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„Gaza geht das Leben aus“: Mehr als 600.000 Zivilisten folgen dem Evakuierungsaufruf
Das israelische Militär hatte die Menschen in Nord-Gaza aufgefordert, sich in den Süden zu begeben. Unterdessen gehen die Vorräte zur Neige. Der Tag in Bildern.
Stand:
Nach mehreren Evakuierungsaufrufen an die Zivilbevölkerung des Gazastreifens haben sich nach israelischen Militärangaben mehr als 600.000 Palästinenser in den Süden des schmalen Küstenstreifens begeben. Das teilte Israels Armeesprecher Daniel Hagari am Sonntag mit.
Im Gegensatz zu der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas wolle Israels Militär unbeteiligten Bürgern möglichst wenig Schaden zufügen, betonte er.

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Am Samstagabend hatte Israel den Bewohnern von Nord-Gaza mehr Zeit zur Flucht eingeräumt, „weil es noch eine riesige Menge Leute gibt, die gehen müssen“, teilte ein Armeesprecher mit. Zudem versuche die Hamas, die Zivilisten aufzuhalten.
Israel greift 250 Ziele im Gazastreifen an
Nachdem Angriff der Hamas auf Israel vor etwa einer Woche, hatte Israel mit Luftschlägen gegen Ziele im Gazastreifen begonnen. Allein am Sonntag wurden „etwa 250 militärische Ziele angegriffen – hauptsächlich im nördlichen Gazastreifen“, teilte die israelische Armee bei Telegram mit.

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Laut Israel ist dabei Muetaz Eid, der Kommandant des südlichen Distrikts der Hamas für nationale Sicherheit, getötet worden. Nach palästinensischen Angaben ist die Zahl der Todesopfer durch die israelischen Angriffe im Gazastreifen auf 2670 gestiegen. Zudem gebe es 9600 Verletzte, erklärte das Gesundheitsministerium der Hamas-Regierung im Gazastreifen am Sonntagabend.

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Nach Angaben des palästinensischen Katastrophenschutzes werden mehr als 1000 Menschen unter den Trümmern zerstörter Gebäude vermisst. Weitere seien noch 24 Stunden nach den Angriffen gerettet worden, heißt es in einer Erklärung. Die Zahlen von palästinensischer Seite können nicht unabhängig überprüft werden.
UN beklagt „beispiellose menschliche Katastrophe“
Israels Angriffe auf den Gazastreifen haben nach UN-Angaben zu einer „beispiellosen menschlichen Katastrophe“ in dem Palästinensergebiet geführt.
„Kein Tropfen Wasser, kein Weizenkorn, kein Liter Treibstoff ist in den vergangenen acht Tagen in den Gazastreifen gelassen worden“, sagte der Generalkommissar des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini, am Sonntag vor Journalisten. Auch die UNRWA-Mitarbeiter im Gazastreifen seien „nicht mehr in der Lage, humanitäre Hilfe zu leisten“.

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Der Krieg habe offenbar „seine Menschlichkeit“ verloren, sagte Lazzarini, der insbesondere den Wassermangel im Gazastreifen beklagte: „Wir wissen alle, dass Wasser Leben ist, und in Gaza geht das Wasser aus und in Gaza geht das Leben aus.“
USA und Israel einigen sich auf Wasserlieferungen
Zwischenzeitlich wurde am Sonntag berichtet, dass Israel wieder Wasser in den Süden des Gazastreifens liefert. Das sei zuvor zwischen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und US-Präsident Joe Biden vereinbart worden, schrieb Energieminister Israel Katz am Sonntag auf der Plattform X (vormals Twitter).

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Augenzeugen und Medienberichten zufolge war die Wasserversorgung im Küstenstreifen am Abend zunächst aber noch nicht wiederhergestellt. Israel hatte den Gazastreifen nach dem Hamas-Angriff vor gut einer Woche abgeriegelt, die Blockade betrifft unter anderem die Strom-, Wasser- und Treibstoffversorgung sowie humanitäre Hilfe, wie Lebensmittel und Medikamente.
Evakuierung von Krankenhäusern laut WHO unmöglich
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt unterdessen vor der Verschärfung einer „humanitären Katastrophe“ im Gazastreifen. Eine „erzwungene“ Verlegung von 2000 Patienten und Gesundheitspersonal in den südlichen Gazastreifen könnte zudem „einem Todesurteil gleichkommen“, erklärte die Organisation mit Sitz in Genf am Samstag.

