
© Thomas Roser
Hochprozentiger Volkssport: Für Serbiens Hobby-Schnapsbrenner hat die Saison begonnen
Ein Prosit auf den Sliwowitz: 50 bis 60 Millionen Liter der National-Spirituose werden pro Jahr in dem Balkan-Land produziert.
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Zufrieden grunzen die bereits gefütterten Schweine in ihrem Koben. Die Morgensonne scheint über die herbstlichen Obstwiesen und baufälligen oder eingefallenen Dächer des ostbosnischen Bergdorfes Vrgundinac.
„Ihr kommt genau rechtzeitig. Ich brenne gleich einen neuen Kessel“, begrüßt der 80-jährige Stanimir Mitic seine Besucher in dem von 700 auf 70 Seelen geschrumpften Weiler unweit der Kleinstadt Bela Palanka.
„Unsere Zwetschgen haben am meisten Sonne“, erklärt der frühere Schlosser den weltweit einzigartigen Ruf von serbischen „Sljivovica“, dem in deutschen Breiten als Sliwowitz bekannten Pflaumenbrand. Zwei Tonnen Zwetschgen werde er in diesem Herbst zu rund 200 Litern des aromatischen Gaumenschmeichlers destillieren: „Ich hasse die Zwetschgenernte. Aber ich liebe das Rakija-Brennen.“
Tatsächlich wandern beim weltweit viertgrößten Pflaumenproduzenten Serbien nicht nur tonnenweise Zwetschgen, sondern auch Aprikosen, Birnen, Quitten und Äpfel in unzählige Kupferkessel.
Während privates Schnapsbrennen in Deutschland und der Schweiz fast vollständig verboten und in Österreich nur unter Auflagen erlaubt ist, frönen die Serben alljährlich im Herbst ausgiebig und gerne dem hochprozentigen Lieblingsvolkssport – dem Rakija-Brennen.
Beim Sliwowitz-Brennen wird kein Wasser zugegeben
Geschäftig rührt Mitic die Zwetschgenmaische in den aufgedeckten Plastikfässern mit einem mächtigen Holzstab um. Im Gegensatz zu mitteleuropäischen Obstbränden kommt bei ihm kein zusätzliches Wasser und meist auch kein Zucker ins Maische-Fass.
„Wenn sie reif sind, sind unsere Zwetschgen ausreichend süß und saftig“, erzählt er. „ Nur bei den allerersten, noch halb grünen Zwetschgen kommt etwas Zucker ins Fass.“
Solange die Maische Schaum bilde und die Fliegen anlocke, sei sie „nicht ausgegoren“, erläutert der Mann mit der Schiebermütze. Im Spätsommer seien nur einige Tage, im Herbst ein Monat nötig, bis die Maische für den Brand bereit sei: „Bleiben die Fliegen weg, ist die Maische fertig.“
Nichts geht beim Rakija-Brennen schnell, dafür benötigt man vor allem Zeit.
Hobby-Schnapsbrenner Stanimir Mitic
Sorgfältig wäscht der Rentner noch einmal den aufgedeckten Kupferkessel der Destillerie aus. Mit 120 Litern Zwetschgenmaische ist der Kessel fast bis zum Rand gefüllt, als der Brennmeister umsichtig den gewölbten Kupferdeckel, den sogenannten „Kapak“, auf den Kazan setzt. Mit einem Teig aus Weizen- und Maismehl dichtet Stanimir die Ritzen zwischen Deckel und Kessel gründlich ab. „Damit der Alkohol nicht nach draußen verdampft“, erklärt er.
Sliwowitz wird doppelt destilliert
Allmählich und nicht zu stark müsse man den Kessel anheizen, berichtet der Brennmeister, während er kleine Akazienzweige in den Ofen schiebt: „Ist das Holz zu trocken und erhitzt man den Kessel zu schnell, brennt beim ersten Brand die Maische an – und verflüchtigt sich beim zweiten Brand zu viel Alkohol.“ Langsam erhitzt gelangt der verdampfte Alkohol über ein Kupferrohr in den Kühler, wo er erneut zu Flüssigkeit kondensiert. Aus dem Ausguss tröpfelt und rinnt das Destillat schließlich in Mitics Eimer.
Was sollen wir mit dem ganzen Obst sonst tun?
Hobby-Schnapsbrenner Stanimir Mitic
In Serbien wandert der hochprozentige Obstbrand in der Regel zwei Mal durch den Kessel. Für den ersten Brand sitze er mehr als drei, für den zweiten Brand gar fünf Stunden vor seinem Kazan, berichtet Mitic: „Nichts geht beim Rakija-Brennen schnell, dafür benötigt man vor allem Zeit.“
Die Langsamkeit des Tröpfelns macht für Mitic den Reiz des Schnapsbrennens aus. Wenn ihm die Nachbarn als „Vorkoster“ Gesellschaft leisteten, sitze man gemütlich am Kessel und tausche sich über den neusten Dorftratsch aus. Brenne er allein, „füttere ich nebenher die Schweine, hacke ein wenig Holz – oder mache neben dem warmen Kessel ein Nickerchen.“
Die Profis exportieren den Rakija, die Hobby-Brenner trinken ihn selbst
Auf 50 bis 60 Millionen Liter pro Jahr wird die Rakija-Produktion in Serbien geschätzt – die hochprozentigen Destillate der Selbstbrenner mit eingerechnet. Während zwei Drittel der hochwertigen Obstbrände der offiziell registrierten Destillerien exportiert werden, trinken die Hobbybrenner ihren meist wesentlich stärkeren Rakija selbst, verschenken ihn – oder verscherbeln ihn unter der Hand auch für wenig Geld an private Abnehmer und heimische Wirtshäuser.
In seinem Alter trinke er selbst „nicht mehr so viel Rakija“, sagt Mitic, während er noch eine Handvoll Walnuss-Schalen ins Feuer wirft. Doch allein die reiche Ernte und der Widerwille, die Früchte verrotten zu lassen, treibe ihn im Herbst stets zurück an den Kessel.
Auch seine Nachbarinnen, die selbst keinen Rakija trinken, liehen sich bei ihm den Kazan aus, um für ihre Freunde einen „ausgezeichneten Mirabellenbrand“ zu brennen: „Was sollen wir mit dem ganzen Obst sonst tun? Egal, wie viele Pflaumen es gibt. Jede Zwetschge kommt in den Kessel.“
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