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Indiens Premierminister Narendra Modi (l.) und Chinas Präsident Xi Jinping.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Lobers/Fotos: afp/Sajjad Hussain; Imago/Anadolu Agency/Alexander Vil; freepik (2)

Gemeinsam gegen Trumps Strafzölle: Indiens Premier Modi reist zu seinem Erzfeind Xi Jinping

Am Wochenende treffen sich die beiden Staatsmänner für Gespräche in China. Zuletzt gab es große Spannungen zwischen ihren Ländern. Doch Donald Trump wirkt auch hier.

Von Leo Wigger

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Es ist ein Moment, der lange undenkbar schien: Indiens Premierminister Narendra Modi reist erstmals seit sieben Jahren nach China – zum Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) in Tianjin, auf Einladung von Partei- und Staatschef Xi Jinping.

Die Beziehungen der beiden aufstrebenden Atommächte waren zuletzt stark abgekühlt, seitdem bei einem brutalen Grenzzwischenfall im Galwan-Tal im Himalaya vor fünf Jahren mindestens 20 indische Soldaten starben.

In Sicherheitskreisen in Delhi zerstörten sich damals alle Illusionen über ein friedliches Nebeneinander mit dem nördlichen Nachbarn. Die tiefergehende strategische Rivalität weitete sich zu einem offenen Dissenz aus. Doch nun stehen die Zeichen auf Entspannung.

Trump treibt Indien und China zueinander

Ein Grund für das plötzliche diplomatische Tauwetter dürfte auf der anderen Seite des Indo-Pazifik zu finden sein: US-Präsident Donald Trump. Dieser verhängte jüngst Strafzölle auf indische Produkte – von bis zu 50 Prozent, als Reaktion auf Indiens fortgesetzte Ölimporte aus Russland. In Indien sitzt der Schock darüber tief.

Der Zollhammer trifft das Land in einer Phase wirtschaftlicher Anspannung und wachsender globaler Unsicherheit. Und: Ein fast vollständig ausverhandeltes Handelsabkommen liegt ebenfalls auf Eis, nachdem das US-Verhandlungsteam plötzlich neue Forderungen gestellt hatte.

Dazu kommt Indiens Verärgerung über die amerikanische Wiederannäherung an Erzrivale Pakistan, sowie Trumps Behauptung, das Waffenstillstandsabkommen zwischen beiden Ländern verhandelt zu haben, was Indien vehement zurückweist. Die Folge: Delhi sucht neue Wege – auch in Richtung Peking.

Dabei waren die indo-amerikanischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges immer enger geworden. Ein wichtiger Treiber der Entwicklung: Der Aufstieg Chinas, den Washington und Delhi mit Argusaugen betrachten. Mit der Wiederwahl Trumps hatte die indische Regierung eigentlich eine weitere Verbesserung der partnerschaftlichen Beziehungen erwartet.

„Die Beziehungen zwischen den USA und Indien erleben derzeit die schwerste Krise der strategischen Partnerschaft, die seit zwei Jahrzehnten besteht“, erklärt Michael Kugelman, Südasien-Experte der Asia Pacific Foundation. Dass Indien sich China nun nähert, sei aber nicht bloß Trotz, sondern Strategie.

Modis Kurswende kam nicht über Nacht

Tatsächlich begann die vorsichtige Normalisierung schon vor Trumps Wiederwahl. Im Herbst 2024 trafen sich Modi und Xi am Rande des Brics-Gipfels in Russland. Damals waren bereits Visaerleichterungen, die Wiederaufnahme von Direktflügen und vereinfachte Pilgerreisen vereinbart worden, auch wenn sich in der Praxis viele der Vorhaben verzögerten.

„Indien hatte schon Monate vor Trumps Wiederwahl beschlossen, mit China zu entspannen – hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen“, sagt Kugelman. Die US-Maßnahmen hätten den Prozess aber „spürbar beschleunigt“.

