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Auch Macron unter Druck: Frankreichs Premier Bayrou vor dem Sturz – zwei Szenarien, wie es dann weitergehen könnte
Frankreich steuert in die nächste Regierungskrise: Premierminister François Bayrou dürfte am Montag aller Voraussicht nach infolge eines verlorenen Vertrauensvotums stürzen.
Stand:
„Kämpfen wie ein Hund“ wolle er, so sagte es Frankreichs Premierminister François Bayrou gegenüber dem Magazin „L’Express“. Seit er vor knapp zwei Wochen angekündigt hat, am 8. September die Vertrauensfrage in der Nationalversammlung zu stellen, um von den Parlamentariern die grundsätzliche Rückendeckung für seinen strikten Sparkurs zu bekommen, gab er fast täglich Interviews.
Er hielt Reden und empfing die Vertreter aller Fraktionen – zumindest jener, die kommen wollten. Die Grünen und die Linkspartei „Das unbeugsame Frankreich“ (LFI) winkten von vorneherein ab.
Genutzt haben dürfte Bayrous Aktivismus wenig. Für viele kommt er zu spät. „Die Ankündigung dieses Vertrauensvotums hat die Möglichkeiten zu Verhandlungen zerstört“, sagte Raphaël Glucksmann von der den Sozialisten nahestehenden Partei Place Publique.
Auch anderen Gesprächspartnern zufolge wich der Regierungschef trotz seiner angeblichen Offenheit für neue Vorschläge nicht von seinen Positionen ab. Seine dramatischen Warnungen, Frankreich stehe angesichts seiner Schulden in Höhe von 3,3 Billionen Euro am Abgrund, erzielten nicht den erhofften Effekt: Bayrous Versuch, aufzurütteln und möglichst viele hinter dem gemeinsamen Sparziel zu vereinen, scheiterte.
In Paris herrschen deshalb keine Zweifel darüber, dass ihm am Montag von der vereinten Opposition das Vertrauen entzogen wird – und Frankreich seinen fünften Premier innerhalb von drei Jahren verliert.
Die Parteien des linken und grünen Spektrums sowie dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) haben sich zusammengeschlossen. Das Regierungslager, das aus drei Parteien der Mitte und den konservativen Republikanern besteht, verfügt seit den Wahlen, die Präsident Emmanuel Macron im Sommer 2024 spontan angesetzt hatte, über keine Mehrheit im Parlament mehr.

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Bayrou wollte Feiertage streichen
Erst vor neun Monaten war bereits Bayrous Vorgänger Michel Barnier nach nur 99 Tagen über ein Misstrauensvotum gestürzt, weil auch er einen Defizitabbau durchsetzen wollte. Bayrou brachte wenig später zwar einen Nachtragshaushalt durchs Parlament. Doch echte Stabilität zog auch mit ihm nicht ein.
Seine Sparvorschläge in Höhe von fast 44 Milliarden Euro empörten auch große Teile der Bevölkerung vor allem durch die besonders unbeliebte Idee, zwei der elf gesetzlichen Feiertage zu streichen.
Die Gewerkschaften haben Demonstrationen für den 18. September angekündigt. Für nächsten Mittwoch ruft eine im Internet entstandene, disparate Protestbewegung unter dem Schlagwort „Blockieren wir alles“ („Bloquons tout“) zu einem Generalstreik auf. Wird Frankreich unregierbar?
Wie es weitergeht – zwei Szenarien
Zwei Optionen bleiben Macron, sollte es erwartungsgemäß zu einem Sturz der Regierung Bayrou kommen. Beide sind problematisch, warnt Bruno Cautrès, Politikwissenschaftler und Dozent an der Elitehochschule Sciences Po. Der Präsident kann einen neuen Premierminister ernennen. Oder er löst die Nationalversammlung auf, was zu den dritten Parlamentswahlen seit 2022 führen würde.
„Das wäre das Signal für eine große Instabilität in Frankreich“, so Cautrès. Er habe selten eine derartige Unsicherheit erlebt: „Keiner der politischen Akteure, nicht einmal der Präsident, weiß mit Sicherheit, was in den nächsten drei Monaten passieren wird.“ Macron sei seit Wochen mit den internationalen Herausforderungen beschäftigt, aber es gelte auch, die Lage zu Hause in den Griff zu bekommen.