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Besonders betroffen sind demnach Schwerkranke, Intensiv- und Dialysepatienten, Neugeborene in Inkubatoren und schwangere Frauen mit Komplikationen. Sie alle riskierten „eine unmittelbare Verschlechterung ihres Zustands oder den Tod“, wenn sie gezwungen würden, sich auf den Weg zu machen und während der Evakuierung zudem „keine lebenswichtige Versorgung“ erhielten.

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Die WHO verurteile daher „aufs Schärfste“ die wiederholten israelischen Aufforderungen, 22 Krankenhäuser mit mehr als 2000 Patienten im nördlichen Gazastreifen zu evakuieren. Die Organisation wies zudem darauf hin, dass die Gesundheitseinrichtungen im Süden des Gazastreifens „bereits an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt“ seien. Sie seien nicht in der Lage, „einen erheblichen Anstieg der Patientenzahlen zu bewältigen“.
Misereor appelliert an Bundesregierung
Das katholische Hilfswerk Misereor und die Menschenrechtsorganisation Medico international appellieren an die Bundesregierung, sich angesichts der Lage im Gazastreifen für die Einhaltung des Völkerrechts und die Einrichtung humanitärer Korridore einzusetzen. Auch Papst Franziskus sprach sich für Hilfskorridore aus.

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Die völkerrechtswidrigen Angriffe auf die Zivilbevölkerung, zivile Infrastruktur und medizinische Einrichtungen müssten eingestellt werden, erklärten die in Aachen beziehungsweise Frankfurt ansässigen Organisationen am Sonntag in einer gemeinsamen Mitteilung.

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Die israelischen Vergeltungsschläge auf den brutalen Angriff der Hamas träfen auf ein ohnehin geschwächtes Gesundheitssystem. Die Kapazitätsgrenzen der Krankenhäuser seien überschritten. Die hohe Zahl der Verletzten überfordere die bestehenden Strukturen schon seit Tagen.

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Operationen seien ohne Strom und Blutkonserven nicht durchführbar, die medizinische Betreuung von Geburten kaum mehr möglich. „Nicht nur der Krieg, auch behandelbare Verletzungen und Krankheiten verursachen in diesen Tagen in Gaza Tote“, mahnte Cohen.
Ägypten sucht Wege für Hilfslieferungen
Ägypten verstärkt nach eigenen Angaben zusammen mit seinen internationalen und regionalen Partnern seine Bemühungen, Hilfe für die Bevölkerung im Gazastreifen zu liefern. Die nationale Sicherheit sei für Ägypten die rote Linie, erklärt das Präsidialamt in Kairo. Daher werde jeder Plan abgelehnt, die Palästinenser aus ihrem Gebiet zu vertreiben.

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Zudem plane Ägypten, den einzigen Grenzübergang aus dem Gazastreifen einer ägyptischen Sicherheitsquelle zufolge am Montag für die Ausreise von ausländischen Staatsangehörigen geöffnet werden. Den Angaben zufolge laufen dafür die Vorbereitungen. Auch die Einfuhr von humanitären Hilfslieferungen über den Grenzübergang Rafah soll demnach ermöglicht werden.

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Die israelische Regierung hat unterdessen die Zahl der von der Hamas in den Gazastreifen entführten Menschen auf 155 nach oben korrigiert. Deren Angehörige seien informiert worden. Die Armee „werden alles tun“, um sie nach Hause zu bringen, hieß es.
Bezüglich der großangelegten Bodenoffensive auf den Gazastreifen wartet die israelische Armee nach den Worten eines Sprechers noch auf eine „politische Entscheidung“ über den Beginn. Vor einem israelischen Einmarsch in das Palästinensergebiet seien „Gespräche mit unserer politischen Führung“ notwendig, sagte Armeesprecher Richard Hecht am Sonntag.
Der Iran warnte Israel eindringlich vor einem Einmarsch in den Gazastreifen. Sollte Israel seine „Angriffe auf die wehrlose Bevölkerung des Gazastreifens fortsetzen“, könne niemand dafür garantieren, dass der Konflikt sich nicht ausweite, sagte Außenminister Hossein Amir-Abdollahian nach Angaben seines Ministeriums. (Tsp/AFP/dpa/Reuters/epd)
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