parlamentarische Mehrheit.“
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