Denn die wirtschaftliche Realität ist eindeutig: China war im Fiskaljahr 2023/24 Indiens zweitgrößter Handelspartner mit einem Volumen von über 118 Milliarden US-Dollar – bei einem Handelsdefizit von über 85 Milliarden.

Zuletzt dürfte das Defizit noch weiter gestiegen sein. Trotz strenger Importkontrollen und Investitionsbeschränkungen bezieht Indien von China nicht nur Konsumgüter, sondern auch zentrale Vorprodukte für seine Industrie. Gleichzeitig sucht Peking neue Märkte für seine angeschlagene Exportwirtschaft.

Strategische Autonomie statt Lagerdenken

Indien betont seine strategische Autonomie. Es kooperiert mit den USA im Quad-Format, beteiligt sich aber auch an Formaten wie Brics oder dem SCO, in denen China den Ton angibt. Am Gipfel in Tianjin nehmen auch Russland und der Iran teil – Länder, mit denen Indien ebenfalls gute, wenngleich komplexe Beziehungen pflegt.

Doch der geopolitische Balanceakt wird schwieriger: Indien möchte nicht mit Washington brechen, sondern Spielraum gewinnen. Aber genau das berge auch langfristige Risiken, glaubt Daniel Markey, vom Stimson Center in Washington DC: „Es könnte ein tit-for-tat-Zyklus entstehen, der die strategische Partnerschaft mit den USA langfristig beschädigt.“

Sicherheitspolitische Konflikte bleiben bestehen

Trotz neuer Rhetorik und dem Ausblick vertiefter wirtschaftlicher Kooperation bleiben die sicherheitspolitischen Spannungen tief verwurzelt. Der Grenzkonflikt im Himalaya ist ungelöst.

China erkennt die Grenzziehung bis heute nicht an und erhebt sogar Anspruch auf einen gesamten indischen Bundestaat: Arunachal Pradesh. Zehntausende Soldaten stehen sich an der Himalayagrenze gegenüber.

Auch der Streit um die Nachfolge des im indischen Exil lebenden Dalai Lama belastet die Beziehungen. Wasser wird im Himalaya zunehmend zum Konfliktthema, seitdem China Pläne für ein gigantisches Staudammprojekt direkt an der indischen Grenze in die Tat umsetzt.

Brics-Gipfel 2024 im russischen Kazan: Indiens Premierminister Narendra Modi, Kremlchef Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping.

© REUTERS/Alexander Zemlianichenko

Chinas enge Partnerschaft mit Pakistan verschärft die Lage zusätzlich. Der China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC), der durch das umstrittene Kaschmirgebiet führt, ist für Delhi eine strategische Provokation – zumal Pakistan im jüngsten Konflikt auch chinesische Waffen eingesetzt hat. China ist Pakistans wichtigster Waffenlieferant.

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Milliarden Einwohner haben Indien und China zusammen, was gut einem Drittel der Weltbevölkerung entspricht.

„Die strukturellen Hindernisse – etwa der Grenzkonflikt oder die China-Pakistan-Achse – werden substanzielle Fortschritte begrenzen“, betont Kugelman. „Deshalb wird sich die Verbesserung primär auf wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränken.“

Koexistenz statt Freundschaft

Modis Besuch in China ist deshalb kein politischer Kurswechsel, sondern pragmatische Außenpolitik. Indien braucht wirtschaftliche Stabilität, während die strategischen Differenzen mit Peking weiterhin unüberbrückbar scheinen.

Die neue Annäherung ist also kaum mehr als eine Zweckfreundschaft. Doch: „Washington könne das noch teuer zu stehen kommen“, warnt Markey. Indien sei nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und technologisch ein Schlüsselpartner im Wettbewerb mit China.

Dass Delhi nun ausgerechnet dort nach Optionen sucht, sei Ausdruck einer gefährlichen Lücke im amerikanischen Kalkül. Und eröffnet ausgerechnet für einen Partner Türen, der in Delhi lange eher für wenig Begeisterung sorgte: Die Chancen auf den Abschluss eines langgeplanten Handelsabkommens mit der EU dürften zuletzt durchaus gestiegen sein.

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