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Der scheidende Premierminister Sébastien Lecornu gibt ein letztes, großes Fernsehinterview. Im Hintergrund wird Präsident Emmanuel Macron eingeblendet.

© AFP/LUDOVIC MARIN

Immer tiefer in die Krise: Macron hat noch einen Tag, um einen neuen Premier für Frankreich zu finden

Frankreichs Ex-Premier Sébastien Lecornu sieht „seine Mission erfüllt“. Bis Freitag muss Präsident Macron einen neuen Regierungschef finden. Rücktrittsforderungen gegen ihn selbst werden immer lauter.

Von Birgit Holzer

Stand:

Gibt es einen Ausweg aus Frankreichs Regierungskrise? Das fragen sich nicht nur die mehr als 68 Millionen Französinnen und Franzosen, sondern ganz Europa. Doch Präsident Emmanuel Macron und sein frisch zurückgetretener Premierminister Sébastien Lecornu haben keine Antwort darauf.

In einem Fernsehinterview am Mittwochabend machte Lecornu zwar viele Andeutungen, konkret wurde er jedoch nur in einem Punkt. Eine Auflösung der Nationalversammlung, gefolgt von baldigen Parlamentswahlen, werde es vorerst nicht geben, weil das eine absolute Mehrheit ablehne, sagte der Vertraute Macrons.

„Wir haben eine relative Mehrheit aus mehreren politischen Kräften, die im Grunde bereit sind, sich auf ein gemeinsames Budget zu einigen“, so Lecornu. Ein Weg aus der Blockadesituation sei möglich und der Präsident werde in den nächsten 48 Stunden einen Premierminister ernennen. Er selbst stehe nicht mehr zur Verfügung, seine „Mission“ sei erfüllt.

Inmitten des Regierungschaos empfingen Präsident Emmanuel Macron und seine Firstlady Brigitte den jordanischen Kronprinzen Hussein Bin Abdullah und Prinzessin Rajwa Al Huessein am Mittwoch in Paris.

© imago/IP3press/IMAGO/Alexis Sciard

Am Montag war der 39-Jährige, den Macron vor vier Wochen zum Regierungschef ernannt hatte, überraschend zurückgetreten. Erst am Vorabend hatte er sein neues Kabinett vorgestellt, was lautstarke Kritik aus den Reihen der konservativen Republikaner auslöste, obwohl sie mehrere Ministerposten erhalten sollten. Die Geschlossenheit der neuen Koalition bröckelte bereits, noch bevor Lecornu sein Budgetgesetz überhaupt einbringen konnte.

Was ist passiert?

Aufgrund des hohen Defizits, das 2024 bei 5,8 Prozent der Wirtschaftsleistung lag, muss Paris einen Sparkurs einleiten – das gilt weitgehend als Konsens. Doch über das Vorgehen herrscht keinerlei Einigkeit. Da Lecornu mit einer Minderheitsregierung arbeiten musste, drohte ihm dasselbe Schicksal – ein Misstrauensvotum – wie seinen Vorgängern François Bayrou und Michel Barnier. In nur dreieinhalb Jahren wurden in Frankreich fünf Premierminister verschlissen.

Um ein Misstrauensvotum zu überstehen, brauchte Lecornu zumindest die Duldung der Sozialisten. Deren Forderungen wiederum waren rote Linien für einen Teil des Mitte-Rechts-Lagers. Kontrovers debattiert wurde vor allem die höhere Besteuerung der Reichsten, die proportional weniger Abgaben leisten als die Mittelschicht, sowie eine Aussetzung der Rentenreform.

Macron hatte sie 2023 als das einzige Hauptprojekt seiner zweiten Amtszeit trotz monatelanger Proteste der Bevölkerung durchgesetzt. Obwohl die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 bereits in Kraft getreten ist, deutete Lecornu nun an, dass über diesen „echten Blockadepunkt“ diskutiert werden könne. Vor ihm hatte sich Ex-Premierministerin Élisabeth Borne, die die Reform damals maßgeblich umsetzte, für einen Stopp ausgesprochen, sollte dies der Preis für politische Stabilität sein.

Keiner möchte Neuwahlen – außer den Rechten

Die meisten Fraktionen fürchteten neue Parlamentswahlen, denn alle politischen Kräfte außer der Rechtsaußen-Partei Rassemblement National (RN) drohen dabei Sitze verlieren. RN-Fraktionschefin Marine Le Pen spottete bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, ihre Gegner „sterben vor Angst, sich den Wählern stellen zu müssen“. Ihre Partei werde systematisch jede Regierung unter Macron stürzen. Das kündigte auch die Linkspartei LFI (La France Insoumise) an.

Neuerliche Wahlen – die weiter nicht ausgeschlossen werden können – wären auch problematisch für den Präsidenten selbst. Präsidentschaftswahlen sollen planmäßig erst im April 2027 stattfinden. Sollte der RN eine absolute Mehrheit erzielen, müsste Macron bis dahin in einer sogenannten Kohabitation mit den Rechtsnationalen regieren.

Möchte so schnell wie möglich Neuwahlen; Marine Le Pen, Fraktionschefin der rechten Partei Rassemblement National.

© AFP/JEAN-PHILIPPE KSIAZEK

Auch geriete er bei einem neuerlichen Misserfolg seiner Partei weiter in die Schusslinie seiner Gegner. Schon in den vergangenen Tagen wurden Rufe nach seinem Rücktritt vor dem regulären Ende seiner Amtszeit in knapp zwei Jahren lauter – und zwar nicht nur wie üblich aus den Reihen der Opposition, sondern auch aus seinem eigenen Lager.

Als Tabubruch zu werten war dabei der Vorstoß seines früheren Premierministers Édouard Philippe. Angesichts des Machtverfalls müsse Macron den Weg für vorzeitige Präsidentschaftswahlen freimachen, sagte der Chef der bürgerlich-liberalen Partei Horizons, der selbst als Kandidat für die Nachfolge ins Rennen gehen will.

Philippes Worte untermauerten, wie sehr der Rückhalt für den Präsidenten gesunken und wie dünn das Eis unter seinen Füßen geworden ist. Gabriel Attal wiederum, ein weiterer ambitionierter Ex-Premierminister, sagte, er verstehe die Entscheidungen des Staatschefs nicht mehr.

„Es ist an der Zeit, die Macht zu teilen“, so der Chef der Präsidentenpartei Renaissance. Umfragen zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Macrons Rücktritt. Nur 16 Prozent vertrauen ihm noch. „Emmanuel Macron ist sehr intelligent, außer in einem Bereich: der Politik“, spöttelte der bekannte Fernseh-Journalist Alain Duhamel. Selbst wenn der nächste Premierminister ein Budget für 2026 durchbringen sollte: Der Präsident bleibt angezählt.

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