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Fast alle Parteien sind zerstritten
Neue Parlamentswahlen dürften zu einem weiteren Verlust von Sitzen für das Präsidentenlager führen. Auch die linken und grünen Parteien, die sich im Sommer 2024 zu einem Wahlbündnis mit einem gemeinsamen Programm zusammenfanden, haben sich inzwischen zerstritten und könnten kaum mehr als geeinte Front auftreten.
Wir wollen nicht das Programm unserer Träume. Wir müssen versuchen, ein mehrheitsfähiges Projekt aufzubauen.
Olivier Faure, Chef der Sozialistischen Partei
Die Sozialisten sind daher intensiv in die Verhandlungen eingestiegen – nicht um Bayrou noch zu retten, sondern um in der Folge einen Premierminister durchzusetzen, mit dem sie leben können. Dahinter steht auch der Wunsch, sich jetzt schon für die Präsidentschaftswahl 2027 als verantwortungsbewusste Regierungspartei zu positionieren.
„Wir wollen nicht das Programm unserer Träume“, versicherte der Chef der Sozialistischen Partei, Olivier Faure. „Wir müssen versuchen, ein mehrheitsfähiges Projekt aufzubauen.“ Er hat bereits einen Gegenentwurf für ein Budgetgesetz präsentiert, das einen Abbau der Schulden um nur 22 Milliarden Euro vorsieht und mehrere bisherige Tabus für das Macron-Lager enthält, wie die sofortige Rücknahme der Rentenreform und die höhere Besteuerung der Reichen.
Marine Le Pen profitiert vom Chaos
Nutznießer neuer Wahlen wären Umfragen zufolge wiederum die Rechtsextremen, die bereits die größte Oppositionspartei sind. RN-Fraktionschefin Marine Le Pen dürfte zwar aufgrund ihrer Verurteilung wegen Korruption und des Verbots, in den nächsten fünf Jahren an Wahlen teilzunehmen, nicht kandidieren. Doch sie hat angekündigt, das Urteil juristisch anzufechten, bevor im nächsten Jahr ein Berufungsgericht ihren Prozess neu aufrollt.

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„Unsere Landsleute erwarten einen Politikwechsel und eine Rückkehr an die Urnen“, sagte RN-Chef Jordan Bardella, der sich selbst im Fall eines Wahlsieges als Premierminister zur Verfügung stellen will.
Auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy sagte in einem viel beachteten Interview, er sehe keine andere Lösung als Neuwahlen als „die einzige mögliche Klärung“. Der RN sei „eine Partei, die das Recht hat, bei Wahlen anzutreten“, so der Konservative. „Er kann sie also auch gewinnen, wenn die Franzosen das entscheiden.“
Macron vor dem Rücktritt?
Macron habe sich selbst in eine politische Sackgasse begeben, sagt der Politologe und Verfassungsrechtler Olivier Rouquan im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Die Funktion des Präsidenten nutzt sich ab und eine Auflösung der Nationalversammlung wird wahrscheinlicher.“ Die Fragmentierung der Parteienlandschaft führe zum Fehlen politischer Mehrheiten, während es den jeweiligen Akteuren nicht gelinge, transparent Absprachen zu treffen.
„Kompromisse werden in Frankreich allzu oft als faule Zugeständnisse gesehen und Verhandlungen als Mauscheleien – dabei sind sie der Kern von Politik.“ Die vom einstigen Präsidenten Charles de Gaulle im Jahr 1958 gegründete Fünfte Republik habe die „präsidentielle Kultur“ verschärft, die parteienfeindlich sei und zur starken Konzentration auf die Präsidentschaftswahlen und die Person des Staatschefs geführt habe. Was wäre eine Lösung?
„Die politischen Akteure müssten den Mut aufbringen, neue Praktiken einzuführen und offen miteinander zu verhandeln“, meint Rouquan. Auch das Mehrheitswahlrecht, das Bayrou sogar versprochen hatte, könne helfen, die parlamentarische Kultur zu stärken.
In jedem Fall werden sich die Augen nach einem verlorenen Vertrauensvotum des Regierungschefs auf Macron richten, prognostiziert der Experte: „Ab dem 9. September wird der Präsident ganz alleine sein und die Forderungen nach Rücktritt werden lauter werden.“
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