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Jahrzehntelang war die Seegrenze zwischen beiden Staaten umstritten.

© Foto: dpa/Marwan Naamani

Historisches Gasabkommen: „Libanon hat Israel als Staat anerkannt” 

Israel und der Libanon haben sich auf eine Seegrenze geeinigt. Das bedeutet für die verfeindeten Länder eine neue Ära, glaubt der Politiker Samy Gemayel. 

Von
  • Valentin Dreher
  • Alexander Karam

Seit Jahrzehnten befinden sich der Libanon und Israel offiziell im Kriegszustand. Jetzt haben sich die beiden Staaten nach jahrelangen Verhandlungen vertraglich auf eine gemeinsame Seegrenze geeinigt. Unter Vermittlung der USA haben die beiden Länder sich damit auch auf eine Förderung der Gasvorkommen im Mittelmeer verständigt.

Herr Gemayel, was bedeutet das vor wenigen Tagen geschlossene Grenzabkommen für die Beziehungen zwischen dem Libanon und Israel? 
Beide Länder schlossen das Abkommen vor allem aus kommerziellem Interesse, denn der Streit um die maritime Grenze verhinderte eine Förderung von Gas vor der Küste. Beide Parteien wollten politische und wirtschaftliche Absichten strikt trennen. Aber so funktioniert es nicht: Dieser wirtschaftliche Deal hat die politische Dynamik verändert. Mit dem Abkommen haben die libanesische Regierung und die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz den Staat Israel faktisch anerkannt. Das wird große geopolitische Auswirkungen haben. 

Die maritime Grenze ist seit der Gründung des Staates Israel ein offener Streitpunkt. Israel hat im Vergleich zu vorherigen Verhandlungsrunden Zugeständnisse gemacht. Warum kam es gerade jetzt zu einer Einigung? 
Der Krieg in der Ukraine hat in Europa und im Westen zu einer unvorhergesehenen Nachfrage nach Erdgas und somit hohen Gaspreisen geführt. Die Israelis wollen das vor ihrer Küste liegende Karish-Gasfeld nutzen, wozu sie eine Einigung über die maritime Grenze benötigten. Alle Beteiligten haben also auf eine schnelle Unterzeichnung gedrängt. 

Die einflussreiche Hisbollah-Miliz spricht hingegen von der erfolgreichen Einschüchterung Israels durch ihr großes Waffenarsenal. 
Dem widerspreche ich. Das gemeinsame Interesse an der Gasförderung hat zu diesem Abkommen geführt. Das Waffenarsenal der Hisbollah war auch vor zwei Jahren schon groß, warum sollte das Abkommen dann erst jetzt unterzeichnet werden?  

Samy Gemayel, 41 Jahre alt, ist Vorsitzender der christlichen Kataeb-Partei. Nach der Hafenexplosion in Beirut im August 2020 trat er als Abgeordneter zurück, um seinem Protest gegen Korruption und Vetternwirtschaft Ausdruck zu verleihen.
Samy Gemayel, 41 Jahre alt, ist Vorsitzender der christlichen Kataeb-Partei. Nach der Hafenexplosion in Beirut im August 2020 trat er als Abgeordneter zurück, um seinem Protest gegen Korruption und Vetternwirtschaft Ausdruck zu verleihen.

© Foto: imago/PanoramiC

Befinden sich der Libanon und Israel damit auf einem Weg der Normalisierung ihrer Beziehungen, den andere Länder der Region längst beschritten haben? 
Das Abkommen kann als Grundlage für eine Normalisierung dienen. Bisher wurde im Libanon aus ideologischen Gründen so getan, als würde Israel als Staat nicht existieren. Das ist mit dem Abkommen vorbei: Wir haben einen Weg gefunden, zwischenstaatliche Probleme nicht mehr auf Grundlage religiöser Auseinandersetzungen zu verhandeln.  

Sie unterstützen ein Friedensabkommen mit Israel? 
Kein Friedensabkommen, aber eine Befriedung der Grenze. Das würde bedeuten, dass es keine Aggressionen mehr zwischen den zwei Staaten gibt. Vorher brauchen wir aber eine Verhandlung, in der die offenen Konflikte geklärt werden: Der Verlauf der Landgrenze ist nach wie vor umstritten, palästinensische Geflüchtete im Libanon müssen nach Israel zurückkehren können. Außerdem sollte Israel aufhören, den Libanon ständig zu bedrohen. 

Infolge des russischen Angriffskrieges leiden Deutschland und Europa unter akutem Energiemangel. Kann das Gas vor der libanesischen Küste helfen? 
Eher nicht. Wir werden sechs oder sieben Jahre brauchen, bis die Gasförderung beginnen kann. Ich denke, bis dahin wird Europa auf andere Energieformen umsteigen. Außerdem gibt es heute noch keine verlässlichen Zahlen über die Größe des Gasvorkommens.  

Menschen werden weiter flüchten, solange die wirtschaftliche Krise nicht behoben ist.

Samy Gemayel, libanesischer Politiker

Der Libanon befindet sich in einer schweren Krise. Der Staat ist hoch verschuldet und kann nicht einmal die ausreichende Versorgung mit Strom und Wasser gewährleisten. Können die Gewinne aus der Gasförderung dem Land langfristig aus der Krise helfen? 
Nein. Nach optimistischen Schätzungen wird der libanesische Staat innerhalb von 15 Jahren Gewinne von 6 Milliarden Dollar generieren. Das ist nur ein kleiner Teil des riesigen Lochs in unserem Staatshaushalt. Zudem besteht die berechtigte Sorge, dass die Einnahmen von den korrupten Machthabern missbraucht werden. So könnte die staatliche Mafia die Kontrolle über die Verträge übernehmen und so weitermachen wie bisher. 

Wenn die Einnahmen nicht bei der Bevölkerung ankommen, gehen sie davon aus, dass noch mehr Libanesen vor der Armut nach Europa flüchten werden?
Menschen werden weiter flüchten, solange die wirtschaftliche Krise nicht behoben ist - das ist eine normale Reaktion. Ich hoffe, dass wir bald einen Präsidenten und eine Regierung wählen können, die sich wirklich für Reformen interessieren und den großen Kollaps aufhalten.  

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